Als ich neulich den Trailer zur jüngsten Jane-Austen-Verfilmung aus dem Hause Netflix sah, wurde mir bewusst, dass ich das Buch zwar schon gelesen, aber hier nie besprochen habe. Es erschien unter dem Titel Anne Elliot, ist aber vielen Austen-Fans sicherlich v.A. unter Überredung oder Persuasion bekannt. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, findet sich auf dem deutsche Markt gar der Titel Anne Elliot oder die Kraft der Überredung. 🙂 Alles klar, oder? Anne Elliot ist auch der Name der Protagonistin von Jane Austens Roman. Überredung ist mehr der große Fehler, an dem sie einmal scheiterte. Anne ist 27 Jahre alt und unverheiratet. Man rechnet ihr auch nicht mehr die besten Chancen auf eine Heirat aus und die „feine Gesellschaft“ sieht sie bereits als alte Jungfer. Früher halt. Man möchte seufzen. Acht Jahre zuvor hätte sie die Gelegenheit gehabt sich mit dem Marineoffizier Frederick Wentworth zu verloben. Aber ihr Umfeld riet ihr davon ab. Wentworth sei doch mittellos, da könne sie doch eine bessere Partie machen, wo kommen wir denn da hin? Da muss man klug vorgehen. Anne ließ sich überzeugen. Und das obwohl sie Wentworth liebte. Halt. Präsens. Liebt! Denn das geht ihr auf als sie Wentworth wiedersieht.
Natürlich musste das so kommen, wir sind hier schließlich in einem Jane-Austen-Roman. 🙂 Dabei erschien Anne Elliot posthum. Jane Austen erlebte die Veröffentlichung des Buches nicht mehr. Es macht auch den Eindruck, als ob das Buch nicht das beliebteste oder bekannteste unter den Austen-Romanen sei. Vielleicht liegt es daran, dass Anne Elliot bereits eine gereifte Heldin ist. Dass sie das Geschehen lieber beobachtet und für sich selber kommentiert als sich in spitzfindig-lustige Wortgefechte zu verheddern wie es Lizzie Bennets Stil wäre. Mein Eindruck während des Lesens war, dass es v.A. sehr schwierig ist zu verkraften, was sich Anne von den Menschen in ihrem Umfeld anhören muss. Und das ist eine Menge. Annes Vater ist Witwer und lebt über seine Verhältnisse. Unter seinen drei Töchtern hat Anne am wenigsten zu melden und gibt viel klein bei, wenn ihre Schwestern Elizabeth und Mary loslegen.
„Elizabeth hatte ihre Mutter mit sechzehn so vollständig in Rang und Rechten beerbt, wie dies einer Tochter nur möglich ist; […] Seine beiden anderen Kinder waren von minderem Wert. Mary hatte ein wenig künstliche Bedeutung hinzugewonnen, indem sie Mrs Charles Musgrove geworden war; aber Anne, die so fein und gescheit war, […], galt bei Vater und Schwester gar nichts; ihr Wort hatte kein Gewicht, ihre Interessen mußten immer hintanstehen – sie war einfach nur Anne.“ p.10
Die ersten zwanzig Seiten des Buches gehen auch für die Erklärung der Familiengeschichte der Elliots drauf sowie viele weitere Seiten voller Gespräche und Austausch von Nichtigkeiten zwischen den Schwestern, in denen sich Elisabeth und Mary Anne gegenüber absolut ekelhaft verhalten. Spätestens hier haben wir verstanden. Das Vermieten des Anwesens der Elliots, Kellynch Hall, soll dann etwas Geld in die ausgedörrte Kasse der Elliots spülen. Ausgerechnet ein Bekannter von Annes verflossenem Frederick Wentworth wird Mieter und so kreuzen sich die Wege erneut. Es bildet sich eine illustre Gemeinde aus vielen Freunden, die zusammen die Zeit verbringen und Anne und Wentworth genug Möglichkeit geben sich über den Weg zu laufen und zu fragen: geht da noch was? Wentworth begegnet ihr aber eher kühl. Dummerweise hat auch wie schon zuvor jeder in ihrem Umfeld eine Meinung. Und es gibt gleich mehrere Leute, die Wentworth wie auch Anne hübsche Augen machen. Zuerst passiert gar nichts. Und dann alles. Der Haken dabei: „alles“ ist auch erst auf den letzten fünfzig Seiten.
Natürlich ist es ein schönes Katz und Maus Spiel zwischen Wentworth und Anne. Dieses Mal sind auch wir als Lesende uns nicht ganz sicher, ob Wentworth noch will oder nicht, während das bei anderen Büchern Jane Austens eher auf der Hand zu liegen scheint. Darin liegt zwar ein Reiz, aber das Aufbauen der Handlung ist aufgrund all der überspannten und zickigen Charaktere schwer auszuhalten. Anne ist darin ein Ruhepol und zeichnet sich durch ihr geduldiges und fürsorgliches Wesen aus. Sie hat aus der Vergangenheit gelernt, was sehr angenehm ist und sie ganz klar als eine der reiferen Protagonistinnen Austens kennzeichnet. Trotzdem: schaue ich in meine Notizen zu dem Buch, steht dort nur „die Familie nervt“, „die Leute nerven“, „es dauert“, „wann tritt Wentworth auf“. Das war wohl meine Anne-Elliot-Mood während des Lesens.
„Sie war zum Vernünftigsein gezwungen worden, als sie jung war, sie lernte das Romantischsein, als sie älter wurde – die natürliche Folge eines unnatürlichen Auftakts.“ p.38
Dabei schwingt sehr deutliche Gesellschaftskritik zwischen den Zeilen mit. Zum Einen ist da die Vernunftehe Marys, die sie offensichtlich nicht glücklich macht. Oder auch dass von Anne vermittelte Bild als „hoffnungslosen Fall“. Zwar habe ich noch nicht alle Austen-Romane durch, aber es wurde selten so eindeutig und kühl charakterisiert, was der Platz einer Frau in dieser Welt Austenscher Romane ist. Nämlich dort, wo Männer sie platzieren. Es findet sich Kritik an Männern als Autoren. Sie sind es, die weibliche Gefühle als wankelmütig und schwierig deuten und in zeitgenössischer Prosa niederschreiben, sodass die Nachwelt dieselben Possen darüber weiterreicht, „was es bedeutet eine Frau zu sein“. Ohne, dass es eine Frau je gefragt wurde. Da blutet doch mein wankelmütiges Frauenherz.
Dass dieser Jane-Austen-Formel aber die Leichtigkeit der anderen Bücher abgeht, macht sich bemerkbar und ist vielleicht der Grund, warum bei Jane Austen immer alle an Stolz und Vorurteil oder Emma denken. Netflix hat das vielleicht so gehandhabt, dass es Anne in der Dakota-Johnson-Inkarnation etwas aufmüpfiger und mehr „sassy“ gemacht hat, um sie von dem strengen Korsett zu befreien. Ob das so gelungen ist? Nach dem Ausschnitt unten zu deuten ist es jedenfalls weniger poetisch und Dakota Johnson vermittelt vielleicht nicht das Bild, das Anne im Buch verkörpert. Ich habe den Film noch nicht geschaut, werde das aber bald nachholen. Egal wie gelungen die Verfilmung ist: es mangelt eh nicht an Adaptionen von Austen, auch nicht an welchen von Überredung oder Anne Elliot, oder wie man das Buch nun nennen möchte. Übrigens enthält die dtv-Ausgabe das „originale Ende des Romans“, vielleicht v.A. deswegen, weil dort als einziges das Zauberwort vorkommt, über dass sich Anne letzten Endes erhebt: Überredung. Nicht mit Anne. Nicht mehr, nie wieder. Und Wentworth? Dafür müsst ihr das Buch lesen.
Jane Austen: “There could have never been two hearts so open, no tastes so similar, no feelings so in unison, no countenances so beloved. Now they were as strangers; nay, worse than strangers, for they could never become acquainted. It was a perpetual estrangement.”
Netflix: pic.twitter.com/9E9EXs6fYo
— Julie Johnson (@AuthorJulie) July 16, 2022
„Vom Inhalt dieses Briefes hing alles ab, was sie sich von diesem Leben erhoffen konnte! Alles war möglich, alles eher zu ertragen als die Ungewißheit.“ p.275
Fazit
Nicht so leichtfüßig wie andere Austen-Romane und etwas zu gediegen am Anfang, aber mit deutlich scharfzüngiger Gesellschaftskritik.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-423-14528-2, dtv Verlagsgesellschaft
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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