Spotlight: Unsichtbarkeit (H.G. Wells „Der Unsichtbare“, „Jagd auf einen Unsichtbaren“, „Der Unsichtbare“ 2020)

War das nur der Wind? Oder hat sich da etwas bewegt? Warum fühle ich mich plötzlich so als ob ich nicht alleine im Raum wäre? Unsichtbarkeit ist ein Garant für Schauer. Angesichts des Gedankens Unsichtbarkeit wäre möglich, fühlen wir uns ausgeliefert, unsicher und vulnerabel. Solange wir sichtbar sind. Geheimnisse sind nicht mehr geheim. Und wir sehen wortwörtlich nicht, was auf uns zukommt. Unsichtbarkeit fasziniert und verängstigt nicht erst seit H.G. Wells, aber die Reise des oftmals adaptierten Motivs beginnt heute mit seinem Roman. Weil Unsichtbarkeit so vielfältig immer wieder in der Popkultur Thema ist, widme ich mich heute diesem Thema in Schrift und Bild – in Buch und Film.

Roman: H.G. Wells „Der Unsichtbare“

H.G. Wells gilt als einer der Vorreiter der Science-Fiction-Romane und sein Unsichtbarer wurde in vielen verschiedenen Formen adaptiert. Tatsächlich habe ich von allem hier besprochenen das Buch zuletzt kennen gelernt und musste feststellen, dass sich inhaltlich keine der Filmadaptionen mit seinem Buch deckt. Das ist in diesem Fall wohl ein erster Hinweis darauf, dass der Unsichtbare inhaltlich für heutige Lesegewohnheiten nicht überzeugt. Es beginnt mit der britischen Ortschaft Iping in West Sussex und einem Fremden, der während eines heftigen Schneesturms in das lokale Gast- und Wirtshaus stapft. Nicht nur durch seine barsche Art, sondern v.A. durch sein Aussehen wir er bald Gesprächsthema in Iping. Unter seinem Mantel ist sein Gesicht und Körper durch Bandagen versteckt. Er trägt eine riesige Brille und auch ansonsten ist überhaupt kein Gesicht erkennbar.

Als sich in Iping seltsame Vorfälle häufen, sucht die Gemeinde eine Verbindung zu dem Fremden. Das könnte normalerweise mit viel Suspense zu einem spannenden Whodunit mit Spuren von Xenophobie werden. Viel mehr ist es aber so, dass Lesende einen langen Atem brauchen. Während man den Vermutungen der diversen Dorfbewohner:innen folgt, bleibt der Fremde eine Randfigur. Das Rätselraten darum was mit ihm los ist, wird schon alleine dadurch vereitelt, dass der Titel des Romans der größte Spoiler ist. Es tut ein bisschen weh der Neugier und Bauernschläue der Leute von Iping über die Hälfte des Buchs hinweg zuzuhören, bevor der Unsichtbare selber zu Wort kommt und einen Namen (Griffin) erhält. Der Spannung tut das nicht gut, der Moral noch weniger.

Nach hinten raus versucht H.G. Wells die Botschaft zu verbreiten, dass Der Unsichtbare mit dem Moment moralisch verkommt und leichtfertig kriminell wird sobald er unsichtbar geworden ist. Dafür hätte er vielleicht in guter alter geradliniger Erzählweise damit anfangen sollen wie Griffin vor der Entdeckung der Unsichtbarkeit drauf war. Das wenige was man davon mitbekommt, erweckt nicht den Eindruck, dass er vorher ein moralisch unbefleckter Charmebolzen war. Was H.G. Wells aber sehr gut gelingt ist die Konsequenzen der Unsichtbarkeit aufzuzeigen. Z.B. dass Unsichtbarkeit eben den Witterungsbedingungen ausliefert. Es ist kein Spaß im Winter unsichtbar zu sein, d.h. keine Kleidung zu tragen. Auch die Brutalität gegen Ende des Buches verschafft den über weite Stellen vermissten Schauer, der doch dann aber durchaus weniger subtil ausfiel als anfangs vermutet. Die Ausgabe vom Mantikore Verlag hat in der ersten Auflage einige Tippfehler, sehr stimmungsvolle Illustrationen von Hauke Kock und ein Vorwort von Allan Shippey, das leider Spoiler enthält. Ich empfehle daher es auszulassen. Sowas ist für mich nur als Nachwort geeignet.

Besprochene Ausgabe: ISBN 9783961880034, Mantikore Verlag

Film: Jagd auf einen Unsichtbaren

Geschäftsmann, urban, ein bisschen eingebildet und Frauenheld: Nick Halloway (Chevy Chase) war es bisher nicht gewöhnt für irgendwen unsichtbar zu sein. Als er aber einer Konferenz beiwohnt und eine Forschungseinrichtung in die Luft fliegt, löst der Unfall bei dem Gebäude und leider auch bei Nick Unsichtbarkeit aus. Zufällig wird er trotzdem von CIA und allen voran David Jenkins (Sam Neill) entdeckt. Die wollen ihn untersuchen. Nick ahnt aber wie das ausgeht und flieht mit der Hilfe von Alice (Daryl Hannah), die er kürzlich kennen gelernt hat und für die er definitiv nicht unsichtbar sein will. Kaum glauben konnte ich, dass der Film von John Carpenter inszeniert wurde, weil er so verhältnismäßig popcornkino-haft geraten ist. Tatsächlich sollte den wohl auch zuerst Ivan Reitman drehen, in dessen Portfolio der eher einzuordnen wäre. Ganz abwegig ist der Wechsel aber nicht, denn der Film ist stark wegen des Spiels mit der unsichtbaren Körperlichkeit. Wenn Nick eine Weile braucht um zu verstehen, was mit ihm los ist oder seine Organe sichtbar werden, während er etwas isst, dann ist das immer noch ein toller Trick.


Memoirs Of An Invisible Man (1992) – Official Trailer, ScreamFactoryTV, Youtube

Weniger punkten kann der Film mit dem „einfach so bösen“ Bösewicht, was immer wieder zu simpel gestrickt ist. Ebenso einfach ist auch wie ein winziges Vorkommnis in der Forschungseinrichtung zu einem ziemlich verheerenden Unfall führt. ^^ Tatsächlich basiert der Film aber auf dem Buch Memoirs of an Invisible Man von Harry F. Saint, das als Persiflage zu Wells Klassiker gedeutet werden kann. Hätte man mehr Humor gestreut, dann würde sich das sicherlich anders interpretieren lassen. Der Film war kein finanzieller Erfolg, aber die Darstellung der Unsichtbarkeit fasziniert noch heute und ist erstaunlich gut gealtert. Ich würde sogar soweit gehen, dass Jagd auf einen Unsichtbaren ein besserer Take auf Unsichtbarkeit ist als Wells Buch, weil er spielerischer die Folgen dessen aufzeigt. Frieren, erkennbar sein durch Nässe, nicht essen können, was man will und wann man will, etc. Er zeigt uns außerdem einen moralisch weniger verdorbenen Protagonisten, für den man lieber die Daumen drückt, dass er durchkommt. Halloway sucht sich gewaltfreiere Wege und beweist deutlich mehr Schläue. Die moralische Verdorbenheit durch Loslösung vom Menschlichen zeigen andere Filme besser wie die Gewaltspirale in Hollow Man mit Kevin Bacon und der nachfolgende Film.

Jagd auf einen Unsichtbaren (OT: Memoirs of an Invisible Man), USA, 1992, John Carpenter, 99 min, (7/10)

Sternchen-7

Film: Der Unsichtbare

Im Schutz der Nacht will Cecilia (Elisabeth Moss) aus dem goldenen Käfig fliehen, der ihr Zuhause war. Ihr übergriffiger Partner Adrian (Oliver Jackson-Cohen) hat ihr ganzes Leben kontrolliert und scheut inzwischen nicht vor Gewalt zurück. Auch nicht als Cecilia flieht. Dank Freunden schafft sie es doch ihn zu verlassen. Wochen später erreicht sie die Nachricht, dass sich Adrian umgebracht habe und ihr sein Vermögen hinterlässt. Für andere ist es schwer zu verstehen, dass das kein Happy End ist. Cecilia Albtraum endet noch nicht. Sie fühlt sich ständig beobachtet. Kleine Zwischenfälle häufen sich und irgendwann ist für sie vollkommen klar: Adrian ist keinesfalls gestorben, sondern noch da. Wie er ihr einst angekündigt hat, ist er noch da und sie sieht ihn nicht kommen.

In ihrem Umfeld halten einige Cecilia für wahnhaft und deuten es als das Ergebnis jahrelangen physischen und psychischen Missbrauchs. Die Erklärung ist denkbar einfach angesichts Adrians Todes. Und entsprechend denkbar gefährlich für Cecilia. Das in diesem Film gefährliche Dilemma des „Nicht gehört werdens“ und Elisabeth Moss‘ Leistung trägt für mein Empfinden den Film. Inszenatorisch spielt Stefan Duscios Kameraarbeit mittels Totalen und langsamen Schwenks auf Cecilia und ihre Umgebung mit unserem Verstand und unserer Wahrnehmung. Hat sich da gerade was bewegt, weil Adrian da ist oder war es der Wind am geöffneten Fenster? Der Effekt des übergroßen Wimmelbilds funktioniert, aber mit Abstrichen. Es gibt Situationen, in denen die plötzliche Bewegung keinen Zweifel lässt und für all den Schauer sorgt, den das Szenario der Unsichtbarkeit unweigerlich fördert. Aber auch welche in denen man sich zwangsläufig fragt, ob da nun wirklich nichts war oder man nicht richtig hingeschaut hat? Einerseits bringt uns das in eine ähnliche Lage wie Cecilia und fördert das Aufgehen im Horrorszenario des Unsichtbaren, andererseits wird das von Person zu Person auch wirkungsvoller sein als es wohl für mich war. Der Hang zu gepflegter Langeweile kann aufkommen.

Wirklich niemand, den ich kenne oder deren Reviews ich gelesen habe, lobt aber die Kampfszenen. Die sind leider seltsam künstlich und schaffen es nicht gleichzeitig dem unsichtbaren Körper Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig die sichtbaren Personen glaubhaft zu inszenieren. Was auch nicht passen will ist die Charakterisierung. Es fällt zunehmend schwerer einzuschätzen was für Personen Cecilia und Adrian überhaupt sind. Welchen Charakter ihre Beziehung hatte und ob sie nicht ahnen konnte zu was Adrian fähig ist. Und so hinterlässt einiges am Ende und an Cecilias Tour de Force einen schalen und künstlichen Beigeschmack, der statt in Twists zu investieren, das lieber in die Charaktere getan hätte.

Der Unsichtbare (OT: The Invisible Man), USA/Australien, 2020, Leigh Whannell, 124 min, (7/10)

Sternchen-7


Der Unsichtbare – Trailer deutsch/german HD, Universal Pictures Germany, Youtube

Header image uses a photo by Paul Green on Unsplash

Zu meinem kompletten Glück fehlt in dieser Liste eigentlich noch eine Serie. 🙂 Aber ich denke ich habe jetzt auch genug von dem Thema Unsichtbarkeit. 🙂 Freue mich aber immerhin mal wieder eine Ausgabe von Spotlight posten zu können. Und dann noch so eine halloween-wirksame. 😈 Oh … hat sich da gerade was hinter dir bewegt? Schau lieber mal nach.

Eine Antwort

  1. „Der Unsichtbare“ hat mir auch ganz gut gefallen – gemessen daran, dass ich eigentlich keine großen Erwartungen daran hatte 😉

    Falls du eine Serie zum Thema suchst, dann kann ich dir das belgische „Unseen“ ans Herz legen. Auch nicht der ganz große Kracher, aber es ist eine kleine, nette Serie. Hatte sie im Frühjahr auf ZDFneo erwischt, vielleicht gibt es sie ja noch in der Mediathek. (7/10 von gab es dafür von mir – Link: https://nummerneun.de/2022/05/22/kw-1920-2022-eeaao-lea-porcelain-landscapers-unseen-und-die-grossen-finals/ )

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert