Jetzt, wo es straff auf das Jahresende zugeht, lockt wieder das Schnitzen von Bestenlisten und die Rückschau auf das, was 2022 gewesen ist. Da drängt es sich förmlich auf im Booleantskalender die Serien zu besprechen, die besonders begeistert haben. Heute mit zwei Anime, die eine glatte 9 von 10 sind und damit der Perfektion zumindest für mein Empfinden nah. Die Besprechungen sind spoilerfrei.
„Made in Abyss“ Season 1
Made in Abyss basiert auf einem seit 2012 erscheinenden Manga von Akihito Tsukushi, der bisher auch in zwei Staffeln als Anime adaptiert wurde. Der titelgebende Abyss ist ein steiler Abhang inmitten der Stadt Orth. Der Schlund führt in eine rätselhafte Welt, in der Menschen nur bis zu einem bestimmten Grad abtauchen können, ohne größere Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Kein Spaß – im Abyss lauern Monster, Krankheiten und Rätsel. Aber auch besondere Artefakte, weswegen der Höhlentaucher:innen anzieht. Für viele geht es tödlich aus. Auch die Waise Riko und ihre Freunde werden ausgebildet. Eines Tages begegnet sie einem Monster, das sie fast niedermetzelt. Gerettet wird sie von einem Androiden bzw. „Roboterjungen“, der offenbar sein Gedächtnis verloren hat. Die Vermutung liegt nahe, dass er ein wandelndes Artefakt aus dem Abyss ist. Riko gibt ihm den Namen Reg und versucht ihn zu verstecken, damit er nicht als Artefakt weggeschafft wird. Als dann aber im Zuge einer Höhlenerkundung eine Nachricht von Rikos Mutter mit nach oben gebracht wird, beschließt sich zusammen mit Reg so tief in den Abyss abzusteigen wie möglich. Die Nachricht impliziert, dass Rikos Mutter möglicherweise noch am Leben und im Abyss verschollen ist.
MADE IN ABYSS Official Trailer, Sentai, Youtube
Der süßlich-kindliche Look der Charaktere steht im wirklich krassen Gegensatz zu dem eigentlichen Inhalt des Anime. Man kann einschalten, auf eine nette Entdeckerstory warten und freuen. Das liefert Made in Abyss auch ab. Es ist faszinierend zu sehen in was für Landschaften Riko und Reg da abtauchen – der Trailer oben gibt vielleicht einen kleinen Vorgeschmack. Flora und Fauna sind durchdacht und fantasievoll, die Welt des Anime folgt ihren Regeln und die Animation ist durchgängig hochwertig. Was man aber auch in dem Anime finden wird, ist Anlass schockiert zu sein und auch mal ein paar Tränchen zu vergießen. Denn unter Höhlentauchern geht es nicht zimperlich zu. Es werden moralisch schwierige Entscheidungen getroffen, den Kindern wird es nicht leicht gemacht und v.A. ist der Abyss wirklich gefährlich. Mit jeder Schicht hat der eine andere Wirkung auf Besuchende und Forschende. Bald schon kann man von Bodyhorror sprechen. Insbesondere die letzte Hälfte des Anime und die Geschichte von Mitty und Nanachi hat mich mitgenommen.
Man kann es nun für sehr gewollt halten, dass dem Chibi-Look der Charaktere eine besonders harte Story entgegengesetzt wird. Klar, der Kontrast erscheint dadurch umso größer, schockt mehr. Aber mein härterer Kritikpunkt ist, dass die Kinder überhaupt soweit gekommen sind – Regs Fähigkeiten hin oder her. Zusammenfassend kann ich aber allen, die Entdeckergeist verspüren und moralisch harte Themen interessant finden, empfehlen reinzuschauen. (9/10)
Cyberpunk: Edgerunners
Manch einer scheut sich ja vor dem Begriff Anime, wenn von Cyberpunk: Edgerunners die Rede ist. Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine Kooperation zwischen dem polnischen Game Developer CD Projekt und dem japanischen Animationsstudio Trigger, das eben auch das Character Design und den Look vorgibt. Schauplatz der Serie ist die Welt des Computerspiels Cyberpunk 2077 und importiert daraus ihr Szenario und ihre Begriffe. Wenn man etwas Geduld hat, findet man sich aber auch leicht in dem Anime zurecht ohne das Spiel zu kennen. Die Prämisse der ersten Folge mag nicht neu sein, aber Zuschauende sind wegen des Helden unserer Geschichte und der Klassenkonflikte schnell emotional involviert. Cyberpunk: Edgerunners beginnt mit David Martinez, der auf der bekannten Arasaka Academy zur Schule geht. Seine Mitschüler machen ihm tagtäglich klar, dass er dort nichts zu suchen hat, weil die Academy normalerweise betuchten Familien vorbehalten ist, während Davids Mutter die Gebühren quasi abstottert. Als David und seine Mutter zu „Kollateralschäden“ des Kampfs zwischen rivalisierenden Cyberpunks werden, stellt sich ihm bald die Überlebensfrage: Wie soll es weiter gehen? David schließt sich den Edgerunnern Lucy und Maine an, die quasi Cyberpunk-Söldner sind und bewegt sich damit am Rand der Legalität, um sich in der Nahrungskette Night Citys behaupten zu können.
Cyberpunk: Edgerunners | Official NSFW Trailer | Netflix, Youtube
Edgerunner zu sein bedeutet auch mal zur Waffe zu greifen, bedeutet Diebstahl zu begehen oder ein fremdes System zu hacken wie Lucy, die in „Ghost in the Shell“-Manier in digitale Umgebungen abtaucht. Night City ist der Ort wo auch Megacorp(oration)s den Alltag bestimmen und die Hackordnung vorgeben. Maine, Lucy, David und ihre Gruppe gerät nicht selten zwischen die Fronten der Megacorps Arasaka und Millitech. Um hier mithalten zu können, greifen sie mehr und mehr zu Cyber-Prothesen, die ihnen bei ihrem jeweiligen Spezialgebiet helfen. David scheint dafür nicht gebaut zu sein, aber er hält einer besonders invasiven Prothese stand und macht sie zu seinem Markenzeichen. Immer wieder bekommt er gesagt, dass er damit etwas besonderes sei – und beginnt das zu glauben.
Besonders ist aber v.A. sein Moralkompass und Empfinden das Richtige tun zu wollen. Lucy und ihn verbindet eine zarte, anfangs von Misstrauen geprägte Verbindung. Hat das in einer Welt wie dieser Bestand, wo der Niedergang nur einen Verrat entfernt ist? Und wenn einen nicht die Megacorps kriegen, dann leidet man wegen der ganzen Prothesen an einer Psychose, die einen langsam in den Abgrund zieht. Cyberpunk: Edgerunners ist noir, weil sich unsere Protagonist:innen in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung stürzten. Nach dem high kommt das low. Rein optisch setzt der Anime den Noir-Aspekten v.A. den Punk aus dem Wort Cyberpunk entgegen. Charaktere und Umgebung wird stimmungsvoll in das Grell der Neonreklamen Night Citys getaucht. Die Animation ist erstklassig, rasant und der Ton hat alles: traurig, smart, actiongeladen, noir, witzig. Das Character Design ist cool und vielseitig. In das Überleben in Night City mischt sich eine bittere Kapitalismuskritik und eine Warnung an Quasi-Monopole. Es ist nie gut, wenn einer zuviel Macht hat. Eine sehr coole Serie, deren einziges Manko wohl sein kann, dass man auf zehn Meter Entfernung riecht wie das ausgeht. Auch „schade“: die Nacktszenen sind wieder sehr einseitig auf die Geschlechter verteilt. (9/10)
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Obwohl mir ein Arbeitskollege „Made in Abyss“ schon mal ans Herz gelegt hat, war ich eher weniger vom Look des Anime begeistert. Der kindliche Chibi-Look der Protagonist:innen war so gar nicht meins. Zwar meinte mein Kollege auch, dass es einige fiese Twists gäbe, aber so richtig war ich nicht zu ködern. Was hat es gerichtet? Ich fand den Anime auf einer Liste der „verstörendsten Anime“ und das passte plötzlich mit dem Look so gar nicht zusammen und hat mich neugierig gemacht. Bei „Cyberpunk: Edgerunners“ bin ich dann ebenfalls einer Empfehlung gefolgt, dem überschwänglichen Lob von Film-, Serien- und Anime-Twitter. Ich habe es nicht bereut. 🙂 Wie haben euch die Anime gefallen? Oder plant ihr jetzt ihnen mal eine Chance zu geben? Beide kann man Stand heute auf Netflix sehen, „Made in Abyss“ zusätzlich bei anderen Streaming-Anbietern.
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