ausgelesen: Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“

Als Im Westen nichts Neues neuverfilmt wurde und auf Netflix landete, war das der erste Impuls. Als mein Freund sich auf einen Schlag vier Remarque-Bücher zulegte, war das v.A. praktisch. Die zig Bafta-Gewinne und Oscar-Nominierungne brauchte es dann schon nicht mehr, um mich davon zu überzeugen Buch und Neuverfilmung eine Chance zu geben. Doch was war mit meiner Erinnerung? In der Schule lasen wir Erich Maria Remarques Roman, … oder? Alles woran ich mich erinnern konnte war aber die Pferde-Szene. Viel mehr Erinnerung sollte auch nicht zurückkommen und es fühlte sich fast wie das erste Mal Im Westen … lesen an. Beginnt man nun nach Remarques einprägsamen, einleitenden ersten Worten mit dem Roman, dann ist man schon mittendrin.

„Wir waren plötzlich auf furchtbare Weise allein; – und wir mußten allein damit fertig werden.“ (p.21)

Geschrieben aus der Ich-Perspektive begleiten wir Paul Bäumer, der von Seite eins Krieg entglorifiziert. Essensrationen sind knapp, es steht schlecht um die Hygiene, der Feind ist besser ausgerüstet und nach dem nächsten Schlag nehmen wir bereits von einigen von Pauls Freunden und Kameraden Abschied. Mit einigen von denen hat er die Schulbank gedrückt. Rückblicke von verblendeten Lehrern verraten wie die Jungen hineinkomplimentiert und überredet wurden sich für den Krieg zu melden. Als etwas großartiges, glorreiches hat man es ihnen verkauft. Helden würden sie sein. Und überhaupt ihre Pflicht tun. Es geht zur Sache und das sehr schnell. Die Szene in der verletzte Pferde mit erbärmlichen Lauten über das zerklüftete Schlachtfeld driften und letzten Endes erlöst werden, war wohl damals für mich das einprägsamste Bild. Alles andere konnte ich mir vielleicht nicht vorstellen, obwohl es aus heutiger Sicht doch so einnehmend geschildert ist.

„Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung? Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute.“ p.26

Damit meine ich keinesfalls, dass es ein leicht zu lesendes Buch ist. Aber es ist ein schnell zu lesendes, ein konsumierbares. In kleinen Dosen kommen die Kapitel daher und schildern abwechselnd Freud und Leid. Wie es sich die Kameraden versuchen angenehmer zu machen, wie sie Kabbeleien austragen und einander gut zureden. Alle Gefühle werden adressiert. Depression und Sehnsucht nach der Heimat. Wut und Trauer. Eine der Szenen, die mich jetzt noch rasend vor Wut macht ist die als Paul auf Fronturlaub in der Heimat unter Leute kommt und ihm ein Stammtisch voller Kerle im besten Alter erzählt was sie an der Front alles falsch machen. Einer verabschiedet ihn mit den Worten „Alles Gute! Hoffentlich hören wir nun bald etwas Ordentliches von euch.“ (p.173). Wut. Wut, Wut, Wut. Aber es gibt auch unbenennbare Gefühle. Unbenennbar wie das langsame Vergessen wie es sich angefühlt hat sauber zu sein. Wie man sich abseits des Schlachtfelds benimmt und bewegt. Wie man normal lebt. Oder das schleichende Verbleichen der Erinnerung Pauls, der eben noch einem sterbenden, feindlichen Soldaten versichert hat nie wieder einen zu töten.

„Kropp dagegen ist ein Denker. Er schlägt vor, eine Kriegserklärung solle eine Art Volksfest werden mit Eintrittskarten und Musik wie bei Stiergefechten. Dann müßten in der Arena die Minister und Generäle der beiden Länder in Badehose, mit Knüppeln bewaffnet, aufeinander losgehen. Wer übrigbliebe, dessen Land hätte gesiegt. Das wäre einfacher und besser als hier, wo die falschen Leute sich bekämpfen.“ p.48

„Deutschland muss bald leer sein“ (p.281)

Insbesondere unter die späteren Passagen des Buches mischt sich ein Gefühl der Verzweiflung und Verrohung. Sie alle fragen sich, wofür sie überhaupt kämpfen. Wessen Krieg ist das eigentlich? Die Ausgabe, die in unseren Haushalt eingezogen ist, ist eine Neuauflage der 2010er Jahre mit einem ausführlichen Nachwort. Darunter sind Editorische Notizen und erste Fassungen. Dank derer erfahren wir, dass Remarque ähnlich seinen Protagonisten im Ersten Weltkrieg gedient hat. Nach kurzer Zeit an der Front wurde er verletzt und lag lange im Militär-Hospital. Dort entstanden erste Fassungen und in den darauffolgenden Jahren immer mal wieder Abschnitte, die später in andere Figuren in Im Westen nichts Neues aufgingen. Diese Annäherungen an das Endprodukt zu lesen, sowie Rezeption Remarques, war enorm spannend. Im Westen nichts Neues wurde Teil einer Trilogie. genauer ist es der Teil, der den Krieg selbst schildert. Während Der Weg zurück und Drei Kameraden sich dem „danach“ widmen.

„Ein Befehl hat diese stillen Gestalten zu unseren Feinden gemacht; ein Befehl könnte sie in unsere Freunde verwandeln. An irgendeinem Tisch wird ein Schriftstück von einigen Leuten unterzeichnet, die keiner von uns kennt, und jahrelang ist unser höchstes Ziel das, worauf sonst die Verachtung der Welt und ihre höchste Strafe ruht. […]“ Ich erschrecke; hier darf ich nicht weiterdenken. Dieser Weg geht in den Abgrund. p.198

Bis dahin legte das Buch aber einen langen Weg zurück. Einige Fassungen wurden abgelehnt und wie man den Nachworten entnehmen kann derart abgeändert, dass sie weniger kaiser- und kriegskritisch sind. Eines ist aber auch so glasklar – es ist Antikriegslektüre. Es zeigt wie verloren diejenigen sind, die zur Waffe greifen müssen, weil ein abwesender Herrscher es befiehlt. Auch der spätere Ruhm bzw. die Ungnade vor den Nazis bekräftigt den Status von Im Westen nichts Neues als Antikriegsroman. Selbst die Verfilmung sollte durch NSDAP-Boykott verhindert werden. Manchmal sind es selbst solche Kapitel, die umso stärker zeigen, warum das Buch gelesen werden sollte. Konnte mein Schul-Ich sich das nicht vorstellen? Oder haben wir damals nur einen Ausschnitt gelesen? Sollte man es in der Schule lesen oder ist das zu hart? Darüber habe ich meine Meinung noch nicht vollständig zu Ende gebildet, aber ich weiß eines: es ist ein wichtiges Buch und dazu noch ein richtig gutes. Es tut alles das, was ich hier vermisst habe.

Fazit

Eindrucksvoller Roman

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-462-04581-9, Kiepenheuer & Witsch

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

8 Antworten

  1. Für vieles ist man in der Schule einfach noch zu jung, fürchte ich. Das Buch habe ich vor vielen Jahren gelesen, aber so richtig viel ist leider nicht hängen geblieben, auch wenn ich es gut fand. Die Netflix Verfilmung war auch sehr gelungen und eindrucksvoll, hat aber leider dieses Naive und Abschätzige in der Heimat nicht so richtig rüber bringen können, inkl. der Herleitung des Titels. Aber trotzdem ein guter Film.

    Wenn du sagst, in eurem Haushalt sind noch mehr Werke von Remarque: Kannst du davon bereits etwas empfehlen?

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, ich weiß immer noch nicht, ob ich das fast komplett verdrängt habe, oder ob wir das tatsächlich nicht gelesen haben in der Schule.
      Den Film habe ich auch erst vor ein paar Tagen geschaut und fand den verglichen zur Vorlage übertrieben brutal. Ob das der Sache dient? Schwierig. Manches davon sicherlich (der krass-verblendete General), anderes davon war ein touch too much (die Feuerwerfer) für mein Empfinden. Aber die Einleitung fand ich echt stark. Also im Film.
      Was die Heimat betrifft, kann ich dir nur zustimmen. Das hat für mich im Film auch gefehlt. Auch nur allein um die Entfremdung zu zeigen und wie wenig Plan die Zuhausegebliebenen davon haben, was dort eigentlich tagtäglich passiert.

      Es ist leider das erste von Remarque, das ich gelesen habe! Also kann ich da leider nicht wirklich aus erster Hand was empfehlen. Ich habe aber schon mehrmals gelesen, dass „Der schwarze Obelisk“ sehr empfehlenswert sein soll, weswegen ich den nach etwas Verschnaufpause als nächstes lesen wollte.
      Der behandelt das Schicksal zweier Personen und da spielt eher die Orientierung in der Nachkriegszeit eine Rolle, aber wohl auch mentale Gesundheit. Und der Krieg selber spielt eine untergeordnetere Rolle. Vom Ton her soll der sich wohl etwas von der Trilogie um IWnN absetzen.

      1. „Auch nur allein um die Entfremdung zu zeigen und wie wenig Plan die Zuhausegebliebenen davon haben, was dort eigentlich tagtäglich passiert.“

        Das ist halt einfach ein spannender Punkt, der auch gut auf viele aktuelle Kommentare zum Ukraine-Krieg passt.

        Bei mir lagen viele Jahre zwischen dem Roman und dem Film, daher kann ich die beiden Sachen nur schwer vergleichen.

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Absolut (Parallele Umgang mit Ukrainekrieg).

          Ja, das ist ja normal … aber umso spannender, wenn man mal die Gelegenheit hat beides zu vergleichen. Ich werde aber auch nicht immer Lust haben vorher nochmal „schnell“ das Buch zu lesen. Aber dieses Mal war’s drin

  2. „Im Westen nichts Neues“ ist eines dieser Werke, die ich vom Titel her seit der Schulzeit kenne, obwohl wir es nie gelesen hatten – und auch nie näher im Unterricht behandelten. Aber irgendwie bekam man doch von diesem Buch mit, ohne sich eine nähere Vorstellung davon machen zu können. Neugierig wurde ich damals aber auch nie darauf. Vielleicht weil es mir in einer Phase begegnete, in der Literatur und Klassiker für mich v.a. mit drögen Endlos-Interpretationen und einengenden Vorgabe von Erwachsenen über „bedeutungsvolle Literatur“, bei denen aber keine eigene Begeisterung mitschwang, verbunden war. In dieser Phase lehnt ich grundsätzlich jeden „Klassiker“ des 20. Jahrhunderts ab. Weder logisch noch klug, aber eben resultierend aus einer schulischen Literaturvermittlung, die ihre Schüler*innen nicht emotional, sondern rein rational abholen will.

    Als die Neuverfilmung erschien, haben wir sie uns kurz nach Erscheinen angesehen – hat mich tagelang beschäftigt und ich dachte mir: „So muss Auseinandersetzung mit Krieg erfolgen, um Krieg endlich zu entglorifizieren und das Grauen und Unmenschliche von Kriegen und bewaffneten Konflikten klar zu machen.“ Ja, der Film war unglaublich brutal – aber vielleicht braucht es genau sowas zum Aufrütteln – erst recht in einer Zeit, in der bereits Kinder und Jugendliche immer häufiger mit Gewalt in Fiktion und Nachrichten konfrontiert werden, und schnell „abgebrüht“ wirken.

    Dass die Flammenwerfer im Buch nicht vorkommen, wusste ich nicht. Überrascht hat mich das im Film aber nicht, da ich den Einsatz von Flammenwerfern auch schon aus anderen (Anti-)Kriegsfilmen kannte. So gesehen also wohl einfach ein Mittel, um zu zeigen, dass Krieg nicht immer den schnellen, sondern auch oft sehr qualvollen Tod bedeutet?!

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, die „Listen von Literaturklassikern“ oder Vermittlung von Literatur durch Schule oder mit dem erhobenen Zeigefinger diskutierende Dritte ist wenig hilfreich um manchen Büchern aufgeschlossen zu begegnen. Ging mir mit vielen anderen ähnlich. Bei mir war es auch erst die Gymnasialzeit, die das wieder kitten konnte und mich mal neugierig auf die Klassiker gemacht hat.
      Wenn ich da so an manche Momente zurückdenke, frage ich mich auch wie man denken konnte mit der Art und Weise was gutes zu tun. Oder was hilfreiches. Aber zwei Lehrern habe ich zu verdanken, dass sich das geändert hat.

      Ich bespreche den Film dann eh nochmal in Kürze, weil er ja für soviele Oscars nominiert ist. Aber mein Problem mit dem Entglorifizieren bei dem Film ist, dass das auch ganz schnell verkannt werden kann. Es ist eben ein ziemliches Gore-Feuerwerk, das auch viel die Mittellosigkeit statt die Sinnlosigkeit anspricht und damit den Eindruck hinterlassen kann „hätten sie besser geplant, hätten sie schlauer geplant, hätten sie mehr Mittel gehabt, dann wäre alles schick“. Und das ist ja eben nicht so.
      Stattdessen finde ich es rückblickend bewundernswert wie sinnlos das Buch Krieg darstellt ohne zu solchen Mitteln zu greifen. Krasser ist nicht immer besser.

      Außerdem muss ich mich fragen, ob der Film für diese Darstellung und den ganzen Gore wirklich cineastische Preise verdient hat, oder ob hier mehr ein Gedanke belohnt wird. Das finde ich wiederum schwierig.

      1. „den Eindruck hinterlassen kann „hätten sie besser geplant, hätten sie schlauer geplant, hätten sie mehr Mittel gehabt, dann wäre alles schick“.“ Hm, sowas kann ich aus dem Film nicht rauslesen, sondern nur die Brutalität, wie dort Menschenleben zerstört werden und mit welch manupilativer Rhetorik die Bevölkerung dazu gebracht werden soll, für den Krieg „zu brennen“: Aber mag sein, dass andere anderes reininterpretieren. Das ist imho aber leider oft so bei Literatur über Krieg oder Propaganda: Sie kann durchaus hin und wieder so ausgelegt werden, dass sie jenen dienen soll, deren Absichten sie eigentlich anprangert – siehe z.B. „1984“ das nur allzu gern als von jenen zitiert wird, die selbst gern zensieren möchten und Menschen in „schlecht“ und „gut“ einteilen.

        Für mich ist der Film aus handwerklicher, technischer und schauspielerischer Sicht sehr qualitativ und verdient die Preise. Aber ja, dadurch bekommen Gore und krasse Szene wieder mehr Aufmerksamkeit – und ich habe oft das Gefühl, dass gerade bei den Oscars nicht immer die handwerklich gut gemachten Filme gewinnen, sondern oftmals jene mit den besten Effekten, den krassesten Ausprägungen und dem Spiel mit Extremen und Schock. Bei „Joker“ frag ich mich bspw. auch immer wieder, ob dieser Film genauso viele Preise und Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn Joaquin Phoenix nicht so stark abgenommen hätte und der Film nicht so viele heftige Szenen gehabt hätte. (Auch wenn der Film wirklich gut ist – aber nicht wegen eben dieser „Effekthascherei“.)

  3. […] Neugier auf Remarques Buch wecken und die Relevanz des Romans erkennen. Auch Miss Booleana hat sich mit dem Stoff auseinandergesetzt und ist […]

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