Leipziger Buchmesse 2023 – der Freitag. Zeitzeugen, Manga-Boom und die Ukraine

Wow – drei Jahre ohne Messe. In der Zwischenzeit vermisste ich sie und die Treffen mit lieben Blogmenschen und Bekannten, die man doch quasi immer nur zur Buchmesse sah. Ich las Beiträge und Debatten, ob die Messe überhaupt zurückkommt. Mir wurde Angst und Bange. Schließlich ist doch die LBM weniger Business und hat auch Platz für Subkultur, nicht nur gemessen an der Manga Comic Con (MCC). Dann kamen die Lockerungen, der Termin, die ausgebuchten Hotels, das Programm. Es passiert! Und da bin ich nun nach zwei Tagen Leipzig und zwei Tagen Messe. Wie war’s?

Davor

Wieso überhaupt drei Tage Leipzig, zwei Tage Messe? Was mache ich denn in Leipzig? Naja, das Lesefest „Leipzig liest“ findet auch außerhalb des Messegeländes statt. Quasi überall in Leipzig. So nahm ich donnerstags eine Veranstaltung außerhalb wahr. Eine von Denis Scheck moderierte Lesung von Julia Schoch mit ihrem neuen Roman Das Liebespaar des Jahrhunderts. Den Rest der Zeit nutzte ich für etwas ganz unerwartetes: Nostalgie. Ich bin in meiner Teenager- und Studienzeit oft in Leipzig gewesen und nutze den Ausflug, um manchmal vielleicht sogar nur durch die Stadt zu laufen. Zu schauen, ob noch alles da ist, wo ich es erwarte und das Flair zu genießen. Auch ein Teil meines „davors“: Absagen. Die Welt hat sich weiterbewegt. Für viele meiner Freunde, Familienmitglieder und Nachbarn aus der Bloglandschaft kam der Termin ungelegen. Ich sah der Messe mit gemischten Gefühlen entgegen. Drei Tage durch Leipzig laufen und mit niemanden reden, den ich kenne? Schade.

Mal eben in der Schlange treffen

Das mag die Aussicht vor dem Messe-Freitag gewesen sein, aber dabei blieb es nicht. Als ich gerade voller Nostalgie im Blut durch die Hallen schritt und genoss, das gewohnte wiedergefunden zu haben, fand ich in der Schlange an Halle noch 3 noch jemand anders. „Na, du auch hier?“ Ein bekanntes Gesicht zwischen sovielen Unbekannten. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit? Das blieb ein Trend. Nicht nur, dass ich ehemalige Arbeitskollegen und einen Lehrer aus meiner Abi-Zeit traf, die Messe war viel weniger anonym als ich dachte.

Leipzig hat sich rausgeputzt

Auch ansonsten fiel die Messe und die ganze Organisation positiv auf. Das Ticket gibt es inzwischen noch bequemer digital, auch der Akkreditierungsprozess ist online und unkompliziert. Die Taschenkontrolle ist gewichen, die nach Gehrichtung getrennten Laufwege und Ordner:innen bleiben. Leipzig war insofern gut auf die Besucherströme vorbereitet, dass es auch schon wie in den Vorjahren freundliches Personal gab, dass an Hauptbahnhof- und Messegelände-Haltestellen der Öffis die Massen gut gelaunt anwies. Das einzige, worin die Messe GmbH dann doch nochmal investieren sollte ist eine sinnvolle Messe-App. Dass man sich im Web eine Merkliste aus dem Programm zusammenbasteln kann, ist ja ganz schön. Die (Android-)App beispielsweise kann aber keine Benutzerkontensteuerung, wodurch man dort nicht auf dieselbe Merkliste zugreifen kann. Mein Behelfsmittel war sie mir als Kalenderitems aus der Webseite exportieren zu lassen und in meinen mobilen Kalender zu übernehmen. Andere kleine Schwächen der App sind, dass man für alles Wissenswerte erst zwischen verschiedenen Views wechseln muss. Wo ist meine Veranstaltung? Aha – und welche Halle ist das? Rüber in den Ausstellerplan. Unnötiges Rumgesuche, warum nicht auf die Halle verlinken?

Die Ukraine auf der Messe

Zwei meiner vormittags Programmpunkte zentrierten dann die Ukraine. Die Messe war schon immer politisch. Das ist sicherlich nicht nur eine Tugend, sondern auch dem Umstand geschuldet, dass natürlich auch der Buchhandel, Verlage und Autor:innen auf das Weltgeschehen reagieren. Dem Reporter Daniel Schulz hörte ich im Interview mit detektor.fm auch aus persönlichem Interesse zu wie er einerseits sein Buch Ich höre keine Sirenen mehr vorstellte, aber v.A. davon redete, dass der Alltag trotz des Krieges weitergeht. Wie „normal“ Sirenengeheul wird und wie unnormal, wenn man wieder nach Deutschland einreist und meint überall Phantomsirenen zu hören. Auch wie allumfassend der Krieg ist und wie groß die Gefahr seine Freunde nicht nur an Raketen zu verlieren, sondern einfach wegen der Kluft zwischen denen, die Krieg durchstehen müssen und denen, die weit weg davon sind. Dass er einen Unterschied zwischen russisch (als Ethnie) und russländisch (als Begriff für die imperialistischen Bestrebungen) macht, höre ich auch in meinem ukrainischen Freundes- und Bekanntenkreis, weswegen bei mir der Eindruck entstand: Schulz kennt seinen sh*t.

Bittere Ironie: vor Jahren noch lauschten wir am Stand der Ukraine auf der LBM mit einem erschütternd kleinen Publikum ukrainischen Autor:innen als der Krieg noch ein schwelender war und kein heißer Angriffskrieg wie jetzt. Nicht nur war die Ukraine präsent im Programm, sondern bekam auch einen großen und gut besuchten Stand spendiert. Man könnte jetzt argwöhnen: was muss eigentlich passieren, damit das passiert!? Aber ich schätze das liegt in der Natur der Dinge. Kurze Zeit später besuchte ich dann auch noch die Lesung der Niederländerin Lisa Weeda, die kürzlich ihren Roman Aleksandra veröffentlichte. Weeda lebte eine Zeit lang in Deutschland und las auch selber aus der deutschen Übersetzung. Ihr Roman vereint die Geschichte ihrer ukrainischen Familie mit magischem Realismus. Es war bedrückend zu hören, dass ihr Onkel verschwand, weil er nicht mit den russischen Besatzern in der Ostukraine zusammenarbeiten wollte. Der sh*t passiert, nicht nur in der Literatur. Ansonsten war die Lesung aber weitaus weniger bedrückend als es den Anschein haben mag. Der Abschnitt des Buches handelte von einem typisch ukrainischen Familienessen. Die Fülle an Speisen und die Aufforderung noch mehr und mehr zu essen kam mir bekannt vor. 🙂

Autorinnen

Mit einer netten Abwechslung aus eine halbe Stunde rumstromern, danach wieder eine halbe Stunde einer Veranstaltung beiwohnen, bewegte ich mich also über die Messe. Zwischen den Programmpunkten oben, sah ich auch Liv Strömquist live, die ihren neuen Comic Astrologie vorstellte. Dass Gesa Ufer sie interviewte war ein anderes kleines Highlight, da ich ihre Stimme sonst vom radioeins Buch-Podcast Die Literaturagenten kenne und nun auch ein Gesicht dazu habe. Astrologie ist nicht so sehr mein Thema. Aber wie die ansonsten so feministisch und politisch aufgestellte Liv Strömquist ausgerechnet zu Astrologie kommt, war sehr spannend und witzig zu hören.

Wie wird sich unser Erinnern verändern?

Als ich zur Schule ging, wurde einmal eine Zeitzeugin eingeladen, die uns von ihrer Zeit im Zweiten Weltkrieg berichtete. Damals kündigte das unsere Lehrerin an als etwas großes – was es ja auch ist. Es war ein sehr emotionaler Tag in der Schule. Unsere Lehrerin sagte damals auch, dass es in absehbarer Zeit keine Zeitzeugen mehr gibt, die ein KZ durchstehen mussten. Damals sah ich Geschichte das erste Mal mit anderen Augen. Als etwas vergängliches, aber auch als etwas, das man nicht als gegeben hinnehmen darf, sondern bewusst erhalten muss. Als also die Deutsche Nationalbibliothek das Projekt digitaler Zeitzeugeninterviews vorstellte, war ich umso neugieriger. Würde künftige Generationen doch noch Zeitzeugen befragen können? In der Nationalbibliothek kann man künftig Kurt S. Maier zu seiner Zeit im Lager und im Exil befragen. In Zeiten von MetaHuman, DeepFakes und ChatGPT stellt sich die Frage wie authentisch digitale Interviews sind? Dieses hier ist es. Kurt S. Maier wurden 900 Fragen gestellt und seine Antwort auf Video aufgenommen. Die KI kommt nur beim Mapping der Frage auf die Antwort Maiers zum Einsatz. Die laute Messe-Geräuschkulisse hat es nicht einfach gemacht dem digitalen Herrn Maier Fragen zu stellen, aber die Antworten waren nicht minder beeindruckend. Vielleicht ist es die Lösung auf die Frage nach Zeitzeugnis. Es kommen noch die Interviews einer Zeutzeugin dazu, während das Projekt noch viele Interviews mehr umfasst, auch in anderen Sprachen.

MCC, Manga-Boom und deutsche Manga

Wer mich kennt, fragt sich sicherlich schon: wie? Und warst du gar nicht auf der MCC? Doch natürlich 😀 Best for last (oder so). Zu meiner Überraschung expandierte die MCC. früher lediglich in Halle 1 aufgestellt, wurde die MCC nun auch auf einen kleineren Bereich in Halle 3 erweitert. Freut vielleicht nicht alle, ist aber eine gute Entscheidung. Dort waren hauptsächlich die Verlage zu finden, während der Merch in Halle 1 lockte. Wer Perrücken, Kuscheltiere, Figuren, Bentoboxen und Shirts sucht, wurde also am ehesten dort fündig. Kam für mich etwas überraschend und sorgte dafür, dass ich mit Halle 1 nicht ganz soviel anfangen konnte. Wer dann doch eher Interesse an Mangas hat, und damit meine ich wirklich die Bücher, geht zurück in Halle 3. Zu den positiven Auswirkungen des ganzen zählt aber, dass in Halle 1 die Gänge deutlich breiter waren und man sich weniger erstickt fühlte – auch am Samstag.

Angehört habe ich mir einen Beitrag von u.a. libri und Altraverses Jo Kaps über den Manga-Boom. Was ich aus der Beschreibung des Programmpunkts nicht rausgelesen habe ist, dass sich der  vornehmlich an Buchhändler:innen richtete. Nun, das bin ich nicht. Aber ergänzend zu den Ausführungen kann ich noch sagen: will man als Buchhändler:in fit sein um seine Kundschaft in Mangadingen zu beraten, ist es sicherlich auch hilfreich, wenn man einfach mal welche liest und guckt wie man das so findet und so die Kundschaft vielleicht auch besser versteht. Von dem Programmpunkt abgesehen habe ich auch gern Dominik Jell gelauscht, der seinen Debut-Manga Mortalis vorgestellt hat und wie er die Kulissen seiner Heimat in den Horror-Manga einarbeitete. Sympathischer Typ. Allerdings hätte ich es befürwortet, wenn er nicht soviel gespoilert hätte. 😉

Danach

Der lange Messetag hat sich angenehm vertraut angefühlt, so als ob es die letzten drei Jahre Pandemie nicht gegeben hätte. Vielleicht war es soagr noch relevanter, noch bunter als ich die Messe in Erinnerung habe. Meine Befürchtungen auf Treffen mit bekannten Gesichtern verzichten zu müssen blieben genau das – Befürchtungen. Glücklicherweise trafen sich u.a. Sandra (Booknapping), Ariane (Nerd mit Nadel), Christin (Kaisu/Life4Books) aka die 3 Frauen und n Comics mit mir. Setz ein Rudel „Content Creator“ an einen Tisch und guck, was passiert. Wir hatten viel zu bequatschen. 😉 Vielen Dank für den schönen Abend.

Wart ihr auch auf der Leipziger Buchmesse oder wärt ihr es gern gewesen? Welche Programmpunkte habt ihr euch angeschaut und was waren eure Erwartunen an die Messe nach drei Jahren? Morgen gibt es noch einen Rückblick auf den Samstag. Disclaimer: ich war als akkreditierte Bloggerin auf der Messe unterwegs. Diese Blogbeiträge sind aber keine Auftragsarbeiten oder Werbung. Weder von Verlagen, der Leipziger Messe GmbH, noch sonstigen Dritten. Solltet ihr euch auf den Fotos wiedererkennen und möchtet sie gelöscht haben, kontaktiert mich bitte. Zum Verdecken einzelner Personen habe ich folgende Free Emojis benutzt: emoji-1F60A, emoji-1F633, emoji-1FAE3, emoji-1F60F, emoji-1F60C, emoji-1F631, emoji-1F639.

6 Antworten

  1. Danke fürs Mitnehmen – so fühlt es sich doch ein bisschen so an, als wäre ich in Leipzig dabei gewesen. In Gedanken war ich es und nächstes Jahr auch ganz sicher wieder wirklich. Freue mich schon auf den nächsten Bericht 🙂 Liebe Grüße, Sabine

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Es wäre klasse, wenn wir uns nächstes Jahr dort sehen würden 🙂
      Freut mich, wenn dich der Beitrag ein bisschen in das Messe-Gefühl zurückversetzen konnte.
      Ebenso Liebe Grüße

  2. Danke für den sehr anschaulichen Bericht, der einen guten Eindruck von der Atmosphäre und den Events gibt.

    Zeitzeugen und KI… Der von dir beschriebene Ansatz ist simpel, aber gut. Allerdings bekomme ich gerade ein wenig Bauchschmerzen, wenn ich an ChatGPT & Co denke bzw. wie leicht KI falsche Infos herausgibt und manipuliert wird. Im Kontext von Zeitzeugen und der Vermittlung geschichtlicher Ergebnisse kann KI sehr missbräuchlich genutzt werden: Geschichte verzerren, Meinungen manipulieren, für eigene politische Ziele missbraucht werden. Bei der Deutschen Nationalbibliothek und ihrem Projekt ist das ja zum Glück nicht der Fall und wird es auch nicht werden, aber in anderen Ländern ist so ein unethischer Einsatz von KI sicher gar nicht so unwahrscheinlich. Beängstigend.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Gerne!

      Ja exakt deine Bauchschmerzen hatte ich nämlich auch und habe vor der Veranstaltung vermutet, dass Herr Maier eine 3D-modellierte „Persona“ oder sogar ein „Metahuman“ wäre, hinter dem eine von ChatGPT angetriebene Engine die Fragen beantwortet. Das hätte ich dann ganz besonders dringend sehen wollen und bin eben mit sehr gemischten Gefühlen hingegangen. War ja dann aber nicht so – bloß gut. Das fiele für mich dann auch allzu leicht in das Verzerren der Wirklichkeit.
      Aber was verschiedene Länder mit den Pseudo-KIs so anstellen, darauf bin ich auch schon sehr gespannt.
      Dass durch das Projekt an dem die Deutsche Nationalbibliothek (und die USC Shoah Foundation) beteiligt ist so aber Zeitzeugenberichte erhält, finde ich schon mal klasse.

  3. […] Messe-Freitag hatte die Nostalgie des Zurückkehrens zu einem geliebten Ort der Begegnung, des Rumnerdens, […]

  4. […] meinen jüngsten Erfahrungen mit Leipzig liest, ging ich noch früher los, aber ergatterte wieder keinen Sitzplatz. […]

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