Fantastischer Film: Halt auf freier Strecke

Dieser Film wird kein leichter sein. Familienvater Frank (Milan Peschel) bekommt die Diagnose tödlicher, inoperabler Hirntumor. Man gibt ihm nur noch wenige Monate. Die neurologischen Ausfälle beeinträchtigen bald seine Arbeit und die Therapie zehrt zusätzlich an ihm. Mittels seines Smartphones nimmt er ein Momentaufnahmen ähnlich eines Tagebuchs auf, in der sich manchmal die Frustration, Angst und Trauer Bahn bricht. Seine Frau Simone (Steffi Kühnert) und die beiden Kinder durchlaufen ähnlich verschiedene Gefühle, die ungeschönt menschlich sich. Die Wut über den abgebrochenen Ausflug ins Tropical Island oder die Bestürzung, wenn Papa den Weg ins Bad vergisst. Die sozialen Sorgen beim Blick aus dem erst kürzlich erarbeiteten und noch nicht abbezahlten Reihenhaus steht im Gegensatz zu der Sorge Papa nicht zu verprellen, der übermannenden Pflegearbeit und Verlust.


Halt Auf Freier Strecke – Trailer 1, Pandora Film Verleih, Youtube

Man kann kaum sagen, was an Halt auf freier Strecke mehr mitnimmt. Der Prozess von Krankheit und dem Gefühl anderen zur Last zu fallen, Pflegearbeit und Mental Load oder die Trauerbewältigung und der nahende Verlust? Auf jeden Fall nimmt sich Andreas Dresens Film genug Zeit für die verschiedenen Perspektiven. Der unfassbar eindringliche Milan Peschel brüllt manchmal aus seinem Krankenbett, dass er noch nicht tot ist, damit er nicht vom Familienleben ausgeschlossen wird. Mal wird er ganz ruhig. Mal sind ist es der Gedächtnisverlust oder die irrationalen Handlungen, die selbst mit Kenntnis der Umstände so schnell verleiten sie als böse, absichtliche Tat einzuordnen. Es gibt soviele Aspekte rund um Krankheit, die hier zusammenkommen. Trotzdem vergisst der Film auch nicht den Blick auf seine Ehefrau Simone, die gleichzeitig für alle da ist, alles stemmen muss, Care-Arbeit leistet und arbeiten geht. Die sich an niemanden mehr anlehnen kann. Er zeigt beide auch als Paar mit Sehnsüchten und Wünschen, mit einer Historie. Der Blick der Kinder ist unterschiedlich. Hier noch ist da die Realisation des Jüngsten: „wenn du dann tot bist, darf ich dein Handy haben?“ Dort ist aber auch das Unverständnis: warum nur muss uns das passieren?

Andreas Dresen begibt sich dabei auf Augenhöhe der Charaktere. Es sind keine Terrence-Malick-haften Innenwelten mit schönen Bildern, sondern es ist Realität auf Film. Halt auf freier Strecke ist nicht der ätherische Ansatz, sondern der schonungslos realistische. Vom Arzt, der nicht in der Lage ist der Familie klar zu kommunizieren, was die MRT-Bilder bedeuten und man Empathie sucht, nicht findet. Bis hin zu dem härtesten: die Liebsten gehen zu sehen, vor Allem wenn da noch soviel Leben und soviel Zeit hätte sein können. Härter als alles andere sind manchmal die ruhigsten Momente. Oftmals gleitet Franks Blick zum Baum an der Grundstücksgrenze, der im Winter stillzustehen scheint, fast wie er. Wird er den Frühling noch sehen? Damit der Film uns nicht ruiniert, findet Andreas Dresen Mittel. So beispielsweise wenn Frank sich seinen Tumor manchmal als einen Typen vorstellt, der damit prahlt sich eingenistet zu haben. Der zu Frank spricht und in Fernsehsendungen auftritt und von ihrer schwierigen Beziehung redet. Und manchmal nimmt uns der Film ganz behutsam an die Hand und scheint uns vielleicht sogar zu leiten, uns einen Ratschlag zu geben, falls auch wir diesen Halt auf freier Strecke irgendwann begegnen müssten. Durch das Filmen auf Augenhöhe, mit ungeschönten Bildern, macht Dresen das Thema weniger künstlich, weniger zu Fiktion, seltsam tröstlich.

Halt auf freier Strecke, Deutschland, 2011, Andreas Dresen, 109 min

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

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