Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Beau Is Afraid“

Ari Aster und ich, es ist kompliziert. Anders als gefühlt alle anderen fand ich Midsommar und Hereditary clever, mochte aber den lieber, dem ich weniger Punkte gegeben habe. Wirklich wahr. Vielleicht hat das auch zu meiner Neugier auf „Beau Is Afraid“ beigetragen, den ich vom Trailer her eher zweitrangig als Horrorfilm wahrgenommen habe. Letzten Endes ist die in der Presse oftmals gewählte Bezeichnung Albtraumkomödie sehr treffend. Die Besprechung ist spoilerfrei und das ist dringend nötig.

Der Titel erklärt den Film oder sagen wir mal die Grundvoraussetzung sehr gut. Joaquin Phoenix spielt Beau Wasserman (großartig), der stark unter Angststörungen leidet. Zu Beginn des Films sucht er seinen Therapeuten auf. Er erwähnt, dass er plant seine Mutter (Patti LuPone, großartig) zu besuchen, woraufhin der Therapeut ihn fragt, ob er auch aus einem vergifteten Brunnen trinken würde? Somit ist das grundlegende Problem Beaus von den ersten Minuten an klar. Da sind die Erwartungen, die gekauften Flugtickets, das Geld seiner Mutter von dem er lebt, die Anrufe mit den Beteuerungen, dass sie ihn liebt. Da ist aber auch die Straße voller bedrohlicher Menschen und Situationen, die gefährliche Spinne in der Wohnung, die neue und ungewöhnliche Medikation und der Nachbar, der irgendwas von Beau will und irritiert. Das Leben ist so furchtbar kompliziert. Should I stay or should I go? Als Beau droht den Flug zu verpassen, der ihn zu seiner Mutter bringen soll, beginnt eine Odyssee durch seine Vergangenheit und Zukunft. Und soviel ist klar: die triggert nicht nur Beaus Ängste, sondern auch meine und eure. Seid vorbereitet.


Beau Is Afraid | Official Trailer HD | A24, Youtube

Vieles an Beau Is Afraid ist einfach bizarr. Im ersten Viertel des Films wird eine wahre Salve an erschreckenden Situationen auf Beau und uns abgefeuert. Asters Film zeigt so ziemlich alles vor dem man Angst haben kann und schubst Beaus direkt in die Situation. Müsste ich eine Triggerwarnung aussprechen, dann wäre die für alles – ein Auszug dessen umfasst CW/TW Mord und Totschlag, Entführung, Einbruch, Bankrott und finanziellen Ruin, emotionale Katastrophen, Krankheit, Verlust, Einsamkeit, Tod, sexuelle Nötigung, Spinnen, Stalking unvm. CW/TW Ende Die surreale Masse sorgt aber dafür, dass der Anfang genauso witzig wie erschreckend ist. All das so abzustimmen ist eine Meisterleistung, die man Aster nicht absprechen kann. Wie kann das witzig sein? Ist das nicht unfair? Bin ich ein schlechter Mensch, wenn ich lache? Nein, weil ich leide auch mit Beau und dem Zufall, der stets und allumfassend gegen ihn zu spielen scheint.

Was hier passiert ist disruptives Erzählen. Bei all dem fragt man sich zwangsläufig, ob Beaus Umfeld wirklich so irreal und gefährlich ist? Nimmt ihn niemand für voll? Ist das post-apokalyptisch und die Welt geht den Bach runter? Seine Angststörungen wirken nicht wie Störungen, sondern als normale Reaktion einer abstrusen und schädlichen Umwelt. Hier im ersten Viertel sind mindestens vier Lesarten denkbar: Beau lebt in einer furchtbaren Welt, die anderen haben eine verzerrte Wahrnehmung und fehldiagnostizieren ihn oder es ist eine Truman Show oder Beau hat durch Angststörungen eine verzerrte Wahrnehmung seiner Umwelt und wir blicken durch seine Augen oder alles ist eine Metapher und das passiert nicht wirklich so – weder für Beau, noch für andere. Letztes Endes tippe ich auf eine Mischung aus (mindestens) den letzten beiden Deutungen, mehr kann ich nicht verraten. Es wird aber einiges klarer durch Beaus Reise durch die weiteren Abschnitte des Films. Dass Beaus Wahrnehmung maßgeblich ist und ein wichtiger Aspekt des Films, zeigt beispielsweise die Badezimmerszene. In der erinnert sich Beau an eine Situation seiner Kindheit, in der seine Mutter eine große Rolle spielt. Gut aufpassen: das Kleid der Mutter variiert. Mal ist es braun, mal grün. So funktioniert das wohl mit Wahrnehmung und spätestens hier ist klar, dass wir durch Beaus Augen sehen.

Es reicht zu wissen, dass Beau sich durch die Umgebung navigiert und irgendwie versucht zu leben, wobei sein Drang den Ansprüchen seiner Mutter gerecht zu werden der wirkliche Killer ist. Die weiteren drei Segmente des Films bedienen ganz andere Stimmungen, aber machen das Thema schrittweise deutlicher. Es folgt ein surrealer Thriller mit einem Hauch Fantasy, dann eine Dramödie mit teil-animierten Sequenzen und zuletzt ein Horrordrama. In dessen Zentrum steht eins der Motive und Themen, das offenbar Asters Ding ist: dysfunktionale Beziehungen. Dieses Mal die innerhalb der eigenen Familie. Einer Familie, deren Korsett die Ursache aller Ängste ist und noch viel tieferliegendere Traumata bedient. Aster stellt die Frage, ob Beau letzten Endes an der Beziehung zu seiner Mutter zugrunde geht. Beau is afraid handelt von der Verzerrung der Wahrnehmung, von Trauma und Manipulation. Vieles daran überspannt den Bogen. Beau is afraid ist definitiv keine Schonung. Gegen Ende gibt es Szenen, die einem quasi überdeutlich ins Gesicht hauen, dass hier vieles Metapher ist. Sehr wahrscheinlich sogar hat der Film signifikant mehr Subtext als Text.  Nicht nur durch die 3h Spieldauer fordert er damit zum Einen viel Geduld, zum Anderen Interpretationslust, wodurch der Film definitiv nichts für alle Tage oder jedes Publikum ist. Er ist unbequem, er ist clever, aber er wirkt auch an vielen Stellen beliebig und vollgestopft mit Etappen und Obskuritäten, die es nicht gebraucht hätte. Wirklich gut orchestriert erscheinen für mich nur der erste Teil (Beau bricht auf) und der dritte (Beau und der Wald). Konstant hervorragend sind die schauspielerischen Leistungen in diesem Film, der definitiv eine Albtraumgestalt auf dem Dachboden weniger vertragen hätte.

Beau Is Afraid, Kanada/USA, 2023, Ari Aster, 179 min, (8/10)

Sternchen-8

„Beau Is Afraid“ ist einer dieser Filme, bei denen mit großer Sicherheit Leute den Saal verlassen, die Frage ist nur wie früh. Schon während des Sehens hätte ich Wetten abgeschlossen, dass das Echo hier sehr unterschiedlich sein wird, ob der Film nun gut oder schlecht ist. Ich habe so ziemlich alles gehört oder gelesen: von Trash bis Meisterwerk. Naja, für ein Meisterwerk ist er mir viel zu vollgeballert mit unnötigen Szenen, die den Film schmerzlich lang machen. Einige Metaphern finde ich auch zu in your face im Gegensatz zu dem wie der Film beginnt. Dieses „passiert das gerade wirklich“-Gefühl hält Aster angenehm lange aufrecht, aber nicht lange genug. Wie hat euch „Beau Is Afraid“ gefallen? Und wo liegt er für euch im Vergleich zu anderen Aster Filmen?

2 Antworten

  1. ich glaube, ich wäre eine derjenigen, die bis zum ende ausharren, auch wenn 3 Stunden sehr lang ist.

  2. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Ja, der Film ist ein ordentlicher Brocken, der gut nachwirkt. Direkt nach dem Kino war ich eher enttäuscht, aber so mit ein paar Tagen, in denen ich darüber nachdenken konnte, hat der echt stark gewonnen…

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