ausgelesen: Tatsuki Fujimoto „Goodbye, Eri“

Spricht man bei Manga-Zeichner:innen von Shootingstars? Ist das überhaupt ein „Ding“ in Deutschland, wo der Hype doch zwangsläufig immer etwas später ankommt? Fujimotos Fire Punch erschien ab 2018 bei Kazé, sein (längeres) Nachfolgewerk Chainsaw Man auch mit einer Latenz von ein paar Jahren bei Egmont Manga wie nun in diesem Frühjahr auch Goodbye, Eri. Fujimoto ist die Art Shootingstar, dessen Teenager-Kurzgeschichten, Wettbewerbsbeiträge und Einsteigerwerke gebündelt veröffentlicht werden. Auch hierzulande. Das sollte uns zu denken geben, denn das hat Seltenheitswert. Es ist so als ob die Szene ein Schwamm wäre, die alles von Fujimoto aufnehmen will. Was all die hier erwähnten Mangareihen und Einzelbände teilen ist die Fujimoto-eigene ernüchternde Weltsicht, die aber auch die Lichtblicke und einfache Schönheit von Alltag und Beziehungen einzufangen vermag. Der Mangazeichner und -autor packt das alles in einen mehr realistischen, weil wenig ausgeschmückten visuellen Stil. Wer neugierig auf diesen „Shootingstar“ ist, aber Chainsaw Man zu abgefuckt und schräg findet, wird mit Goodbye, Eri sicherlich glücklicher. Der Manga ist geerdeter, von eher melancholischer Natur und in einem Band abgeschlossen. Goodbye, Eri beinhaltet eine Auseinandersetzung mit Erinnerungen, Verlust und Filmen.

Goodbye, Eri handelt von Yuta, der seine ganze Mittelschulzeit über auf ihren ausdrücklichen Wunsch seine sterbende Mutter gefilmt hat. Als er daraus einen Film schneidet und ihn bei einem Schulfest zeigt, wird er von Schüler:innen und Lehrkörper heftig kritisiert. Geschmacklos sei er, abstrus, schämen sollte sich Yuta – sie können seinem Film wenig abgewinnen. Yuta ist am Boden zerstört und beschließt sich das Leben zu nehmen. Als er aber auf das Dach steigt, um es zu beenden, trifft er dort ein Mädchen, das ankündigt ihm zu helfen ein besserer Regisseur zu werden. Von da an begeben die Beiden sich auf die Mission kreative Rache zu nehmen. Sie schauen tagtäglich mehrere Filme und sinnieren darüber, denken sich den perfekten Plot aus. Bald schon werden sie selbst Gegenstand des nächsten Films Yutas, in dem die Fiktion erschreckend schnell die Realität einholt.

Was man der Inhaltsbeschreibung nicht anmerkt: der Manga ist unheimlich wendungsreich und meta. Da ich nicht spoilern will, muss der Hinweis reichen. Fest steht aber relativ schnell, dass Yuta vermutlich kein komplett zuverlässiger Erzähler ist. Hinweise darauf finden sich von Beginn an, wenn es heißt, dass seine Geschichten immer einen Hauch Fantasy haben. Fujimotos oft disruptiver Stil, der uns mal zum lachen, mal zum weinen bringt, kommt nicht selten mit einem deutlichen Knall um die Ecke und kegelt auch hier gehörig mit unseren Emotionen. Die Erzählform des Manga ist durchweg die von Yutas Smartphone-Videotagebuch. So gibt es durchaus Panels, die Bewegungsunschärfe enthalten oder mal doppelte Linien ähnlich einer Shaky Cam. Es fühlt sich an als würden wir das Videotagebuch Yutas schauen oder durch den Rahmen seines Smartphone-Bildschirms blicken. Tun wir aber nicht. Ist also alles so passiert wie es der Film erzählt, der sich vor unseren Augen panelweise abspielt? Yutas Erzählstimme kommt häufig aus dem Off. Interessiert wird es da, wo sie das nicht tut.

Die kreative Darstellungsform weist aber auch die Fujimoto-typischen Stilmerkmale auf. Häufig sieht man untereinander gestaffelte Panels, die auf den ersten Blick gleich wirken. Beim genaueren hinsehen wird aber klar, dass beispielsweise die Gesichtsausdrücke der Charaktere minimal unterschiedlich sind. Das gibt auch gut die Stimmung wieder, die keine großen, emotionalen Ausbrüche und Gesichtsakrobatik braucht, um eine berührende Geschichte zu erzählen. Goodbye, Eri hat mich emotional gekriegt und durch die Cleverness des Visuellen absolut begeistert. Soviel Inhalt in nur einem Band macht Fujimotos Geschichte zu einem erstklassigen Beispiel wie kraftvoll Comics erzählen können und dass es dafür nicht nur epische Längen von hunderten von Bänden innerhalb einer Reihe braucht. Vor Allem aber stellt Goodbye, Eri die Frage wie wir uns an Menschen erinnern wollen.

Fazit

Großer Tipp, der durch die clevere Erzählweise, Optik und die emotionalen Grauzonen menschlicher Erinnerung und Wahrnehmung begeistert.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-7555-0189-3, Egmont Manga Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

2 Antworten

  1. […] mitgewirkt hat und überhaupt so großartig ist. Und dass Tatsuki Fujimoto so tolle Manga macht wie „Goodbye, Eri“. Im Juli zog ich auch ein Fazit unter mein Vorhaben die Phase 4 Fime des MCU aufzuholen. Mein Gott. […]

  2. […] Neben Walden brauchte ich wohl etwas Leichtgewichtiges und habe einige Manga und Comics gelesen. Darunter u.a. RG Veda Bände 5-6 (nächster Band ist das Finale!), den mega dicken Junji Itō Band Tomb Town voll Body Horror und Gruseligem, den Boys Love Titel Kirschblüten nach dem Winter Band 1 (sehr süß) und den Comic Bowie, der sich vorrangig dessen Leben in der Ziggy Stardust Ära widmet. Der Comic war okay. Er reiht sehr stark Ereignisse aneinander, was sich zu „aufgezählt“ anfühlt für meinen Geschmack. Das Artwork war aber toll. Der Comic/Manga, der mir wohl am besten gefallen hat, war Tatsuki Fujimotos Oneshot Look Back über zwei Mädchen, die Mangas zeichnen und darüber erst in Wettstreit geraten, dann Freunde werden, dann passiert … das Leben. Von der Stimmung her vergleichbar mit Goodbye Eri. […]

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