Vor einer Weile las ich mal einen Blogartikel, der mit glühender Überzeugung erklärte, dass es die Leipziger Buchmesse (LBM) bald nicht mehr geben würde. Da ich den Artikel nicht mehr wiedergefunden habe, muss ich aus meinem Gedächtnis heraus schätzen, dass er etwas um 2019 herum entstand. Als ich ihn las, erschien es mir undenkbar. Wie? Was? Hat der dieselbe Messe besucht wie ich? Hmm? Nun in der zweiten Post-Pandemie-Messe frage ich mich noch mehr wie sich irgendjemand die Messe wegdenken kann. Ich kann es nicht. Sie ist eine meiner Konstanten innerhalb der Jahre. Und es waren wunderbare drei Tage in Leipzig.
Davor
Eigentlich fing meine Zeit in Leipzig schon einen Tag davor an. Wie auch in manch anderen Jahren nutzte ich einen Tag Me-Time um etwas durch Leipzig zu stromern und Erinnerungen an die Stadt aufzufrischen. Die Auszeit kam wie gerufen, um mich von ein paar ziemlichen anstrengenden Wochen zu erholen und „weg von allem“ zu sein. Ein bisschen fuhr ja schon die Angst vor noch mehr Stress mit – würde die GDL streiken, müsste ich kurzfristig anders anreisen? Dann war der Anreisetag gekommen – zu meiner Überraschung streikte stattdessen der ÖPNV in meiner Stadt. Tjoar. Das war managebar. Nach der Anreise prokrastinierte ich im Starbucks, las meine mitgebrachten Bücher (wann hatte ich zuletzt Zeit 100 Seiten an einem Tag zu lesen? Ich weiß es nicht mehr), aß Fritten, stromerte durch das Zentrum, suchte meine Lieblingsarchitektur, war shoppen und besuchte abends die Lesung von Iris Wolff zu ihrem neuen Roman Lichtungen im Zentrum Leipzigs nähe der Nikolaikirche.
Nach meinen jüngsten Erfahrungen mit Leipzig liest, ging ich noch früher los, aber ergatterte wieder keinen Sitzplatz. Immerhin war ich besser dran als letztes Jahr und hatte einen Stehplatz so weit vorn, dass ich sogar sehr gut sehen konnte. Vor Allem aber Iris Wolff lauschen. Wir lasen vor einer Weile eins ihrer Bücher im Buchclub und ich war überrascht, dass sie so ein freundliches und fröhliches Gemüt hat. Von dem schwermütigen Roman hatte ich ganz andere, verzerrte Erwartung und habe mal wieder gelernt, dass es am besten ist keine Erwartungen zu haben. Vielleicht lausche ich deswegen gern auf der Buchmesse den Autor:innen, sehe sie mal mit eigenen Augen. Es war ein schöner Abend. Übrigens streikte dann doch auch der Leipziger Nachverkehr am Messe-Freitag. Aber um die Besucher:innen nicht ganz im Chaos versinken zu lassen, gab es einen Notfallfahrplan, der gut funktioniert hat.
Messe-Fokus(se)
… von denen gibt es traditionell mehrere. Während die Messe großflächig fragte Who’s still reading? prangte zur Begrüßung über dem Messe-See das Motto des Gastlandes Niederlande und Flandern: alles außer flach. Die Manga-Comic-Con (MCC) wurde außerdem dieses Jahr 10! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! 🥳 Man behielt den Modus bei, dass die MCC sich auf Hallen 1 und 3 ausbreitete, wobei Halle 1 im Grunde Merch vorbehalten blieb, aber auch wieder das schwarze Sofa beheimatete. Das heißt nur noch aus Tradition schwarzes Sofa wie mir scheint. All diesen Fokusthemen konnte man kaum aus dem Weg gehen. Man fand sie überall wieder – wie das sein sollte. Außerdem waren im Messeprogramm groß das vermeintliche Erstarken rechtsgerichteter Parteien vertreten sowie damit einhergehende Risiken rund um Diskriminierung, Othering, etc. Demokratische Werten waren ein Thema – und prominent beworben. Ich habe mich wohl gefühlt auf der Messe. Andere Themen wie genderneutrale Sprachen und Generative KI waren stark im Programm vertreten. Am ersten Messetag wurde u.a. der Belletristik-Preis an Autorin Barbi Markovic vergeben. (Quelle: tagesschau.de)
Was ist Feministisches Übersetzen?
Mein erster Programmpunkt führte mich direkt zum Thema Feministisches Übersetzen zu einer Prodiumsdiskussion mit Übersetzerin Friederike Hofert, Lektorinnen Else Laudan und Anne Grunwald. In dem sehr interessanten Vortrag blieb kein naheliegendes Thema unangetastet. Wie war es früher – wie wird es jetzt gemacht? Schreibe ich das N-Wort oder lasse ich es? Was ist überhaupt feministisches Übersetzen? Es fiel in dem Zusammenhang das Wort Wirkungsäquivalenz (wie erreiche ich in einen anderen Sprache dieselbe oder zumindest eine ähnliche Wirkung) und macht die Relevanz von Neuübersetzungen verständlich. Alle Vortragenden sprachen über ihre Herausforderungen und den Unterschied zwischen Lektorat und Übersetzungslektorat. Sie nannten Beispiele, in denen sie in der Übersetzungsarbeit im Original auf Codes für politische Positionierung achten und wie sie den Transfer von entgenderter Sprache (bspw. im Englischen) zu gegenderter Sprache (bspw. im Deutschen) zu genderneutraler „umdenken“.
MCC, Webtoons und Gou Tanabe
Danach versenkte ich mich erstmal eine Weile in die MCC, wohlwissend, dass ich die am Samstag wegen der Besuchermassen weitestgehend auslassen würde. Nachdem die Stände abgecheckt und die Einkaufsliste gedanklich geschrieben war 😅, ging ich zur ersten Veranstaltung dort. Die Podcaster:innen von Otaku Survival Guide sprachen auf der Großen Bühne mit dem Verlag Papertoons über den Transfer von Webtoons zu Printausgaben. Die Herausforderungen und mehr oder weniger gute Ergebnisse kreuzten schon mehrmals meinen Weg, weshalb ich sehr gespannt auf Papertoons Einblick in den Weg zum Printlayout war. Die Herausforderung ist nun mal offensichtlich da, weil sich Webtoons nun mal in digitaler Form als langer „Schlauch“ etabliert haben, was für Printausgaben nicht gangbar ist.
Bei dem Vortrag habe ich gelernt, dass Manga mal in Südkorea verboten waren und dass Papertoons einige Layouts zusammen mit Lizenzen bezieht, andere Layouts selber gestaltet (und wiederum ins Ausland verkauft. Es fließt offensichtlich jede Menge Überlegung und Arbeit in so ein Layout, was anschaulich bebildert wurde. Ein Action-Manhwa kann durchaus anders gelayoutet werden als ein Romance Print. Auch Zensur war ein Thema und in welchem Formen es die gibt – natürlich v.A. was Boys Love Reihen betrifft. Es fiel das Wort Lichtschwerter. 😉 Ihr könnt den Mitschnitt der Veranstaltung übrigens hier anschauen. Es gab dort viele spannende Eindrücke. Gefragt habe ich mich wie einverstanden Papertoons damit war, dass die Moderatorin jedes Mal verraten hat, wo man welche Reihen digital lesen kann.
Nach einer kleinen Mittagspause und zum Treffen von Freunden verschlug es mich wieder in die Halle, um Gou Tanabe zu sehen, der dort am Schwarzen Sofa Interviewt wurde und Einblick darin gab wie er zur Adaption so vieler Werke H.P. Lovecrafts kam. Dort gab es bekannte Gesichter zu sehen – für ihn übersetzt hat (selber eine Persönlichkeit) Hiro, den man vielleicht vom Youtube Kanal Einfach Japanisch kennt. Davon mal abgesehen hat mich wohl am meisten überrascht, dass Gou Tanabe allein arbeitet und nicht im Team wie man es sonst von bekannten Mangaka hört,.
Nicht allein
Naja, bei so einer großen Messe ist man natürlich nie so richtig allein. 😉 Aber dieses Jahr traf ich einige Freunde, was die Messe-Vorfreude nochmal größer gemacht hat. Darunter einige übliche Verdächtige aus Magdeburg ❤ und Jana vom Blog Wissenstagebuch – das letzte Mal ist schon wieder eine Weile her und es war mir eine Freude. 😁 Wir inspizierten den Blogger-Raum auf der Messe, besorgten uns dann stattdessen „draußen“ was warmes, koffeinhaltiges zu Trinken. Bei Gou Tanabe traf ich außerdem die 3 Frauen von 3 Frauen. n Comics.
In jedes Mal etwas anderer Zusammensetzung hörte ich mir auch etwas über vegane Kinderbücher an, wir besuchten Katapult (mit einer sehr schönen und unübersehbaren Botschaft 🤣) und schlenderten gemeinsam durch das Antiquariat, wo ich sogar noch einen Schnapp machte.
Messe politisch
Die Messe war und ist immer politisch und das ist auch nötig. Tags zuvor besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Messe und hatte so sein Erlebnis mit Aktivisten. (Quelle: tagesschau.de) Botschaften, die einem auf der Messe begegneten waren u.a. #DemokratieWählenJetzt . Beim Stand des Deutschen Bundestages konnte man die neuste Auflage des Grundgesetzes mitnehmen und sich über bestimmte Prozesse wie beispielsweise die der Gesetzgebung informieren. Am Stand der Landeszentrale für Politische Bildung Sachsen-Anhalt wurde ich versorgt mit Infomaterial über das Erkennen rechtsextremistischer Codes und jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt.
Danach
… wollte man die Füße hochlegen. Ist man platt. Muss viele Eindrücke verarbeiten. Aber wir (zwei Freundinnen und ich) schafften es doch noch Essen zu gehen und das Gesehene zu teilen.
Falls ihr euch wundert: Natürlich habe ich Iris Wolff, Gou Tanabe und andere fotografiert. Da ich aber keine einzelnen Genehmigungen einhole, bleiben die Fotos mein Privatschnappschuss, um mich an die schönen Lesungen und Diskussionen zu erinnern. Wen würdet ihr gern mal auf der Leipziger Buchmesse treffen? 😊 Disclaimer: ich war als akkreditierte Bloggerin auf der Messe unterwegs. Diese Blogbeiträge sind aber keine Auftragsarbeiten oder Werbung. Weder von Verlagen, der Leipziger Messe GmbH, noch sonstigen Dritten. Solltet ihr euch auf den Fotos wiedererkennen und möchtet sie gelöscht haben, kontaktiert mich bitte. Zum Verdecken einzelner Personen habe ich folgende Free Emojis benutzt: emoji-1F60A, emoji-1F633, emoji-1FAE3, emoji-1F60F, emoji-1F60C, emoji-1F631, emoji-1F639.
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