Es ist wahr: ich hatte keine Bereitschaft fast drei Stunden im Kino zu sitzen. Aber allzu lange musste ich mich nicht ärgern bis ich den neuen von Giorgos Lanthimos dann auf Streamingplattformen schauen konnte. Man kann zwar nicht behaupten, dass Lanthimos im Mainstream angekommen ist, aber spätestens seit Poor Things ist der Hype wohl real. Letzten Endes ist Kinds of Kindness wohl auch gerade wegen Poor Things entstanden, v.A. wegen dessen langer Postproduction-Phase. Bei dem 165-Minuten-Brecher handelt es sich um einen Episodenfilm mit drei jeweils ca. 40-Minuten langen (sehr gut einzeln konsumierbaren) Segmenten.
Das Triptychon beginnt mit dem ersten Film, in dem ein Mann (Jesse Plemons) versucht dem (krassen) Mikromanagement seines Bosses (Willem Dafoe) zu entkommen. Dann aber merkt, dass er ohne diese Fremdsteuerung seines Lebens nicht mehr kann. Im zweiten Kurzfilm gibt ein Mann (Jesse Plemons) die Hoffnung nicht auf, dass seine verschollene Frau (Emma Stone) vielleicht doch noch lebt. Als sie dann aber vor der Tür steht, lehnt er sie ab und behauptet sie wäre nicht die echte. Im dritten Segment wiederum sucht eine Frau (Emma Stone) die nächste spirituelle Führerin für die Sekte, der sie angehört und meint sie (Margaret Qualley) gefunden zu haben. Allerdings hadert sie auch damit ihre Familie wiederzusehen.
Der Titel Kinds of Kindness ist herb. Wie ein Schlag in die Magengrube. Jeder der Filme hat bereits ein Szenario, das abseits des alltäglichen ist und setzt dann noch eins drauf, das häufig abstrus bis brutal ist. Wer also total unvorbereitet wegen des „netten“ Titels den Film schaut, wird überrascht, hat dann aber hinterher wohl eine genauere Vorstellung welche Art Filme Giorgos Lanthimos macht. 😉 Das fiese ist, dass die erwähnte „Kindness“, also Nettigkeit oder Gefälligkeit, in jedem Segment einen hohen Preis fordert. Am Ende erzählen die Kurzfilme von Machtmissbrauch und Ausnutzung auf verschiedenen Ebenen und wirken wegen ihrer Twists und Turns am besten, wenn man sie nicht zu sehr seziert – weswegen ich mal darauf verzichte jedes Segment bis ins kleinste Detail durchzukauen. In diesem fast schon schaurigen und schwarzhumorigen Take auf „Gefälligkeit“ und „Nettigkeit“ liegt auch der wohl größte Reiz des Films. Und in der Wandelbarkeit ihrer Darsteller:innen.
Denn Lanthimos verwebt die drei Segmente auch noch auf verschiedene andere Weise. Zum Einen tauchen dieselben Darsteller:innen in allen drei Kurzfilmen auf: Emma Stone, Jesse Plemons, Willem Dafoe, Margaret Qualley, Hong Chau, Joe Alwyn und Mamoudou Athie. Nicht allen, aber den meisten ist es erlaubt vollkommen verschiedene Facetten zu spielen. Man kann das auch als Gimmick abtun – sehr sicher halte ich es aber für ein Gimmick, dass alle drei Kurzfilme auch in irgendeiner Form den Charakter „R.M.F.“ auftreten lassen, er Teil der Filmtitel ist (z.B. heißt der letzte „R.M.F. Eats a Sandwich“) und mindestens zwei von ihnen vielleicht sogar miteinander verbindet.
Während ich all das faszinierend durchkomponiert finde und Kinds of Kindness zu einem Film macht, den man nicht nur diskutieren kann, sondern diskutieren muss, bin ich nicht ganz frei von Kritik. Denn auch wenn Emma Stone nun wahrscheinlich offiziell Lanthimos‘ Muse ist, erscheint es mir doch etwas zu fanatisch, dass sie in jedem Film möglichst wenigstens mal kurz nackt zu sehen sein muss und der Film enthält mindestens eine unnötige Szene sexuellen Missbrauchs, die mich fragen lässt: seit wann ist sexueller Missbrauch ein Gimmick im Film?
Kinds of Kindness, UK/USA, 2024, Giorgos Lanthimos, 165 min
Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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