Muss man das überhaupt? Vergleichen? Ich bin bei allen, die das fragen. Hat man eine Adaption gesehen, ist es sehr einfach die Vorlage oder andere Adaptionen zu vergessen. Und oftmals ist es ja wirklich nicht so wichtig, weil jedes Medium für sich allein steht. Als ich neulich die Serie „Interview with the Vampire“ sah und danach das Buch las, war mir das erstmal wegen des unterschiedlich Tempos und der Beziehung der Hauptfiguren total fremd. Am Ende ist der Vergleich also jedenfalls eines: interessant. 😉 Und deswegen mache ich das jetzt. Weitestgehend spoilerfrei.
Meine Schau-Historie ist:
- Film (vor >10 Jahren, damals bewertet: 9/10 ⭐)
- Serie Season 1 (Review 2023 9/10 ⭐)
- Serie Season 2 (Review 2024 9/10 ⭐)
- Buch (Review)
- Film (Rewatch 2024, jetzt bewertet: 7/10 ⭐)
Dem Film aus dem Jahr 1994 gebe ich hier trotz kürzlichem Rewatch keine Besprechung, weil der Beitrag erfahrungsgemäß lang genug wird und zwischen den Zeilen auch irgendwie eine Review ist. Wer sich an den nicht mehr erinnern kann: Brad Pitt spielt darin Louis de Pointe du Lac, Tom Cruise gibt Lestat de Lioncourt, der ihn zu einem Vampir macht. Kirsten Dunst verkörpert Claudia, Antonio Banderas spielt Armand und Christian Slater den hier noch namenlosen Interviewer, den wir später als Daniel Molloy kennenlernen werden. Zu allen anderen Medien findet ihr die Besprechung oben verlinkt.
Im Vorfeld ist denke ich noch erwähnenswert, dass Anne Rices Buch Auftakt einer ganzen Reihe ist. Interview with the Vampire, der erste Band, erschien 1976 und laut dieser Quelle wurden bisher 8 Millionen Exemplare verkauft. Die Rices (also Autorin und Urheberin Anne Rice und ihr Sohn Christopher) waren jahrelang in die Entwicklung der Adaptionen beteiligt. Wurde ihr adaptiertes Drehbuch zum 1994er-Film noch nachbearbeitet (und war ein großer Erfolg), übte sich ihr Sohn am Skript zur Fortsetzung, die bekanntermaßen floppte und wenig Liebe erntete. (Was nicht heißt, dass das an seiner Bearbeitung liegt.)
Ab der 2000er wurde es wohl Ziel der Rices sich für eine Fernsehadaption einzusetzen (Quelle: „Anne Rice Developing ‘Vampire Chronicles’ TV Series“, The Hollywood Reporter, 26.11.16). Nach einigen Höhen und Tiefen gewann AMC nach einem Bieterstreit die Rechte für die Adaption aller Vampire Chronicles Bücher in jeglicher denkbaren Form. Das sind aktuell 13 Bücher plus (u.a. auch die Reihe Lives of the Mayfair Witches), heidewitzka. Showrunner wie Bryan Fuller wurden darauf angesetzt (was auch reizvoll gewesen wäre, man denke an Hannibal), sprangen aber wieder ab. Stattdessen übernahmen neben u.a. den Rices dann Rolin Jones und Mark Johnson und ich denke die haben alle ihre Sache gut gemacht. Leider erlebte Anne Rice die Serie nicht mehr. 2022 flimmerte die erste Staffel über die Bildschirme, die hierzulande noch auf wenigen Plattformen verfügbar ist und kürzlich um eine dritte Staffel verlängert wurde. Ich betrachte die 3 Medien (Buch von 1976, Film von 1994 und Serie von 2022) nach folgenden Kriterien.
Die Charaktere
In Grundzügen und Fakten ist der Film dem Buch sehr ähnlich. Die Charaktere sind aber geschönte, genormte, weniger komplexe und weniger gefühlvolle Versionen der Buchvorlage. Sowohl im Buch als auch im Film ist Louis ein Plantagenbesitzer im Umland von New Orleans, der lebensmüde ist. Der Vampir Lestat erkennt den Todeswunsch (und das Vermögen von Louis) und sieht seine Chance gekommen. Lestat ist im Buch allerdings impulsiver, kindlicher, gedankenloser und manipulativer. Louis‘ innere Zerrissenheit wird ähnlich hart runtergeregelt, aber man behält grundsätzlich sein Hadern mit der Unsterblichkeit und dem Morden bei.
In der Serie hat man radikal modernisiert und ich muss sagen: dankbarerweise. Hier ist Louis kreolisch, d.h. ein BIPoC, der sich in New Orleans ein Geschäft aufgebaut hat. Die Beweggründe dafür, dass er lebensmüde ist werden mehrere sein und stärker betrachtet. Dahingegen wirkt das im Buch fast etwas gehetzt. Als er später zum Vampir wird, kann er die Gedanke der weißen Geschäftsmänner lesen und hört ihre Abschätzigkeit gegenüber ihm wegen seiner Hautfarbe heraus, was der Serie eine interessantere Unterfütterung gibt. Im CNN-Artikel aus dem Jahr 2022 gab Showrunner Rolin Jones als Gründe für die Änderung an: „The changes made were partially the result of wanting to focus on a “time period that was as exciting aesthetically as the 18th century was without digging into a plantation story that nobody really wanted to hear now,”“ und er hat Recht. Der Film zeigt, dass die Geschichte grundsätzlich auch mit Louis als Plantagenbesitzer funktioniert. Doch hat die Serie mit diesem Louis, verkörpert durch Jacob Anderson, eine viel stärkere und zeitlosere Identifikationsfigur, die mich auch interessiert. Da der Angle von BIPoC zum Thema BIPoC grundsätzlich interessanter ist als von mir weißer Nase, lasse ich mal andere sprechen:
Lestat, in der Serie verkörpert durch Sam Reid, ist hier nicht nur ein Nutznießer, sondern kommt selber mit Geld und ordentlich Swag. Er ist deutlich mehr ein Verführer und furchtbarer Narzisst – da sind sich übrigens alle drei Medien einig. Wichtig ist wahrscheinlich auch der Punkt, an dem man Lestats sich verbergende Verletztheit und Einsamkeit erkennt und beginnt einen Hauch Mitleid mit ihm zu haben. Im Buch tatsächlich eher früh, im Film vielleicht gar nicht – kommt auf Zuschauende an, in der Serie kommt der Zeitpunkt des Mitleids auch. Ich muss gestehen, dass es mir von allen drei Medien beim Buch am schwersten fiel zu erkennen wie man noch so viele weitere Bücher mit Inhalt über Lestat füllt und ihn später sogar zu einem Rockstar macht. Es ist selten, dass ich das sagen muss, aber das entwickeln die Adaptionen mit Kenntnis seiner Figurenhistorie deutlicher. Vielleicht liegt das in der Natur der Sache, wenn man so viel „Material“ zur Verfügung hat.
Nicht zu vergessen Claudia. Am wohl verblüffendsten war für mich ihr Alter. Im Buch ist sie nur fünf Jahre alt und damit sind alle Puppenvergleiche und -metaphern wohl selbsterklärend. Im Film ist sie ca. 11 Jahre alt, in der Serie wurde ihr Alter auf 14 angehoben, was auch sicherlich mit der geltenden Gesetzeslage über Kinderarbeit zutun hat und damit, was die Serie so mit ihr plant. Ich stimme der Youtuberin zu, dass die Serie mindestens eine Claudia-Storyline hat, die es nicht gebraucht hätte. Ihr Alter wirkt sicherlich nicht ganz so krass wie im Buch, macht aber manches einfacher zu erzählen ohne gänzlich die Wirkung zu vernachlässigen. Ihr altersbedingtes Trauma kommt auch so durch. Nur der Schauwert ist natürlich ein anderer, der etwas weniger shock value liefert. In der Serie wird sie zuerst von Bailey Bass, dann von Delainey Hayles verkörpert.
Die Beziehungen
Beziehungen sind das große Stichwort der Serie, nicht unbedingt von Film und Buch. Einiges im Buch ist queer-coded. Lestat entschließt sich beispielsweise darin sehr zielgerichtet Claudia zum Vampir zu machen, um Louis an sich zu binden. Er spricht von ihnen beiden als Väter und Claudia als ihre Tochter, sie alle als Familie. Lestat ist verbissen und will Louis nicht loslassen, um seinen Lebensstandard abzusichern. Wie wir aber auch später lernen, um Einsamkeit zu entgehen. Louis lässt das geschehen. Gefühlt aus dem Grund, weil „niemand sonst so ist wie sie Beide“. Es ist eine Hassliebe mit wenig Liebe, eine toxische Beziehung mit queeren Untertönen. Der Film spart das großzügig aus und versucht gar nicht all diese zwiespältigen Emotionen einzufangen. Er lässt Louis und Lestats Beziehung mehr wie eine „schwierige Freundschaft“ aussehen mit einem Hauch Queerbaiting. Es liegt ja in der Natur des Queerbaitings, dass alle die es übersehen wollen, es sehr leicht können.
Das nachfolgende Video enthält Spoiler:
Die Serie hingegen geht von Anfang an den Weg queere Beziehungen und Intersektionalität abzubilden und nichts zu coden. Lestats Verführung Louis‘ hat eben auch den Reiz, dass er ihn nimmt wie er ist und Louis sich vor ihm nicht verstecken muss. Mit ihm erlebt er das erste Mal als schwuler Mann sexuelle Erfüllung. Sie beide gegen die Welt, sie beide besser als die Welt. Aber die Serie geht noch etliche Schritte weiter und bildet das toxische dieser und weiterer Beziehung ab. Hier bin ich nicht nur voll des Lobes. Zwar ist das konsequent (sowohl Armand als auch Lestat sind schwierige Charaktere mit unlauteren Motiven), aber eben auch etwas doppelt. Von der Dopplung abgesehen, ist es andererseits auch wichtig klarzumachen: auch in queeren Beziehungen, kann es körperlichen oder mentalen Missbrauch geben. Es gibt so viele Aspekte, die die Serie hier aus dem Quellmaterial entwickelt (s. Video unten, sehr smart: den Sarg als „closet“) und scheinbar so viel besser verstanden hat als der Film. Beispielsweise die Suche nach Gemeinschaft als Motiv – für alle drei Hauptcharaktere.
Das nachfolgende Video (ist grandios und) enthält Spoiler für die Serie:
Die Beziehung Claudias und Lestats ähnelt sich in allen Adaptionen und variiert eher im Grad zu dem Lestat Schuldgefühle hat. Bei Claudia und Louis hatte ich im Buch etwas Schwierigkeiten in Passagen, in denen sie ihn als „Geliebter“ o.Ä. bezeichnet. Die Verschiebung in pädophile Untertöne lese ich nicht gern, auch wenn sie durch beider geistiges Alter anders deutbar ist. Immerhin ist all das noch viel mehr vage als das queer coding. Es gibt mindestens genauso viele, wenn nicht sogar noch mehr Andeutungen, nach denen Louis in ihr eine Schwester sieht (einen Ersatz für seine blutsverwandte), eine verwandte Seele oder gar Tochter. Der Film greift die Widersprüchlichkeit auf. In der Serie gibt es eine spannende, zusätzliche Ebene nach der Claudia stets hinter Lestat zurückstecken muss und empfindet, dass Louis sie immer nur an zweite Stelle stellt. Dabei ist hier viel deutlicher charakterisiert, dass sie für ihn ein Schwester-Ersatz ist. Der Einfluss toxischer Beziehungen auf Louis wird damit umso deutlicher und folgt den Motiven, die die Serie mehr stressen will als Buch und Film.
Vampir-Überlieferung
Während man hier und da alle grundsätzlichen Motive irgendwie, irgendwo wiedererkennt, wird es bei der „Vampire Chronicles Lore“ wild. Damit meine ich alle Regeln, die in der jeweiligen Welt gelten. Obwohl ich die Folgebände nicht gelesen habe, unterstelle ich, dass die Regeln in Anne Rices Büchern gewachsen sind und mehr wurden. In Buch und Film gilt erstmal nur, dass ein Vampir nicht seine:n Schöpfer:in umbringen darf. Die Serie setzt noch eins oben drauf. So gibt es viel mehr Vampirgesetze und die schweben über Louis und Claudia (Delainey Hayles) wie ein Damoklesschwert, was in der zweiten Staffel sehr die Spannungsschrauben anzieht. Hier ist es auch ein Regelverstoß über die Vampire zu schreiben. Das macht Claudia doppelt zur Zielscheibe, aber auch Daniel Molly aka „den Interviewer“ (in der Serie Eric Bogosian). So hat man Claudia schließlich schon ab ihrem ersten Auftritt Tagebuch führen sehen. Teilweise Bücher, die sich sogar noch in Louis Besitz befinden. Über die Vampire zu schreiben wird ein globales Problem und zieht viel größere Kreise.
Ein Motiv, dass die Serie vielleicht nicht ausspart, aber anders auslegt (Selbstakzeptanz) ist ein Motiv, das mich im Buch sehr berührt hat. Louis‘ Sinnsuche in „Höherem“. Er will händeringend über die Vampire und ihre Herkunft erfahren. Die schiere Verzweiflung über den Mangel an Antworten ist ein großer Aspekt der Vorlage. Wenn Louis die Vampire von Paris fragt, ob sie wissen, wer sie geschaffen hat – Gott oder der Teufel? Ob sie überhaupt von der Existenz Gottes oder des Teufels wissen? Sie wären doch aber so alt – müssten sie das nicht? Dann liegt darin so eine existenzielle Verzweiflung.
Warum hat die Serie das ausgespart? Ich denke es liegt an der bloßen Masse an Material. Schon wer Königin der Verdammten, das 2002er Sequel zu Interview with the Vampire, gesehen hat, weiß, dass es Antworten geben wird. Letzten Endes rückt der Serien-Lestat auch mit mehr Informationen über Marius und die möglichen Fähigkeiten von Vampiren raus als der Buch- und Film-Lestat es überhaupt könnte. Louis Storyline in der Serie ist deswegen nicht minder wichtig. Sie ist aber persönlicher und mehr durch Beziehungen und seine Sexualität geprägt. Das Ende der zweiten Staffel ist für mich immer noch einer der besten Momente der Serie. „I own the night“.
Auch welche Fähigkeiten die Vampire haben, muss die Serie sehr viel schlauer einsetzen. Hier kann ein Vampir nicht die Gedanken seines Schöpfers lesen oder andersrum. Ein Aspekt der späteren Teile der Buchreihe. Der Film macht davon auch keinen Gebrauch. Dabei kann man in der Serie miterleben wie spannend es das Miteinander macht. 😉 Was man auch in Buch und Serie findet, aber im Film vermisst: Louis und Claudias Suche nach Antworten und Gemeinschaft führt sie nach Europa zur angeblichen Wiege der Vampire. Beide waren für mich spannende Kapitel, die ich im Film sehr vermisst habe. Aber ich schätze irgendwo muss man die Schere ansetzen.
Motive
Unter dem Punkt bündele ich schlichtweg alles, was sonst keinen Platz gefunden hat. Obwohl der Film eine sehr nahe Adaption des Buches ist, fehlt es der Wortwahl und Dramatik an Brillanz und kann nicht mit dem Buch mithalten. Auch die Serie geht in punkto Wortwahl und Dekadenz deutlich mehr in die Vollen. Das Buch strotzt nur so vor cleveren Onelinern und verbalem Schlagabtausch, was der Film nicht halten kann, die Serie aber schon. Schauwerte haben sie alle. Auch der Film aus 1994 hat so seine Momente, insbesondere bei der Vampirwerdung. All das funktioniert auch heute noch optisch.
Die Serie geht mit ihren Unterschieden sehr cool und gewitzt um – indem sie vorgibt jetzt das „echte“ Interview abzuhalten. Das frühere hat schon mal stattgefunden und fand ein jähes Ende. Andere spannende Ideen, die Alleinstellungsmerkmal der Serie sind, lassen sich finden. Beispielsweise auch, dass das Blut der Menschen in Europa nicht schmeckt, weil sie von Krieg und Mangel ausgezehrt sind. Das Buch findet ganz großartige Zitate, Metaphern und Momente – es macht Vampire wieder als Jäger greifbar und dass ich die Opfer bedaure. Das ist wiederum Alleinstellungsmerkmal des Buches. Der Film ist für mich so angepasstes Popcornkino, dass ich hier gar kein Alleinstellungsmerkmal finde.
Wie kann das Fazit lauten?
Unter dem Strich sind weder Film noch Serie 1:1-Adaptionen des Buches. Der Film bekommt Charaktere und Beziehungen nicht hin (oder leiht sich Aspekte von beispielsweise Lestat aus Folgebänden), die Serie modernisiert viel und konzentriert sich auf Motive wie queere, toxische Beziehungen. Dabei hat sie zwar das „große Ganze“ der Vampire Chronicles im Blick und wartet mit Crossovers und Easter Eggs auf (beispielsweise der Involvierung der Talamasca), verschiebt aber beispielsweise den Fokus von Louis Sinnsuche auf andere existenzielle Motive. Letzten Endes muss man sich entscheiden, welche Version man spannender findet. Die zeitgeistigere, konsequentere, die auch viel die Gegenwart einbezieht – dann ist die Serie die bessere Wahl. Oder eine, die alles so vage hält wie der Film. Oder die Version, die Vampire wieder zu Räubern macht und Louis durch eine große Sinnkrise führt – das Buch. Klar ist – zu bieten haben sie alle was.
Header image/photo credit: Janko Ferlič
Das ist nun vielleicht nicht das, was ihr lesen wollt, wenn ihr erwartet, dass ich sage „diese Version“ ist die beste. Oder „diese Version musst du gucken“. Aber ich denke man hört schon heraus, dass die Serie bei mir ganz vorn liegt, dann das Buch und hintenan der Film. Es kommt aber eben auch drauf an, was man sucht. Welche Version mögt ihr mehr? Was habe ich in meiner Betrachtung vergessen (oder keinen Platz mehr gehabt)? Hier geht es übrigens zu allen anderen Literarischen Fundstücken. Und hier zu allen anderen Beiträgen des Blog-Adventskalenders. 🎄
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