Der letzte Jahr zu recht gehypte The Holdovers hätte auch ganz anders gestaltet werden können. Der Film handelt von einem US-Jungeninternat in den 1970er Jahren. Wie jedes Jahr trifft es ein paar (Un)Glückliche, die über die Weihnachtsfeiertage und bis ins neue Jahr hinein in der Schule bleiben müssen. Der Schüler Angus (Dominic Sessa) wird von seiner Mutter und seinem Stiefvater versetzt. Der Geschichtslehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) wiederum wird mehr oder weniger als Strafe zum Dienst an den Feiertagen verdonnert. Lediglich Küchenchefin Mary (Da’Vine Joy Randolph) bleibt freiwillig. Achtung hier kommt der entscheidende Satz: an Weihnachten lernen alle Drei zusammenzurücken und finden in ihrer Zufallsgemeinschaft Gehör. Man ahnt: das ist ein schmaler Grat zu einem wunderbaren, kitschigen Mainstream-Popcornkino-Setting.
Dass The Holdovers gerade nicht nicht zu dem wird, liegt an vielen, kleinen Zutaten. Zum einen an dem von Anfang bis Ende zelebriertem Retro-Look der 70er. Und damit meine ich wirklich von den Opening bis End Credits. Nie fällt der Film aus seiner Rolle. Das wohl größte Argument ist aber der schonungslose Realismus seiner Charaktere. Hier wird eben nicht die Kitschbombe gezündet. Es ist nicht so einfach Selbstzweifel, Depression und Verlust zu überwinden. Oftmals schießen sie über das Ziel hinaus und bleiben in ihren Mustern. Aber gerade das macht die Situationen so besonders, in denen der schroffe Lehrer seine Einstellung zu den Schülern überdenkt. Oder in der Angus auf Spott verzichtet. Die Nebencharaktere, die eine Aussicht auf ein Liebes-Happy-End neben dem anderen Happy-End bieten, haben vielleicht aus Versehen doch schon einen Partner oder eine Partnerin und wir müssen uns damit begnügen, dass das Leben eben manchmal so spielt. Fast mühelos und sehr empathisch erzählt es darin die Geschichte sozialer Ungleichheit und von Eliten. Marys Geschichte hallt nach. Vor Allem aber auch der Stoizismus, mit dem sie all das durchlebt, weitermacht und den beiden Männern eine andere Form des Umgangs mit der Unfairness im Leben entgegensetzt. Chapeau.
The Holdovers zelebriert einen feinen Realismus, der aber überraschenderweise am Ende doch ausreicht, um uns zu erwärmen und in der Konstellation dieser Drei eine greifbarere und gerade deswegen so viel wertvollere Geschichte davon erzählt wie sehr verschiedene Menschen zusammenrücken können.
Auf so mancher Plattform und in so manchen Kritiken wird The Holdovers als neuer Weihnachtsklassiker gehandelt. Trotz all meines Lobes muss ich sagen: das mag sein, aber vielleicht auch eher in Kreisen von Filmfans. Denn für das was The Holdovers uns bietet, muss man etwas Geduld haben. Dann wird man aber auch belohnt mit einem Weihnachtsfilm, in dem dann doch mal die Menschen und die Nächstenliebe im Mittelpunkt stehen.
The Holdovers, USA, 2023, Alexander Payne, 133 min
Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch.
Das ist schon das vorletzte Türchen des Booleantskalenders 2024. Unter dem Link gelangt ihr zu allen anderen.
Schreibe einen Kommentar