Man muss sich schon wundern wie lange es manchmal dauert bis Bücher aus Fernost bei uns ankommen. 2017 erschien Asako Yuzukis Roman in Japan, in Deutschland erst 2024. Dass ich darauf aufmerksam wurde, habe ich Sabine zu verdanken. Wir lasen das Buch (mehr oder weniger 😉) parallel im Januar und das passte sehr gut zum Japanuary. Der Roman handelt von der Journalistin Rika, die von der Geschichte der des mehrfachen Mordes angeklagten (aber noch nicht verurteilten) Manako Kajii fasziniert ist. Sie soll den Tod mehrerer Männer verursacht haben, die sie vorher auf Datingportalen kennenlernte und sich von ihnen aushalten ließ. Die Medien konzentrieren sich stark auf Kajiis Äußeres frei nach dem Motto „Eine wie die hat so viele Männer um den Finger gewickelt?“, da sie offenbar zu füllig für das japanische Schönheitsideal ist. Die Medien schieben es auf ihre Kochkünste, dass sie so viele Verehrer (und vermeintliche Opfer) hatte. Rika würde gern, findet aber keinen Zugang zu Kajii bis sie doch gerade über dieses Thema Kajiis Aufmerksamkeit erregt: Essen.
„Von meinem verstorbenen Vater habe ich gelernt, dass eine Frau stets duldsam sein sollte. Dennoch gibt es zwei Dinge, die ich nicht ertragen kann: Feministinnen und Margarine.“
Manako Kajii, p.33
Prompt gestattet Kajii es der Journalistin eben doch sie im Gefängnis zu besuchen. Offenbar geht nicht nur Liebe durch den Magen. Für Rika ist die Begegnung ein Kulturschock. Kajii hat eine erzkonservative Meinung zur Rolle von Frauen und Männern. Sie sieht in all dem Medien-Buzz und Gerede nur Neid. Die Männer seien ihre Verehrer gewesen und sie hält es für die gottgegebene Aufgabe der Frauen sich um diese „armen“ Männer zu kümmern. Insbesondere Geschöpfe wie ihre (oftmals etwas betagteren oder sozial unbeholfenen) Verehrer, die sich kaum um sich selber kümmern können. Darüber hinaus verachtet sie Frauen, die sich ihrer Karriere widmen und hungern. Die wüssten ja gar nicht wie man richtig lebt. In der burschikosen Rika sieht sie all das und gibt ihr Aufgaben. Dazu gehört, dass sie sich ein einfaches Gericht aus Reis, Sojasoße und Butter kochen soll. Und ganz sicher Butter – auf keinen Fall mit Margarine!
„Doch schon bald umhüllte, wie von Kajii vorausgesagt, geschmolzene Butter jedes Reiskorn und erzeugte ein Aroma, das nicht anders als golden zu beschreiben war. Eine goldglänzende, würzige, in ihrer Reichhaltigkeit überschäumende Woge aus Duft und Geschmack schlug über Rika zusammen, überschwemmte sie, riss sie mit sich fort.“
p.38
Rika ist tatsächlich betört von dem Gericht, aber auch davon sich selber etwas zu kochen oder gut essen zu gehen. Kajii übt mit ihren polarisierenden, patriarchalen Ansichten und kleinen Hausaufgaben mehr und mehr Einfluss auf Rika aus. Sehr zur Bestürzung von Rikas bester Freundin Reiko. Noch so eine Frau wie Kajii sie hasst. Sitzen sich die drei Frauen gegenüber, sieht man Pole, die einander abstoßen. In dem Roman hingegen vermischen sich nach und nach mehrere Themen. Zum Einen die Schuldfrage Kajiis, zum Anderen wie Rika versucht Kajii „gefällig“ zu bleiben, indem sie ihre Aufgaben absolviert. Auch Reiko wird zunehmend in den Sog hineingezogen, den die Personalie Manako Kajii erzeugt. Desto mehr die beiden Frauen Kajiis Geschichte nachgehen, desto klarer wird allerdings, dass nicht alles so ist wie Kajii es wahrnimmt oder sich zurechtlegt.

Entgegen dem, was man denken könnte ist Butter kein Kriminalroman. Zwar basiert er lose auf dem echten Fall der Heiratsschwindlerin und Mörderin Kanae Kijima (siehe auch Butter, Blut, Beratung auf literaturkritik.de) und es gibt in der Tat eine Spurensuche in Manako Kajiis Vergangenheit, aber all das ergründet eher das Mindset dieser Frau, die fast schon brutal andere Frauen abzulehnen scheint. Anfangs könnte man denken, dass man hier in ein Hannibal-Lecter-Szenario reinläuft. Quid pro quo, Bohnen, Leber und ein Chianti? Nein, das nicht ganz und vor Allem ohne Kannibalismus. Der Kriminalfall Kajii ist nicht gut ausgearbeitet und man fragt sich wie sie überhaupt angeklagt werden konnte? Gibt es nicht nur Indizien, Vermutungen und Anschuldigungen? All das bleibt sehr flach. Stattdessen ist schon spannend zu sehen wie weit Rika geht, um weiter Zugang zu Kajii zu haben und tatsächlich (ganz wie es Kajii sich wohl wünscht) ihre Verehrerin wird. Als Rika beginnt durch all die kulinarischen Abenteuer zuzunehmen, reagiert ihre Umwelt und zeigt wie präsent trotz unseres Zeitalters, Emanzipation und gegenseitiger Rücksichtnahme bestimmte Bilder und Körperideale sind.
„‚Aber bei Frauen ist Fett etwas anderes als bei Männern, oder? Das sage ich nur zu deinem Besten‘, schrieb er gereizt.“
Rikas Freund in einer Nachricht an sie, p.83
Für Rika wird die Begegnung lebensverändernd. Asako Yuzukis Butter ist ein Hybrid zwischen Gesellschaftskritik, Genussroman und Emanzipationsgeschichte. Am Beispiel dreier Frauen (Rika, Reiko und Manako Kajii) wird demonstriert wie Zwänge und Geschlechterrollen zum Selbstbetrug führen und wie brutal Menschen unrealistische Anforderungen an andere stellen und sie bewerten.
Was heißt es ein gutes Leben zu führen? Die Antwort könnte laut des Romans sein: genießen und sich nicht selber belügen. Tatsächlich sind die Passagen in denen Asako Yuzuki über Lebensmittel, das Kochen und den Verzehr schreibt fabelhaft. Sie lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen und fast die drei Gänge Menüs riechen und schmecken, den gehaltvollen Schmelz der Buttercreme auf der Torte fühlen und sich auf die nächste Mahlzeit freuen. Da vergesse ich fast, das auch ich deutlich mehr Kriminalroman erwartet habe.
Fazit
Mauer Kriminalfall, aber interessanter Genussroman und Abrechnung mit Geschlechterrollen
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-7466-4071-6, Aufbau Verlag
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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