Mit den dunkleren Jahreszeiten steigt bei mir die Lust auf schwierige, düstere und gruselige Stoffe. Desaströse Geschichten, die uns mit moralisch-grenzwertigen Fragen konfrontieren – nicht immer leichte Kost. Ein Kollege hat mal gesagt, er würde nichts gucken, was negative Gefühle hinterläßt. Ich finde es aber interessant wie stark und spannend es sein kann, wenn der Zuschauer gefordert wird und die Grenzen verschwimmen. Zwischen Gut und Böse, Opfer und Täter, Recht und Unrecht. Es gilt: 7 Filme mit einem gemeinsamen Nenner. Diesmal: Moralisch-schwierige Filme.
Sleep Tight
Luis Tosar verkörpert in dieser spanischen Produktion aus dem Jahr 2011 César. Den wohl bösartigsten, gruseligen Hausmeister, den wir uns alle nicht wünschen. Er ist unglücklich mit seinem Leben, findet keine Antworten für sein Unglück und drangsaliert im Geheimen die Bewohner des Mietshauses, für das er zuständig ist. Er kennt die Geheimnisse, Sorgen und Schwächen der Leute und spielt damit wie es ihm beliebt. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm die stets fröhliche Clara (Marta Etura), deren Leben und Lächeln er vollends zerstören will. Es beginnt mit kleinen Biestigkeiten wie in ihre Kosmetik Stoffe zu mischen, die bei ihr Allergien auslösen und wird bald aber extrem widerwärtig.
Sleep Tight ist der krasseste Horrorfilm, den ich jemals gesehen habe, der kein Horrorfilm ist. Soll heißen: ich habe früher Horror immer mit Extreme im Sinne von extrem gruseligen metaphysischen Begebenheiten gleichgesetzt oder mit extremer körperlicher Gewalt (Slasher, Torture Porn). Sleep Tight ist aber ein moralischer Horrorfilm, denn die Bewohner des Hauses sind César auf gewisse Weise einfach ausgeliefert – ohne es zu wissen. Wem das oben beschriebene noch zu vage ist, dem verrate ich: der Titel Sleep Tight hat unmittelbar damit zutun, dass César Clara betäubt, und sich nachts neben sie legt. Um nur ein Beispiel für die Verletzung der Privatsphäre zu nennen. Es wird aber noch krasser, bis man sich in der eigenen Haut nicht mehr Wohl fühlt angesichts der Bösartigkeit. Dem Gedanken, dass jemand so sehr das Leben eines anderen Menschen zerstören will. Einfach weil der andere in der Lage ist fröhlich durchs Leben gehen zu können – auch im Angesicht von Widrigkeiten. Allgemein ist der Film was die Machart betrifft solide. Mir ist nichts außergewöhnlich gutes oder schlechtes an der Machart aufgefallen, weshalb ich nicht in Jubelstürme ausbreche und eben keine 10 Punkte gebe. Am meisten fällt das drastische Drehbuch auf, genauso wie auch das intensive Spiel der Figuren. Das Geschäft mit der Bösartigkeit ist aber allgemein schwierig und hinterläßt bei mir die Frage: warum macht man so einen Film? Wohl nur um zu schocken?
(7/10)
Trust
Annie Cameron (Liana Liberato) ist 14 Jahre alt und bekommt einen Laptop geschenkt – sie schreibt Mails, surft, geht in Chatrooms online und unterhält sich mit Leuten, die sie nur aus den Tiefen des WWW kennt. Einer davon ist Charlie. Er sagt, er ist 16, er scheint sie in allen Dingen zu verstehen. Sie sind auf einer Wellenlänge. Er sieht gut aus, auf den Fotos, die er ihr schickt. Das Problem ist nur: Charlie ist nicht 16 Jahre alt. Er ist älter. Und schon bald gerät Annie in einen Strudel der Gefühle, Sehnsucht danach geliebt zu werden, vermischt mit Unsicherheit und Schuld, der ihre Familie tief erschüttern wird. Allen voran ihr Vater Will (Clive Owen), der seine Tochter beschützen wollte, aber die Katastrophe nicht kommen sah.
Trust ist ein unbequemer Film (wie vermutlich viele der heute vorgestellten) – aber ein sehr gut gemachter. Es ist kein Rachethriller, in dem Clive Owen den Typen sucht und zur Rechenschaft zieht, der seine Tochter in Chatrooms bezirzt hat. Der Film ist realistisch, glaubwürdig und brisant. Die schauspielerischen Leistungen sind großartig und wirken wie aus dem Leben gegriffen. Man hat das Gefühl den Ausschnitt einer Tragödie zu sehen, von der man schon zig Mal in den Nachrichten gehört hat. Die Gefahren der Anonymität im Internet wirken beklemmend und keiner der Charaktere wirkt wie ein stumpfes Abziehbild oder Klischee, egal in welcher Opferrolle sie sich wiederfinden. David Schwimmers (‚Ross‘ aus Friends hat schon andere gute Filme gemacht!) Regiearbeit ist kompromisslos, jagt einem eine Gänsehaut ein und rüttelt uns wach. Ein guter Film, aber die Warnung ist angebracht: kein Feelgood-Movie. V.A. am Ende.
(9/10)
I Saw The Devil
Eine junge Frau hat in einer kalten Winternacht eine Autopanne. Während sie auf Hilfe wartet, telefoniert sie mit ihrem Freund. Ein Mann (Choi Min-sik) bietet ihr seine Hilfe an. Er kommt zu dem Schluss, dass man da nichts machen kann. Aber er geht nicht weg. Er ist ihr unheimlich. Fährt er jetzt endlich wieder weg? Sie ist vorsichtig, lässt die Türen verschlossen. Aber das nützt nichts. Er kommt an sie ran, er schlägt auf sie ein. Sie stirbt nicht – die Tortur beginnt erst. Aber er hat sich die falsche ausgesucht. Ihr Vater ist der ehemalige Polizeichef, ihr Verlobter ein Geheimagent (Lee Byung-hun). Und der ist schon bald hinter dem Mörder seiner Frau her.
I Saw The Devil habe ich wegen seines ihm vorauseilenden Rufs geschaut und v.A. auch wegen Choi Min-sik, der mich in Oldboy schwer begeistert hat. Aber scheinbar auch das Opfer von Typecasting ist? Er spielt wohl nicht nur hier eine unbequeme Rolle (u.a. auch in Lady Vengeance). Die hier ist aber besonders unbequem. Seine Darstellung eines eiskalten Mörders und Vergewaltigers lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Dieser Mörder ist absolut kaltschnäuzig, pervers und widerlich. Ebenso wie die Darstellung anderer Serienkiller – die sind vielleicht mit Bauernschläue ausgestattet, aber ansonsten nicht gerade intelligent und widersprechen mal dem überstrapazierten Bild, was Figuren wie Hannibal Lecter vermitteln. Der kultivierte Teufel, für den man manchmal Sympathien hegt. Vergiss es. Die hier dargestellten Mörder haben nichts mit diesem Mythos gemein und sind einfach Schweine. Das extreme Dilemma von Kim Soo-hyeon (Lee Byung-hun), der versucht seine Frau zu rächen, wird hier umso deutlich. Desto mehr Gefühlskälte und Grausamkeit ihm begegnet, desto mehr überschreitet er die Grenzen der Moral. Selbst bei dem noch so größten Schwein, dass er sich vornimmt, bleibt die Frage im Raum: ist er noch besser als die anderen? Was hat er los getreten? Hat er das noch im Griff? Der Film entwickelt einen Abwärtssog, einen Teufelskreis der Gewalt, dem man nur schwer zuschauen kann. Trotz der Genialität des moralischen Dilemma muss ich sagen: ist das nicht schon wieder zu blutig? Schon zu krass? Ich möchte nicht, dass der Film als Geheimtipp unter Menschen gilt, die ihn gucken wollen, weil er „voll krass blutig und so, Alter“ ist.
(7/10)
Entgleist
Der Familienvater Charles (Clive Owen) lernt im Zug die attraktive Lucinda (Jennifer Aniston) kennen. Beide sind auf einer Wellenlänge und landen kurze Zeit später in einem Hotel – ein Seitensprung, ein kleines (fast) anonymes Geheimnis wird zu einem Desaster. Ein Krimineller (Vincent Cassel) bricht in das Hotelzimmer ein, setzt Charles außer Gefecht und vergewaltigt Lucinda. Als er verschwunden ist, hindert Lucinda Charles daran die Polizei zu rufen. Sie will auf keinen Fall, dass ihr Mann davon erfährt. Dann kommen zwangsläufig Fragen auf wie „Warum warst du zu dieser Tageszeit überhaupt in dieser billigen Absteige?“ Aber der Gangster hat die Situation als Seitensprung erkannt und kennt die Identitäten der Beiden. Er erpresst Charles und fordert horrende Summen. Charles findet sich in einem Dilemma ohne Ausweg wieder.
Charles‘ Situation ist beklemmend und Clive Owen bringt sehr lebhaft rüber wie drastisch die Situation und sein innerer Kampf ist. Er empfindet Verpflichtung und Schuld – sowohl gegenüber seiner Frau und seiner Tochter, als auch gegenüber Lucinda. Und muss gleichzeitig fürchten, dass seine Familie bedroht wird – abgesehen von den Unsummen die er auftreiben muss. Man sieht auch Jennifer Aniston zur Abwechslung mal nicht in einer albernen Comedy-Rolle – was irgendwie sehr überraschend war. Ansonsten ist der Film sehr beklemmend und ruft unweigerlich die Frage auf: wie hätte ich gehandelt? (Oder auch: wäre ich überhaupt in diese Situation geraten? Ab wann hätte ich etwas anders gemacht?) Dabei pendelt der Film des Schweden Mikael Håfström zwischen einem atemlosen Drama und einem seichten Thriller und trifft vielleicht nicht jedermanns Nerv. V.A. weil die Thrillerelemente etwas reißerisch überspitzt wirken. Die Dramatik ist besser getroffen, finde ich.
(8/10)
Die Haut in der ich wohne
In der Villa des Chirurgen Robert Ledgard (Antonio Banderas) lebt vollkommen isoliert und abgeschnitten von der Außenwelt eine junge Frau namens Vera (Elena Anaya). Die Umstände unter denen sie lebt sind gut: sie wird von der Haushälterin Marilia (Marisa Paredes) mit Lebensmitteln versorgt und allem, was sie sonst benötigt. Sie trägt eine Art Stütz– und Schutzanzug, als ob sie eine OP hinter sich hätte. Obwohl sie nicht versucht auszubrechen, erweckt es auch nicht den Anschein, als ob sie freiwillig dort ist. Sie ist gefangen. Als der gewalttätige Sohn der Haushälterin einbricht, wird eine Ereigniskette losgetreten, die alle Geheimnisse offenbart – folgenschwer.
Vorlage für dieses außerordentliche Werk Pedro Almodóvars ist der Roman Mygale (u.a. auch Tarantula) von Thierry Jonquet. Der Film selber ist aufgeteilt in mehrere Abschnitte. Zuerst bewegt man sich in der Gegenwart und versucht hinter das Geheimnis von Vera und Ledgard zu kommen. Darauf folgen Abschnitte der Vergangenheit aus der Sicht von u.A. Ledgard selber, bis alle losen Enden wieder in der Gegenwart zusammenlaufen. Die Haut, in der ich wohne beschäftigt sich mit großen Themen wie der Identität und Schuld. Hierbei verwischen die Grenzen so stark wie in bisher wenigen Filmen, die ich gesehen habe. Der Zuschauer wird auf dem Weg zur Auflösung in einen Strudel der Zusammenhänge und Missverständnisse gerissen. Als das Rätsel der Beziehung zwischen Ledgard und Vera gelüftet wird, trifft es einen hart. Ich war wirklich geschockt. Insbesondere weil man von Anfang an vor des Rätsels Lösung stand und es diesem Film wirklich gelingt einen nichts erraten zu lassen und langsam immer näher zur Auflösung führt. Was das Thema Schuld betrifft, so möchte man werten aber es ist fast unmöglich. Täter sind hier gleichzeitig Opfer und Opfer gleichzeitig Täter. Insbesondere Antonio Banderas als Dr. Ledgard ist beängstigend und schafft es, dass man gleichzeitig mit ihm leidet. Ja sogar für ihn hofft. Selten hat mich ein Film noch so lange nach dem Anschauen noch beschäftigt.
(9/10)
Birth
In Jonathan Glazers Film aus dem Jahr 2004 begegnen wir Anna (Nicole Kidman), die die Hochzeit mit ihrem Freund Joseph (Danny Huston) plant. Es wird ihre zweite Ehe. Ihr erster Mann, Sean, ist vor 10 Jahren überraschend verstorben. Eines Tages steht jedoch ein 10-jähriger Junge vor ihrer Haustür und erklärt ihr mit seiner ruhigen, fixierten Art, dass er Sean sei. Ihr Sean. Ihr vor 10 Jahren verstorbener Mann. Anna hält das für einen widerwärtigen Scherz und schickt ihn weg. Als der Junge aber immer wieder auftaucht, insistiert sie dürfe Joseph nicht heiraten und Details kennt, die nur der echte Sean wissen kann, wachsen die Zweifel in Anna.
Gibt es die Reinkarnation? Oder ist das ein geschickter Schwindel? Das waren für mich eigentlich die Kernfragen des Films. Dahingehend wurde ich auch nicht enttäuscht – es drehte sich genau um diese Motive. Und um Annas Zweifel, die Nicole Kidman auch darstellt. Vielleicht könnte sie das mit etwas mehr Emotion tun, aber ich war überzeugt. Wie geht der Film mit der Prämisse um? In welche Richtung verläuft die Handlung? Metaphysisch? Dramatisch? Das hat mich neugierig gemacht. Und ich verrate euch nicht, in welche Richtung es geht. Sonst ist es ja nicht mehr spannend. Aber was ich euch verrate: andere Leute haben ganz andere Aspekte des Films sehr viel mehr interessiert. Statt den Motiven Reinkarnation, Zweifel, Betrug sahen viele eher Motive wie Pädophilie. Kidman wurde ausgebuht, die Szene in der sie und der Junge ein Bad nehmen, vielfach diskutiert. Natürlich sollte man bei einem Thema wie Pädophilie besonders sensibel sein – was der Film meiner Meinung aber auch tut und eigentlich eher entgegen wirkt. Es tut mir richtig leid, dass es so ein Flop an den Kinokassen war. Ich empfinde die stille, stilvolle Inszenierung als sehr gelungen. Die Motive sind atemberaubend schlicht, mal atemberaubend schön. Im Vordergrund stets das moralische Dilemma, die Zweifel von Anna und dem Zuschauer. Für mich ein sehr gelungener Film. Das Ende bietet uns übrigens eine Auflösung. Die sparsamen Gefühlsregungen (fast) aller Beteiligten und die ab und zu schwer nachvollziehbaren Handlungen und unangenehmen Nebencharaktere bringen mich aber dazu hier und da mal ein paar Punkte abzuziehen. Aber die Story … stark. Mit Under the skin (2013) ist Glazer scheinbar seinen schwer zu fassenden Storys treu geblieben – wenn auch auf etwas andere Art.
(7/10)
Das verborgene Gesicht
Belén (Clara Lago) und Adrián (Quim Gutierrez) bauen sich gemeinsam ein Leben in Bogotá auf. Trotzdem fürchtet sie, dass Adrián sie betrügt. Als sie durch Zufall einen geheimen Panikraum im Haus entdeckt, beschließt sie einen Treuebeweis zu inszenieren. Sie gibt an ihn zu verlassen, verschanzt sich aber in Wirklichkeit in dem Panikraum und will sehen, was ihr Test auslöst. Dabei vergisst sie aber den Schlüssel und ist in ihrem Versteck gefangen, schallisoliert hinter schweren Eisentüren. Als bei Adrián kurz darauf die Kellnerin Fabiana (Martina García) einzieht, wird diese von seltsamen Vorgängen im Haus erschreckt.
Das war so ein „Noch nie von dem Film gehört, aber neugierig“-DVD-Kauf. Und ein Fehlkauf? Die Zusammenfassung auf dem DVD-Rücken ist auf jeden Fall extra so formuliert, dass man eine ziemlich falsche Vorstellung von dem Film bekommt. So ist Das verborgene Gesicht weniger gruselig, sondern eher dramatisch und wirft einige Fragen auf. Mal abgesehen von der Frage „Wie konnte sie denn nur den verdammten Schlüssel vergessen!!!???“ Stattdessen fragt man sich unweigerlich, ob Beléns missglücktes Versteckspiel nicht am Ende Adrián provoziert hat. Hätte er sie ansonsten auch betrogen? Und bezahlt sie letztendlich deswegen mit ihrem Leben und verhungert in dem Panikraum? Es geschieht noch mehr, das ebenfalls moralische Fragen aufwirft. Dabei bleibt die Inszenierung einfach, fast simpel. Nur die Plausibilität stelle ich in einigen Szenen in Frage. Ist mancher Aspekt nicht extra provozierend gefilmt? Und ganz nebenbei … dass der Panikraum natürlich einmal von einem Nazi gebaut wurde, finde ich jetzt echt lahm und klischeehaft.
(5/10)
Vor kurzem habe ich erst Gone Girl geschaut – der hätte sich auch ganz gut in dieser Reihe gemacht. Wie ist das eigentlich bei euch? Erwischt ihr euch auch dabei, dass ihr in den dunkleren Jahreszeiten zu düsteren Themen greift? Oder eher nicht? Welche Filme der hier vorgestellten kennt ihr? Und wie ist eure Meinung darüber? Habt ihr mal einen Film erlebt, der total an den moralischen Fragen vorbeischrammt – oder auch einen, der hier bestens reinpasst? Welcher Film hat euch auf moralischer Ebene zutiefst getroffen oder verstört?
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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