„The Zone of Interest“ war jetzt nicht die leichteste Kost meines enthusiastischen Pre-Oscar-Filmschauens. Weiß man wenigstens ein bisschen was über den Film, ist man aber vorbereitet. Der Saal war voll. Die Antwort steht noch aus, ob wegen dieser Oscar-Atmosphäre oder wegen des Themas. Die Besprechung ist wie gewohnt spoilerfrei. TW/CW: Völkermord.
The Zone of Interest beginnt mit einem unbequem langen, schwarzen Screen. Brüche dieser Art wird es mehrere geben. Danach werden wir mit der Familie von Rudolf Höß (Christian Friedel) konfrontiert. Er ist Lagerkommandant des Konzentrationslagers Auschwitz und lebt mit seiner Familie direkt neben dem Gelände. Seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) kümmert sich leidenschaftlich um den Garten vor der Kulisse der Mauern mit Stacheldraht. Die Kinder spielen, während man in der Nähe die Schreie der Malträtierten, Gefolterten, der wider jeglicher Völkerrechte inhaftierten hört. Die Vorgaukelei einer Idylle – oder ist es für sie eine?
Tatsächlich schwebt über dem Zerrbild des Nazi-Familienidylls die Bedrohung der Versetzung. Es ist grotesk dabei zuzusehen wie die Familie um den Erhalt ihres Status und Heims kämpft, während nebenan ganze Familien entmenschlicht und umgebracht werden. Man stellt sich während des Schauens viele Fragen. Versteht Hedwig vielleicht nicht, was da passiert? Man will vielleicht sogar das Menschliche in ihrem Handeln suchen. Man will kurz denken, ach der Höß ist halt auch Vater, wenn er seine Töchter in den Schlaf liest. Aber geht das zusammen? Bei diesen Taten, die er Arbeit nennt? Wieviel von dem nehmen die Kinder wahr? Was denken sie denn über die kranke Ideologie, nach der sie handeln? Oder ist es „nur ein Job“? Wie finden die Eltern das denn so, wenn ihre Kinder in einem Garten spielen, der mit der Asche von Menschen überzogen ist? Über einiges daraus bekommt man einen Eindruck.
Jonathan Glazer ist jetzt nicht so der Typ für leichte Filmkost. Sein Birth hatte ein unbequemes Thema, das mir auf eigenartige Weise gefiel. Under the Skin hat mich umgehauen. The Zone of Interest ist ein ähnlich unbequemes Portrait von (Un)Menschlichkeit. Ich möchte sagen es fällt in die Kategorie „Banalität des Bösen“. Da stehen diese Menschen, die über all diese Gräuel Bescheid wissen, sie verüben oder zusehen und sich Gedanken über ihren Garten und Beförderungen machen, als ob es das Normalste von der Welt ist. Das Erschreckende: für sie ist es das. Nazis haben Familien. Haben (offensichtlich) Ambitionen. Sehnen sich nach einem Zuhause. Sorgen sich um die Kinder. Und können trotzdem Verbrechen an anderen verüben. Damit macht der Film die Komplexität des Menschlichen (be)greifbar. Vor Allem macht er damit aber nicht nur glücklich. Man hört ein Flüstern, das fragt: und wozu bist du fähig? Die da halten sich auch für „aufrechte, hart arbeitende Leute“.
Glazer und Team zeigen die Familie stets in Totalen, so als ob wir in ein Puppenhaus hineinschauen. Dadurch kann man selten ausmachen wie ihre Mimik genau ist, was sie eventuell fühlen. Sie bleiben sehr distanziert, denn Glazer ist es offenbar (und dankbarerweise) fern sie uns nahbar darzustellen. Stattdessen wirkt es grotesk wie im Hintergrund stets das Mahnmal KZ prangt, stummer Zeuge monströser Taten. In surrealen Zwischensequenzen und krassen Überblenden werden wir immer mal wieder aus dem Beobachten herausgeholt. Manche dieser Szenen sind zu abstrakt, wenn auch hypnotisch. Ton und Dialoge waren leider ab und zu sehr gedimmt und schwer verständlich im Kino. Obwohl ich es begrüße, dass Glazer auf deutsch- und polnisch-sprechenden Cast zurückgegriffen hat. Ton und Totalen sind ein Resultat der beobachtenden Perspektive, die Glazer uns einnehmen lässt. „Nazi, das fremde Individuum in seiner natürlichen Umgebung“.
Auch erwähnenswert: der Film kommt stets ohne Gore aus, aber mit hinreichend vielen Andeutungen. Am Ende ist es als ob aus einem dunklen Flur jemand Höß rufen würde. Es ist die Zukunft, in der die Folgen seiner Taten immer noch aufbewahrt und gezeigt werden. Aber nicht in Glanz und Gloria, sondern voller Abscheu. The Zone of Interest ist ein unbequemes Kunstwerk und kein Unterhaltungsfilm. Aber das wussten wir schon vorher, oder?
The Zone of Interest, USA/UK/Polen, 2023, Jonathan Glazer, 106 min, (8/10)
Puuuh. Da war’s einige Male sehr still im Saal, aber einige Male hat es auch heftig rumort. Kein Wunder bei dem Thema, oder? Habt ihr den Film gesehen und wie habt ihr ihn aufgefasst?
Schreibe einen Kommentar