The Art of Satoshi Kon, erschienen bei Dark Horse Comics, ist ein 144-Seiten starkes Artbook, das Illustrationen des Manga- und Animekünstlers zeigt. Den meisten ist Kon wahrscheinlich in seiner Position als Regiesseur von herausragenden Animefilmen wie Perfect Blue, Millennium Actress oder Paprika bekannt. Allerdings hat er auch die etwas david-lynchesque Serie Paranoia Agent und einige Manga geschaffen. So oder so war er ein begnadeter Künstler, der u.a. in die Filmgeschichte eingeht, weil er wie kein anderer das Machbare auslotet und in seinen Animationsfilmen Technik beherrscht und anwendet, die physisch im herkömmlichen Film nicht machbar oder sehr selten ist. Seine Geschichten sind durchorchestrierte, herzliche Meisterwerke – es ist entsetzlich, dass er uns so früh abhanden gekommen ist. Er verstarb 2010 im Alter von nur 46 Jahren.
Umso mehr kommt mir das Artbook wie ein kleiner Schatz vor. Es beinhaltet über hundert Seiten mit seinen Illustrationen. Der überwiegende Teil davon ist im Großformat dargestellt. Dabei werden chronologisch Illustrationen zu den Filmen, sowie seinen Manga gezeigt, aber auch unveröffentlichte Werke, Skizzen und Bilder für Proposals – Werke, die niemals über die Planungsphase hianusgekommen sind. Seine persönlichen Experimente mit Techniken und frühere Auftragsarbeiten als allgemeiner Illustrator (losgelöst vom Anime- und Manga-Stil) sind ebenso enthalten. Auf den letzten Seiten finden sich Kommentare zu den Illustrationen wie man es aus anderen Artbooks kennt. Jedes Bild erzählt eine Geschichte und Satoshi Kon erzählt mit seinen Kommentaren nochmal eine andere. Warum er ein bestimmtes Bild nicht mag, wofür es gedacht war, wieviel Anteil er überhaupt an dem Bild hatte, etc. Dabei kommen interessante Geschichten zutage und die kurzen Texte machen auf so manches Detail aufmerksam, das vorher nicht ins Auge sprang. Durch die Kommentare spürt man was für ein lässiger Mensch Satoshi Kon gewesen sein muss, der sich selbst nicht zu ernst nimmt und sich nicht für den Größten hält. Man erfährt ganz nebenbei mal, dass er für ein bestimmtes Bild die Textur seiner eigenen Klamotten gescannt und eingefügt hat. Ungeniert gibt er auch mal zu wenig Enthusiasmus in bestimmte Werke gesteckt zu haben. Gerade diese persönliche Seite von Artbooks ist es, die mich immer wieder fasziniert. Angesichts seines frühen Ablebens, habe ich die Seiten umso nachdenklich durchblättert und werde ein bisschen wehmütig, wenn ich lese
„Every picture in this book is something from me. They are things I created, and I take responsibility for them. The muscle memory of my right hand remembers them. I know all of this art so well, but the one thing that remains a mystery is, where did it come from? Where? I have no idea.“ (Satoshi Kon)
Der zündende Gedanke, drive, die Inspiration, – was den Künstler antreibt und woher die Idee kommt, ist ein unheimlich spannendes Thema. Und ich denke die Antwort darauf kann niemand so recht liefern. Schaut man sich Satoshi Kons Werke an, hat man aber immer den Eindruck, dass er seine Charaktere lebt und liebt und verdammt gut geht. Ihre Persönlichkeiten spiegeln sich in jedem noch so winzigen Detail, ihrer Mimik und ihrer Haltung. Kaum zu glauben, dass seine eigene Inspirationen und seine Ideen für ihn selbst schwer zu fassen sind. Unglaublich bitter, dass dieser geniale Verstand uns schon verlassen hat – von ihm hätten wir noch viel großes zu sehen bekommen. V.A. da sein Zeichenstil eher realistisch ist und wenig mit dem Kulleraugen-Stereotyp des Mangastils zutun hat. Genauso wie seine Geschichten durchweg sehr erwachsen waren.
Überraschend war für mich auch, dass das Artbook sehr viele seiner privaten Illustrationen enthält, die nahezu komplett auf den Mangastil verzichten. Man findet weiterhin auch einiges an Lineart, also an den „ins Reine“ gezeichneten, nicht illustrierten Skizzen. Durch das nähere Betrachten der Bilder, wurde mir erstmal klar, wieviel Gebrauch er von digitaler Kolorierung und Bildbearbeitung gemacht hat. Die Kommentare bestätigen das. Ich hatte ihn immer für einen strikt traditionell arbeitenden Zeichner empfunden und war direkt etwas erstaunt. Er begründet das u.a. damit, dass es keine Rolle spiele welchen Ansatz man wählt. Bilder sind immer zusammengefügte Fragmente – es komme auf das Gefühl an, was es auslöst.
Nachdem ich das Buch einige Male durchgeblättert habe, hätte ich mir gewünscht auch Zwischenschritte der Werke zu sehen. Aber wenn ich durch andere Artbooks blättere, sehe ich, dass das durchaus unüblich ist. Durch das Lineart und die Kommentare gibt es schon einen großen Einblick in seine Arbeitsweise. Für Fans von Satoshi Kon bietet das Buch einen besonderen Anreiz: es liegt das komplette Storyboard seines Kurzfilms Ohayou (Good Morning) vor, sowie das Character Design zu seinem leider nicht mehr fertig gestellten Animefilm Dream Machine. Ich habe schon oft davon gehört, dass es nachträglich zu Ende produziert werden soll, aber sich jetzt ein Bild von den Charakteren machen zu können, ist wunderschön. Am Anfang des Buches findet sich auch ein Brief von Darren Aronofksy (Black Swan, The Wrestler), der ein großer Bewunderer Kons war und damit sein Bedauern über den Tod des Meisters ausdrückt. Beim Abdrucken solcher Briefe bin ich immer etwas zwiegespalten. Zum Einen hat es nichts mit Kon zutun und wirkt mehr wie ein kleiner Aufhänger und namedropping, zum anderen bin ich dankbar dafür, dass jemand wie Aronofsky Satoshi Kon wahrgenommen hat und sich der Größe von Kons Werk bewusst ist. Interessantes Detail am Rande: sein oscarprämierter Film Black Swan weist etliche Ähnlichkeiten zu Kons Perfect Blue auf. Insgesamt bin ich sehr froh über die Zusammenstellung der Bilder, die Kommentare, den persönlichen Touch und empfinde das Artbooks als eines, das für echte Satoshi-Kon-Fans gemacht ist im Gegensatz zu anderen, die wahllose Screenshots aus den Filmen beinhalten.
Fazit:
Große Empfehlung für Satoshi Kon Fans und alle, die es noch werden wollen. Schönes Ding.
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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