Der namenlose Hauptcharakter ‚Driver‘ in Nicolas Winding Refns Literaturverfilm wird von Ryan Gosling gespielt. Tagsüber ist der Driver Stuntfahrer oder schraubt in der Werkstatt seines Freundes Shannon (Bryan Cranston). Nachts vermittelt er sich selber beispielsweise als Fluchtwagenfahrer. Und er ist der Beste. Shannon plant für sich und ihn aber ein besseres und (vielleicht) ehrlicheres Leben im Stockcar-Geschäft und leiht sich eine nicht unwesentliche Summe vom ‚Geschäftsmann‘ Bernie Rose (Albert Brooks). Derzeit lernt der Driver seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und ihren kleinen Sohn kennen. Er hilft ihnen hier und da aus der Patsche, zwischen den Beiden ist was, eine unausgesprochene Anziehung. Irenes Mann Standard (Oscar Isaac) kommt aber aus dem Gefängnis frei, zieht wieder zuhause ein und zerreißt das zarte Band. Als sich Standard in linke Geschäfte verstrickt, versucht der Driver ihm zu helfen und tritt eine Gewalterruption sondergleichen los.
Die Definition was genau Regiesseur Nicolas Winding Refn in der Filmbranche ist, steht noch aus. Enfant-Terrible? Schöpfer verschwurbelter, überspitzt blutiger Kunstfilme? Ryan-Gosling-Fan? Genie? Man weiß es nicht, da hat jeder eine andere Meinung. Er macht definitiv keine leicht zu verdauenden Filme. Jeder, den ich bisher gesehen habe hatte entweder eine kryptische oder schwer nachvollziehbare Handlung (Walhalla Rising, Bronson) oder einen deprimierenden Realismus (Pusher I – II). Alle Filme haben aber eins gemein: fantastische Kameraarbeit, unkonventionelle Geschichten und Handlungsaufbau; minutiös geplante Szenen, Bilder und Kompositionen und früher oder später Gewalt. Undzwar nicht gerade wenig. Drive setzt sich von den anderen Filmen dadurch ab, dass sie auf dem gleichnamigen Buch von James Sallis basiert und eine zarte Liebesgeschichte erzählt. Die Art Liebesgeschichte, bei der man sich unendlich wünscht, dass es funktioniert. Aber von dem Moment an ahnt, dass es nicht oder kaum klappen kann, wenn Irenes Mann vor der Tür steht. Die Art Liebesgeschichte, bei der die Luft um einen flirrt und man denkt zu spüren wie sich Driver und Irene verlieben – man meint es wortwörtlich zu sehen. Und dann ist da noch der Traum von einem geregelteren, geordneten Leben. Eine Familie; ein Job, der mehr abwirft. Bis zur ersten Hälfte zeichnet Drive das Bild eines Mannes, den man zu kennen glaubt. Oder zumindest dessen Ziel und Traum man nachempfinden kann. Und dann kommt die zweite Hälfte, in der der Driver die Grenzen der Legalität sprengt, um zu überleben und man merkt, dass man ihn nie gekannt hat. Das Schauspiel aller Beteiligten ist glaubwürdig, wobei den meisten eine sehr eng gefasste Rolle ohne viele Facetten zuteil wird. Irene ist zart und wirkt verletzlich und die Gangster sind eben die Gangster. Und Bryan Cranston als Shannon ist eben Bryan Cranston – der kann alles und ist gleichzeitig von allem ein bisschen. Ryan Gosling ist möglicherweise mit diesem Film (oder mit Crazy Stupid Love für die breite Masse) ein Frauenheld geworden. Ob sein Schauspiel hier genial ist, oder ob er einfach gut eine Fassade bewahren und cool aussehen kann, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Der Wechsel in der Atmosphäre zu einer Gewaltorgie geschieht mit überraschender Härte, sodass es für kurze Zeit fast an ein Splattermovie erinnert und für mich kurzzeitig etwas an Wertigkeit verloren hat. Das ist allerdings Geschmackssache. Der Stilbruch innerhalb des Filmes kommt plötzlich und ist krass und wirkt langanhaltend wie die Zerstörung eines schönen Traumes. So many feelings …
Bildgewalt, Symbolcharakter der Szenen und Abstimmung mit dem grandiosen Soundtrack sind das weitere Plus des Films. Drive wirkt ein Film von jemandem, der Filme liebt. Und gute Musik. Der Film-Soundtrack von Cliff Martinez ist schon einer der besten, die ich kenne. V.A. wird er aber auch noch abgerundet von den Songs Nightcall (Kavinsky & Lovefoxxx) und A Real Hero (College feat. Electric Youth), um nur zwei zu nennen. Immer wenn ich ab jetzt A Real Hero im Ohr habe, sehe ich vor meinem inneren Auge wie Driver, Irene und ihr Sohn Benicio dem Sonnenuntergang entgegen fahren. Und nein, ich habe das Ende des Films gerade nicht gespoilert. 😉 Drive stammt aus dem Jahr 2011 und schaut man sich heute Winding Refns Filmografie an, so meint man das eine oder andere Muster zu erkennen. Beispielsweise, dass er seine Lieblinge hat. Früher Mads Mikkelsen (Pusher I-II, Walhalla Rising), heute Ryan Gosling (Drive, Only God Forgives). Vielleicht auch den Hang zu namenlosen Hauptcharakteren – aber das kann auch noch Zufall sein. Ich bin jedenfalls gespannt was er in Zukunft rausbringt und in welche Richtung das geht. Mit Drive hat er möglicherweise einen Klassiker der (Indie-)Filmgeschichte hingelegt.
Drive, USA, 2011, Nicolas Winding Refn, 100 min
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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