Müsste ich wetten, würde ich es tun: die Mehrzahl der Besprechung von „Qualityland“ beginnen bestimmt mit dem Satz „Also die Känguru-Trilogie habe ich geliebt, […]“. Und was soll ich sagen? Also die Känguru-Trilogie habe ich geliebt 🙂 Es war klar, dass ich mir Qualityland zu Gemüte führen würde. Marc-Uwe Kling ist schließlich nicht alleine durch das anarchistische, subversive und „süüüüüüüße“ Känguru ein Garant für gesellschaftskritischen Humor. Tatsächlich war mir neben all den Dingen, die Kling herausgebracht hat, „Qualityland“ aber schon vor dem Hören eine zu ausgelutschte Idee. Und das wird, um der Review schon etwas vorauszuschicken, auch das Verhängnis der Geschichte.
Come to where the quality is! Come to QualityLand!
In Marc-Uwe Klings Zukunftsvision hat ein Marketing-Gag ein Land, das man vielleicht mal als Deutschland kannte, zu Qualityland umbenannt. Entweder sind dort alle Web-basierten-Dienste verstaatlicht oder der Markt ist ein Monopol einzelner Web-Dienste. Alles läuft in festgetretenen Bahnen. Menschen bekommen als Nachnamen den Beruf ihres Vaters bzw. ihrer Mutter. So heißt unser Held beispielsweise Peter Arbeitsloser, während ein anderer Charakter Martin Vorstand heißt. Menschen bezahlen bargeldlos über ein QualityPad oder mit der Technologie TouchKiss. Und alle haben ein Level, dass durch diverse Errungenschaften steigen oder sinken kann. Beförderung? Eine berühmte Persönlichkeit getroffen? Level steigt. Dein Freund hat sich von dir getrennt? Level sinkt. Bürger eines hohen Levels können auf Wunsch die Ampel grün schalten, während Leute eines niedrigen Levels um ihre Versorgung im Krankenhaus bangen müssen. Leute mit einem besonders niedrigen Level werden als Nutzlose bezeichnet. Man muss außerdem nicht mehr viel selektieren, worüber man lesen möchte oder welche Produkte man kaufen möchte. Algorithmen wissen vorher, was man will und schicken es einem einfach. Wie aufmerksam. Willkommen in Qualityland!
Ein Nutzloser läuft Amok
Als Peter Arbeitsloser aber einen pinken Delfin-Vibrator geschickt bekommen (und natürlich bezahlt) hat, den er nicht will, platzt ihm der Kragen. Er will sich beschweren und löst damit eine Kette an Ereignissen aus, die das algorithmen-indoktrinierte Gerüst von Qualityland zum Wanken bringt. Ganz nebenbei soll in Qualityland gewählt werden und einer der Kandidaten, John of Us, der sich zur Wahl stellt ist ein Roboter und sein größter Widersacher ein Erzkonservativer aus dem rechten Flügel. Bis Peter und John of Us aufeinandertreffen, erlebt der Leser oder Zuhörer aber noch eine abenteuerliche Reise in selbstfahrenden Taxis ohne Orientierungssinn, ein Treffen mit einem Alten, der verdächtig an Yoda erinnert und lernt sehr sympathische, defekte Roboter kennen.
Was das mit „Black Mirror“ zutun hat und was vom Känguru übrig ist …
… ist erschreckend viel. 🙂 Die einen oder anderen Hinweise auf Marc-Uwes literarisches Schaffen finden sich hier wieder. Das ist herrlich schräg und herrlich meta. Es war vielleicht einfach unumgänglich, dass das Känguru hier seinen Platz finden muss. Alle haben es erwartet und diese Erwartung wird nicht enttäuscht. Das Hörbuch ist auch in gewohnter Qualität gesprochen. Aber die Handlung reißt vermutlich niemanden vom Hocker, der schon „Black Mirror„ geschaut hat. Auch die britische Serie kreiert seit Jahren bittere Zukunftvisionen rund um Werbung, Presse und den Umgang mit Technologie. Manche Ideen doppeln sich und sind sicherlich parallel entstanden!? Beispielsweise, dass jemand Bewertungen bekommen kann, Likes bzw ein „Level“ beeinflussen, welche Möglichkeiten einem im täglichen Leben offen sind. Hat man ein niedriges Level, muss man in der Episode „Nosedive“ beispielsweise ein schlechteres Mietauto nehmen, als jemand mit einem höheren Level. Manche Leute reden vielleicht nicht mal mit einem. Um nur ein Beispiel dafür zu nennen, was einem in Qualityland bekannt vorkommt. Die Krux mit Zukunftsvisionen: sie funktionieren für die meisten nur einmal. Wer also wie ich „Black Mirror“ und viele anderen Dystopien schon gesehen oder gelesen hat, der findet im Qualityland nichts Neues, wodurch auch die Satire ihre Durchschlagskraft verliert.
Anzumerken ist aber, dass die Technologien gut recherchiert sind. Algorithmen, die bestimmen, was wir lesen gibt es beispielsweise schon lange. Facebook und Instagram zeigen schon lange nicht mehr in chronologischer Reihenfolge an, was gepostet wurde, sondern was der Algorithmus sagt, was uns am meisten interessiert. Anderes verschwindet einfach und bleibt unentdeckt, solange wir nicht gezielt nachschauen. Profile, in die Personen gruppiert werden, existieren ebenso. Und Cookies verraten welche Produkte wir uns angeschaut haben und werden gezielt in Werbung auf anderen Webseiten platziert. Fake-Artikel oder welche mit gewollt Aufmerksamkeit-erhaschenden Titel („Click-Bait“) gibt es schon so lange wie es das Internet gibt und erfreut sich v.A. Online-Magazinen, Blogs und Youtube großer Beliebtheit. Leute, die einem gute Bewertung schreiben oder die gar computer-generiert werden, gibt es ebenso. Vielleicht leben wir schon in Qualityland und wissen es noch gar nicht. 😉
„Der Algorithmus mit dem man mit muss.“
Bekommt Qualityland also ein Like?
Leider nein. Ich gehe aber auch sparsam mit meinen Likes um. Ein weiterer Kritikpunkt ist die sehr lange Exposition. Bis sich alle Charaktere der einzelnen Handlungsfäden treffen, dauert es. Und eine beträchtliche Zeit wird darin investiert den Hauptcharakter Peter Arbeitsloser vorzustellen, der eigentlich ein sympathischer Typ ist, der aus dem System ausbricht und es anfangs selber nicht merkt. Er ist noch ein bisschen der Mensch, der wir auch sind, trotz allem was in Qualityland passiert und welchen Regeln es folgt. Also eigentlich der perfekte Protagonist. Einer in den wir uns hineinversetezn können. Aber erst nach einigen Kapiteln. Denn anfangs wird er über lange Strecken als trübe Tasse inszeniert, sein Leben als stumpf und auch die Menschen um ihn herum, sodass man am liebsten ausschalten möchte. Der Humor in Qualityland variiert von bissiger, intelligenter und teilweise düsterer Satire zu relativ pubertären Humor – alles dabei. Die Mischung muss man aber abkönnen und führt dazu, dass man ein Kapitel genial findet, bei einem anderen getrost weghören will/kann. Was Marc-Uwe Kling aber trotz Allem gelingt ist ein in sich stimmiges World Building und eine vielschichtige Erzählung, die politische Brisanz hat. Das ist vielleicht nicht das, was die meisten Känguru-Hörer sich erhofft haben, aber wahrscheinlich das größte Plus des Hörbuchs. Fakt ist: wenn ich nicht bereits mit Dystopien so gut versorgt gewesen wäre, hätte mich das Hörbuch v.A. aufgrund dessen wesentlich besser abgeholt. Denn in Zeiten von Trump, Putins Wiederwahl, selektiven Threads, Facebook-Likes für jeden Atemzug eines Möchtegern-Philosophen und Fake-News trifft die Geschichte gegen Ende einen empfindlichen Nerv. Aber dafür muss man sich sehr lange Erklärungen und Ausführungen aus Qualityland anhören.
Nun bin ich ja sehr gespannt wie andere das wahrnehmen: habt ihr „Qualityland“ schon gelesen oder gehört? Bei mir war es übrigens die dunkle Version. War euch die Dystopie auch zu ausgelutscht oder erschienen euch die Ideen innovativer als mir? Was habt ihr erwartet und was habt ihr bekommen? Hättet ihr die Referenzen zu der Känguru-Trilogie lieber rausgelassen oder seid ihr glücklich, dass sie da sind? Greift ihr bei Marc-Uwe Kling eher zum Buch oder zum Hörbuch?
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