Feministischer Frühling: Feminism gone wrong? Stephen und Owen Kings „Sleeping Beauties“ und andere Medien

Der „Feministische Frühling“ ist eine Beitragsreihe, in der ich mich Feminismus in der Gesellschaft und Literatur widme. Nachdem ich im letzten Beitrag Virginia Woolfs feministische Essays „A Room of Ones Own“ und „Three Guineas“ las und verschiedene Tonarten über Feminismus entdeckte, bietet es sich an vermeintlich als feministisch deklarierte Medien näher zu betrachten. Vor einigen Wochen hörte ich beispielsweise das Hörbuch „Sleeping Beauties“ von Stephen und Owen King, das gern als feministische Erzählung verstanden wird.

Stephen und Owen King „Sleeping Beauties“

Es ist ein globales Phänomen: schlafende Frauen sind plötzlich von einem Kokon umgeben und wachen nicht mehr auf. Die Sleeping Beauties sind aber mit Vorsicht zu genießen. Wer ihren Dornröschenschlaf stört, sieht sich nicht etwa seiner geliebten Mutter, Ehefrau, Schwester, Freundin gegenüber; sondern das was da erwacht ist eine Furie, die Köpfe einschlägt und blind tötet. Die Kleinstadt Dooling trifft dieses Phänomen nach und nach. Wer die Nachrichten nicht aufmerksam verfolgt, macht den Fehler den Kokon zu entfernen. Fake-News machen die Runde, Hysterie und Verzweiflung breitet sich aus, während Frauen händeringend versuchen um alles in der Welt wach zu bleiben. Währenddessen werden im Frauengefängnis von Dooling Vorbereitungen getroffen, um die Insassen entweder wach zu halten oder niemanden an sie heranzulassen. Vor Allem nicht an die junge Frau, die vor kurzem erst in Dooling aufgetaucht ist. Sie heißt Evie und ist als einzige bekannte Frau nicht von dem Phänomen betroffen.

Stephen und Owen King überraschen mit einem Szenario, das durchaus aufrüttelnd ist, was die Rolle der Frau betrifft. Sie zeichnen das Bild einer Gesellschaft von Männern, die ohne ihre besseren Hälften nicht mal annähernd klarkommen. Und von Männern, die sich bedroht fühlen und bereitwillig zu Mördern werden. Sie fahren rum und zünden Kokons an, um die „Bestien“ zu vernichten, bevor sie aufwachen könnten. Gleichzeitig ist da Evie – eine Überfrau, die weiß, was es mit dem Phänomen auf sich hat. Die weiß, dass die Seelen der Frauen in einer Art anderer Dimension eine Parallelgesellschaft bilden, die erstaunlich friedlich vor sich hinlebt, während sich draußen ein menschliches Drama nach dem anderen abspielt und die Gewalt um sich schlägt. Eine Welt ohne Frauen? Scheint nicht zu funktionieren. Für Frauen sicherlich eine schöne Botschaft, aber bedeutungsvoller ist wahrscheinlich, dass die Kings erzählen, dass auch im Paradies der Frauen der Segen schief hängt und nicht alles rund läuft. Die eine oder andere hat eine sehr spezielle Meinung über den Fortbestand der Männer. So ganz kommt die Geschichte von Vater und Sohn hier nicht ohne Stereotypen aus wie die allwissende, übermächtige Figur der Evie oder die immergleichen Hinterwäldler, die alles ruinieren. Blutrünstige Killerfrauen machen halt auch noch keinen Feminismus aus. Und aus dem Nichts kommende übermenschliche Wesen wie Evie und Wahlmöglichkeiten ohne eine Erklärung sind ehrlich gesagt Züge von Fantasy und Horrorliteratur die bei 1000-Seiten-Schmökern und 60h-Hörbüchern dann doch ein zu wenig Kausales, zu wenig Ursachen auf den Tisch bringen. Die Idee, dass die Frauen in ihrer Dornröschen-Parallelwelt über den Fortbestand der Welt von Frauen und Männern entscheiden sollen ist prinzipiell interessant, genauso wie die Frage, ob ein Baby in ihrer Mitte zu einem aufrechten Jungen ohne Stereotype erzogen werden kann. Aber diese Denkanstöße gehen in einer Gewaltorgie unter.

Feminism gone wrong. Oder: was ist eine „starke Frau(enrolle)“?

Wer in Stephen und Owen Kings Werken Feminismus suchen will, sollte lieber in anderen als Sleeping Beauty suchen. Obwohl ich ein Stephen King Fan bin, muss ich leider sagen, dass er gut beraten ist, wenn er mal den Bechdel-Test zu rate zieht. Starke Frauen gibt es in seinen Büchern durchaus. Aber Frauen, die stark sind, weil sie die Dinge lautstark anpacken und auch mal jemandem eine Kugel verpassen oder wie in Sleeping Beauties zu mordenden Bestien werden ist (zumindest meiner Meinung nach) nicht die richtige Form des Feminismus. Das sind Rache-Fantasien, Gewalt und männliche Attribute die Frauen zugeschrieben werden („Die hat Eier“). So wie bullshittige Annahmen, dass Frauen im Job eher ernstgenommen werden, wenn sie mit einer tieferen Stimme sprechen und in Hose statt Rock auftreten. Warum sich verändern, verneinen, verbiegen, um männliche Attribute und Stereotypen zu bedienen. Ist das nicht ein Schaden für beide Seiten?

Eine starke Frau ist nicht eine, die am lautesten brüllt, sondern eine, die sich selber treu bleibt und auf ihre eigene Art die Dinge löst und trotzdem erfolgreich ist. Trotzdem ist der Begriff der starken Frau(enrolle) etwas, das auch in den Medien und der Literatur häufig falsch verstanden wird. Jessica Jones verblüfft augenscheinlich die meiste Zeit mit ihrer körperlichen Stärke, während ihr schnoddriges Mundwerk und Köpfchen doch eigentlich den Job tut, wenn wir mal ehrlich sind. Naomi Aldermans Buch wird oft als der feministische Literaturkassenschlager der letzten Jahre betrachtet und als feministisch bezeichnet, weil die Frauen hier unerwartet zu Macht und damit zu einer Vormachtstellung gegenüber den Männern gelangen. Sie haben die Möglichkeit elektrische Spannung und Strom bspw. in ihren Handflächen zu erzeugen. Das ist sehr ähnlich wie in Sleeping Beauties, mündet in Gewalt und darin, dass einer Macht über den anderen ausübt. Eine alte Geschichte. Die Figuren könnten kaum stereotyper sein. Gangsterbraut, religiöse Führerin, Politikerin und alle missbrauchen ihre Fähigkeit früher oder später. Und hier ist der Knackpunkt, der oftmals bei ihrem Buch missverstanden wird. Es ist die Lehre darüber, dass wir uns vor der Übererfüllung unserer Ideale in Acht nehmen und unsere Mittel achtsam wählen sollen. Denn ansonsten führt der Kampf für Gleichberechtigung vielleicht zu der Unterdrückung wiederum anderer. Eine ähnliche Lehre wie die, über die ich in meinem Artikel zu Diversity schrieb.

Sich nicht selbst im Weg stehen …

… sich aber auch nicht die Butter vom Brot wegnehmen lassen, das ist der Spagat, den Frauen schaffen müssen. Feminismus ist ein Thema, das hart diskutiert wird und oft missverstanden ist. Vor einer Weile stand beispielsweise die bekennende Feministin und Schauspielerin Emma Watson in der Kritik, warum sie sich denn bitte Feministin nennen dürfte, wenn sie teilweise freizügige Aufnahmen von sich machen lässt. Quelle: Frauentag: Warum so viele Frauen Femininismus falsch verstehen (miss.at) Sicherlich werden Frauen in den Medien benutzt, sexualisiert und vermitteln falsche Ideale. Sollte Feminismus aber nicht auch bedeuten seine Rechte und Freiheiten eben nicht einschränken zu lassen? Stichwort: Body-Positivity? Und was ist es, dass diesen Hass auslöst, der teilweise selbstbewussten Frauen entgegen schlägt? Vielleicht sogar aus den eigenen Reihen. Stichwort queen bees (zeit.de). Und der Feminismus – haben die Medien Recht und brauchen wir einen Neuen? Ist der Begriff tatsächlich so negativ konnotiert? Falls wir einen neuen brauchen, können du und ich heute damit anfangen. Du willst nicht laut sein und im Meeting brüllen müssen, um wahrgenommen zu werden? Dann mach es nicht. Lass nicht die Lautstärke deiner Worte, sondern ihr Gewicht für sich sprechen und schau dabei noch nach links und rechts. Schau nach, welche feministischen Initiativen und Programme es in deiner Stadt gibt oder setz dich mit wirklich starken Frauen in der Literatur, Serien, Filmen auseinander. Im nächsten Beitrag kann ich dabei vielleicht etwas Hilfe leisten. 🙂

Bisherige Artikel der Beitragsreihe

I. Sachbuch-Besprechung „Frauenbewegung und Feminismus“ von Ute Gerhard
II. Buch-Besprechung „Mrs Dalloway“ von Virginia Woolf“
III. Diversity und Wahrnehmung
IV. Virginia Woolf „A Room of One’s Own“ and „Three Guineas“ – zwei verschiedene Tonarten über Feminismus
V. Feminism gone wrong? Stephen und Owen Kings „Sleeping Beauties“ und andere Medien
VI. Ein Abschied vom Feministischen Frühling mit lesenswerten Geschichten von und über Frauen

Im nächsten und leider schon letzten Beitrag zum Feministischen Frühling versuche ich im Kontrast zu heute Bücher vorzustellen, die aufregende und spannende Frauenrollen präsentieren. Das ist dabei natürlich „nur“ meine Meinung. Wie sieht eurer Meinung nach eine wirklich starke Frau(enrolle) aus? Habt ihr das Gefühl, dass Feminismus heutzutage negativ konnotiert ist? Kennt ihr die oben genannten Beispiele für „feminism gone wrong“ wie Stephen und Owen Kings Hörbuch? Wie habt ihr beispielsweise Aldermans „The Power“ („Die Gabe“) wahrgenommen?

7 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Viel Beschäftige ich mich mit dem Thema nicht, weshalb meine Meinung nur wenig fundiert ist.

    Ich mag den Begriff der „starken Frau(enrolle)“ nicht, da es meiner Meinung nach nur starke und schwache Charaktere gibt. Rollenbilder formulieren die Anforderungen der Gesellschaft an das Individuum und diese müssen in einer gleichberechtigten Gesellschaft unabhängig vom Geschlecht sein.

    Dort wo eine feministische Bewegung über die Einforderung von gleichen Rechten und Pflichten hinausgeht, verliert sie die Berechtigung sich auf Feminismus zu berufen. Einen zweiten Begriff braucht man für die irreführend bezeichnete Bewegung, aber keinen zweiten Feminismus.
    Gleichberechtigung in Bereichen einzufordern in denen das Recht nur schwer umgesetzt werden kann, ist zudem problematisch. Gleichheit und Gleichberechtigung würde ich auch unterscheiden und Gleichheit herrscht in unserer Gesellschaft nur selten.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das mit den gleichberechtigt starken und schwachen Rollen ohne geschlechtsbezug ist ein guter Gedanke, der zeigt, dass das für dich kein Thema ist und Gleichberechtigung oder Gleichstellung fakt sein sollte. Es gibt ja teilweise sogar sehr prominente Beispiele wo das sehr öffentlich NICHT vorgelebt wird. Beispielsweise die Kategorien der besten weiblichen oder männlichen Hauptrolle oder Nebenrolle etc. bei den Oscars und vielen anderen Preisen. Sportlerin des Jahres, Sportler des Jahres etc. Man muss sich fragen: brauch man das? Bis vor ein paar Jahren hätte ich was Film betrifft, gesagt: ja. Da Frauenrollen tatsächlich oft zu Männerrollen umgeschrieben waren und sogar selbst große Studios entsprechende „Frauen-Drehbücher“ nicht umsetzen wollten. Aber heute wäre das mal ein schöner Schritt in die richtige Richtung. Aber das sieht bestimmt der eine oder v.A. die andere anders. Und ich frage mich sehr, was da wohl im Laufe der Zeit rauskommen würde. Würden dann vllt nur Männer gewinnen? Oder nur Frauen um was zu beweisen? Würden sie am Ende einfach alternieren, um niemanden auf den Schlips zu treten?

      Das mit der Gleichheit ist traurig, aber wahr …

  2. […] Own“ and „Three Guineas“ – zwei verschiedene Tonarten über Feminismus V. Feminism gone wrong? Stephen und Owen Kings „Sleeping Beauties“ und andere Medien VI. Ein Abschied vom Feministischen Frühling mit lesenswerten Geschichten von und über […]

  3. […] Own“ and „Three Guineas“ – zwei verschiedene Tonarten über Feminismus V. Feminism gone wrong? Stephen und Owen Kings „Sleeping Beauties“ und andere Medien VI. Ein Abschied vom Feministischen Frühling mit lesenswerten Geschichten von und über […]

  4. Hm, zu Sleeping Beauties gehen die Meinungen generell sehr weit auseinander. Ich habe es noch nicht gelesen, bin aber schon jetzt durch diese Extreme in den Eindrücken bisheriger Leser ein wenig voreingenommen und werde das Buch daher wohl erst in ein paar Jahren lesen, wenn alles so weit zurückliegt, dass ich offen genug und ohne Vorbehalte an die Lektüre gehen kann.

    Wie du und Voidpointer tu auch ich mich schwer damit, was oftmals unter dem Label „starke Frau“ verstanden wird. Ich selbst bezeichne eine Frau nur dann stark, wenn sie einen starken Charakter hat: Sie weiß, was sie will, hat eine eigene Meinung, lässt sich nicht bevormunden, sagt, was sie denkt und steht für ihre Ideale und für andere Menschen ein. So gesehen habe ich auch nie verstanden, warum bspw. Katniss aus „Die Tribute von Panem“ als starke Frau gefeiert wurde: Im ersten Band würde ich sie auch noch so bezeichnen, danach allerdings nicht mehr, weil sie immer wieder vor Verantwortung und Entscheidungen davon läuft, sich selbst etwas vormacht, sich teilweise zum Spielball beider Seiten machen lässt und immer wieder die ihr nahestehenden Menschen von sich wegstößt (die sie aber größtenteils danach trotzdem anhimmeln). Der breiten Masse wurde aber lieber verkauft, dass Katniss eine starke Frau ist, weil unter anderem durch sie die Revolution in Gang gesetzt wurde, weil sie kämpfen kann, eine sehr gute Bogenschießerin ist und die „Spiele“ überlebt hat.

    Feminismus würde ich gern als das sehen, was er ursprünglich war: das Streben nach Gleichberechtigung. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Begriff aber leider immer mehr eine negative Konnotation bekommen dank Menschen wie Alice Schwarzer. Männerhass, Pauschalisierung von Männern oder gar eine Denkweise, dass Frauen per se besser sind und alles besser können/machen würden, sind ebenso falsch wie die Unterdrückung und Stereotypisierung von Frauen. Wie du schon beschrieben hast, darf das Streben nach mehr Respekt gegenüber und mehr Rechten für Frauen nicht darin münden, dass man Männern alles abspricht, was man sich für Frauen wünscht. Eine Form der Diskriminierung mit einer anderen „auszugleichen“/ „zu bekämpfen“ ist der falsche Weg und zeigt nur, dass die vermeintlichen Feministinnen letztlich genauso moralisch fragwürdig sind wie sexistische Männer.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oh das ist weise. Ich mache manchmal einen Bogen um Reviews bzw speichere mir die ab, wenn ich weiß, dass ich demnächst etwas lesen oder sehen will. Andererseits tut es mir dann immer um die Artikel leid, die ich dann „(vorerst) verschmähe“. Denn bei manchen gehe ich auch lieber möglich ohne Vorwissen ran, damit die Eindrücke möglichst „pur“ sind.

      „Die Tribute von Panem“ habe ich nicht gelesen – nur die Filme gesehen. Aber ich finde es auch besorgniserregend was gerade in YA-Literatur so als Heldin verkauft wird. Gerade vor Verantwortung davonzulaufen ist jetzt auch meiner Meinung nach nicht etwas, das das Label „starke Frau“ rechtfertigt – obwohl ich auch nicht pauschalisieren möchte. Sie kann dafür ja andere Eigenschaften haben, die sie „stark“ machen. Oder eben daran wachsen und als starke Frau daraus hervorgehen. Aber gerade bei den Stoffen bin ich auch vorsichtig. Sie verkaufen schnell Frauen dann als starke Frauen, wenn sie sich mit Männern messen können. Oder eine große Klappe haben, etc. Das ist ein bisschen „einfach“ und vernachlässigt gerne die Realität…
      Ich glaube ich definiere „stark“ auch in den meisten Fällen als charakterlich „stark“ oder wenn man in Bezug auf irgendetwas gegen den Strom schwimmen muss. Sei es lauthals schreiend oder ganz im Stillen.

      Wahre Worte – gute Worte! So wäre mir Feminismus auch lieber.

  5. […] einen das nicht mehr von den Socken. Oder wie seht ihr das? Und danach kam Stephen und Owen Kings Sleeping Beauties, das zwar spannend war, aber meines Erachtens nach „falscher Feminismus“ und meiner […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert