angelesen: „20th Century Boys“ Perfect Edition Vol. 2, „The Promised Neverland“ Bd. 1, „Focus 10“ Bd. 1 & „Gideon Falls“ Vol. 1

Nachdem ich neulich zwei für meinen Geschmack nicht so ganz einfach zu lesende Bücher abgeschlossen hatte (Dostojewsijs Türstopper Verbrechen und Strafe und Gibsons „Neuromancer“), war mir nach etwas peppigerer Literaturkost, die man auch mal an einem Nachmittag weglesen kann ohne eine mehrwöchige Beziehung mit den Buchdeckeln einzugehen. Der Stapel ungelesener Manga und Comics kam mir da sehr gelegen 🙂

„20th Century Boys“ Perfect Edition Vol. 2, Naoki Urasawa (engl. Ausgabe, VIZ)

Hach, wieder eine wunderbare Ausgabe. Da ich die Reihe vor einigen Jahren schon mal gelesen habe, ist es für mich ein Re-Read. Aber immerhin in einer sehr schön aufgelegten neuen Ausgabe. Übrigens auch auf Deutsch erhältlich. Es geht immer noch um Kenji und seine Kindheitsfreunde, die auf den Spuren des Sektenführers „Freund“ sind und vermuten müssen, dass er einer ihrer Mitschüler ist. Der Manga erlaubt sich (guter Kniff!) einen Zeitsprung und spielt geschickt mit dem Cut. Inzwischen geht „Freund“ über Leichen und hat offenbar bereits die Politik und Polizei im Griff – sein Einfluss wächst schnell. Dementsprechend spitzt sich die Lage zu und endet wie fast immer bei Urasawa mit einem perfekten Cliffhanger. Der Manga begeistert mich immer noch so sehr wie vor einigen Jahren, schönes Gefühl. 🙂

Als Re-Reader ist natürlich für mich immer ganz interessant besonders drauf zu schauen, was mir beim ersten Lesen entgangen ist oder was ich verdrängt habe. So konnte ich mich beispielsweise an Otchos tragische Familiengeschichte nicht mehr erinnern. Obwohl sie ja wirklich ans Herz geht – Urasawa hat für solche Nebenhandlungen unfassbar gutes Timing und Fingerspitzengefühl. Was mir beim ersten Lesen (natürlich) nicht aufgefallen ist (da ich damals noch nicht wusste, wer „Freund“ ist): man sieht „Freund“ irgendwann in den Kapiteln in „zivil“. D.h. ohne Maskerade und verborgen vor unseren ahnungslosen Helden und uns Lesern. Not bad, Urasawa. Ein schöner Aha-Effekt beim Re-Read. Hier gibt es übrigens auch Kathrins Eindrücke auf phantasienreisen.de.

„The Promised Neverland“ Bd. 1, Kaiu Shirai & Posuka Demizu (Carlsen Manga)

Dass ich mir Kaiu/Demizus Stoff irgendwie genehmige war klar, aber die Möglichkeiten waren plötzlich vielfältig. XD Zum Einen erschien der Manga in Deutschland, der Anime kam allerdings auch gerade frisch raus und wäre bspw. über Wakanim abrufbar (Kosten++) und in der offiziellen Manga Plus App von Shūeisha würden auch die ersten Kapitel online sein! Sehr cool, mal die Auswahl zu haben. Meine Meinung, ob ich lesen oder streamen will, wechselte wöchentlich. 😉 Da wusste ich allerdings noch nicht, dass ich bei Wakanim draufzahlen/abonnieren müsste und so fiel die Wahl irgendwann auf das Reinschnuppern mit der Shūeisha App. Auf den Anime bin ich ja immer noch gespannt, aber der Manga hat mich so gepackt, dass ich nicht anders kann als weiterzulesen. Es handelt von Kindern, die im Jahr 2045 in einem Waisenhaus aufwachsen. Unsere Heldin Emma und ihr Freund Norman bekommen aber eines Tages mit, dass die Kinder, die das Haus verlassen nicht etwa zu Adoptiveltern unterwegs sind, sondern als Snack für Monster herhalten müssen. Ihre Waisenhaus ist nichts anderes als eine Farm und obwohl die „Haltung der Kinder“ vor ihrem bitteren Ende sehr human ist, weckt das Bilder von Massentierhaltung zumal sie gechipt und durchnummeriert sind. Auch Peta meinte neulich diesen Umstand nochmal klarer machen zu müssen … .

Leider kann man über die App nur die ersten drei Kapitel lesen. Es gibt auch ein, zwei Dinge, über die ich nur schwer hinwegsehen kann. Beispielsweise wie leicht es Emma und den anderen fällt zu überspielen, dass sie jetzt Bescheid wissen – und das auch ohne Pulsrasen oder verräterische Anzeichen. Klar, sie plotten im Geheimen wie sie entkommen können und irgendwie verraten sie sich ja doch durch schiere Fakten, aber äußerlich gelingt es ihnen perfekt es so wirken zu lassen als wäre alles wie immer. Aber ich erwarte von Kindern, die nie die Außenwelt gesehen haben eher etwas Verklärtheit, Verwirrtheit oder Naivität. Aber es ist spannend und gut gezeichnet. Ich habe mir dann den Manga-Band auf der LBM zugelegt und weitergelesen und werde das mit Begeisterung weiter machen.

„Focus 10“ Phase 01, Martina Peters (Carlsen Manga)

Das war dann wohl ein Instant-Read. Ich las, dass Martina Peters auf der Leipziger Buchmesse anwesend sein würde, signiert und dass sie eine relativ neue, laufende Mangareihe namens Focus 10 hat. Eigentlich dachte ich, dass ich up-to-date wäre, was die deutschen Zeichner betrifft, aber das ist mir total durchgerutscht. Bei deutschen Zeichnern schaue ich mit einem doppelt neugierigen Auge hin, weil ich selber vor etwas über 10 Jahren mal diesen Weg gehen wollte. Inzwischen haben die Zeichner ein relativ hohes Niveau. Früher mussten sie sich oft den Vorwurf gefallen lassen, dass die Bezeichnung „deutscher Manga“ keinen Sinn macht, wenn es sich nicht so anfühlt und nicht so aussieht wie „Manga“. Obwohl ich kein Fan von Schubladendeken bin, muss ich leider sagen: ja, so war es. Und da hätte man dann auch ruhig einfach Comic draufschreiben können. Irgendwann gab es dankbarerweise einen Shift und inzwischen einige deutsche Werke, die nach „Manga“ aussehen. Ich muss gestehen, dass ich auch bei Martina Peters in der Vergangenheit etwas hin- und hergerissen war. In ihrer „Lilientod“-Zeit wirkten ihre Manga und Charaktere auf mich so als ob sie im Aufbau ihrer Fähigkeiten noch nicht fertig wäre. Aber ein Blick auf das character design von Focus 10 im „Heute“ hat mich so überzeugt, dass ich sehr neugierig war und sofort reinschauen wollte.

Das Format des Manga ist neu bzw bisher selten. Focus 10 hat pro Ausgabe scheinbar jeweils ca 90 Seiten und ist somit dünner als ein regulärer Manga, der mindestens doppelt so lang/breit ist. Früher haben es Manga deutscher Zeichner meist selten über 1-2 Bände geschafft. Ob nun der Aufwand ohne Assistenten so groß war oder man kein Vertrauen der Verlage genoss, sei mal dahingestellt. Focus 10 schafft es wohl auf mindestens 5 Ausgaben? Die 5. Ausgabe ist für Juli angesetzt. Somit ist sie immerhin schon länger als die meisten anderen Reihen deutscher Zeichner – zumindest so pi mal Daumen. Andererseits ist es sehr verwirrend den Manga zu suchen, da scheinbar zuvor auch schon die einzelnen Kapitel erschienen. Also Obacht beim Kauf. Die Bände werden als „Phase 01“, „Phasae 02“ etc bezeichnet, die Einzelkapitel entsprechend als „Kapitel x“.

Der Inhalt des Manga erschließt sich anfangs nur durch das Lesen zwischen den Zeilen. Es geht um zwei Geschwister, die in ihren Träumen furchtbare Monster sehen. Während der größere Bruder (und Erziehungsberechtigte seiner kleinen Schwester) aber scheinbar in seinen Träumen wandeln kann und dabei andere Welten betritt, hat sie Schlafparalyse und kann sich nicht bewegen und steht nachts unendliche Ängste aus, während die Monster sich ihr nähern. Sieht anfangs schön nach Mystery aus, wirklich gut gezeichnet, obwohl mir die Raster manchmal zu grob aussehen. Dann aber wird er bei einem seiner Spaziergänge von kostümierten Wesen angesprochen, die scheinbar diese Monster bekämpfen wollen, die Nachtmahre sind. Sie sehen aus wie aus einem Fantasy-Battle-Manga und stellen einen ziemlich Bruch zum restlichen Design dar, was mich sofort „raus“ gebracht hat. Wenn der Manga in die Richtung geht, werde ich wahrscheinlich nicht weiterlesen. Zudem hat auch Focus 10 einen seltsamen „Logikfaktor“, der für andere Leser eventuell besser funktionier als für mich. So finde ich es sehr dissonant, dass zwischen den Geschwistern nie zur Sprache kommt, dass der größere Bruder scheinbar metaphysische Fähigkeiten hat – er teleportiert sich scheinbar quasi durch das Wandeln im Raum. Ein Bruch mit der ansonsten realistisch dargestellten Welt, der einfach wie „an elephant in the room“ da steht und unkommentiert bleibt. Holt mich also im Nachhinein leider doch nicht so richtig ab. Funktioniert eventuell bessere für jüngere Leser.

„Gideon Falls“ Vol. 01; Jeff Lemire, Andrea Sorrentino, Dave Stewart (engl. Ausgabe, Image Comics)

Genial! Gideon Falls handelt einerseits von Norton, der in den Straßen seiner Stadt zwanghaft den Müll nach bestimmten Artefakten durchwühlt und in seinen Träumen die sogenannte „Black Barn“  (schwarze Scheune) sieht. Seine Psychiaterin versucht seine Zwangsstörung und Psychose zu behandeln, als sich seltsame Vorkommnisse häufen. Parallel dazu erzählt der Band auch die Geschichte des Pastors Wilfred, der zur Kirche nach Gideon Falls versetzt wird. Er soll vielmehr den dort verschwundenen Pastor ablösen. Als kurze Zeit darauf ein Mord geschieht, sieht auch er eine „Black Barn“, die plötzlich wieder verschwindet. Unglaublich spannend! War eine Empfehlung von Kaisu alias Christin. Das Design ist realistisch und düster. Die Farbflächen sind stets durchbrochen von etwas „Noise“, d.h. Rauschen. Es scheint quasi nie die Sonne zu scheinen oder fröhliche Farben zu geben, was zur Atmosphäre beiträgt. Die Grundstimmung wird in allen Aspekten gehalten. Großer Tipp für Fans von Verschwörungsstoffen gepaart mit einem Hauch Horror. Das Ende der ersten Ausgabe hält noch eine Überraschung parat und ich bin umso gespannter auf die zweite, die wohl im April in Übersee erscheinen soll. Inzwischen wird Gideon Falls auch durch den Splitter Verlag auf Deutsch veröffentlicht.

Das war ja gut durchmischt heute. Manga vom Großmeister, Manga von Newcomern, Manga von deutschen Zeichnern, erste Bände und Fortsetzungsbände, … nur eins haben sie alle gemeinsam: ihr Inhalt ist nicht undramatisch und teilweise düster. Ich mag es! 😀 Welche der oben genannten Reihen kennt ihr oder habt ihr eventuell auch schon gelesen? Hält sich das Niveau? Das kann ich nur für 20th Century Boys mit „ja“ beantworten. Und wie steht ihr eigentlich zu dem Begriff des „deutschen Manga“?

In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga, Comics und Graphic Novels, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂

2 Antworten

  1. Uuuuuh, ich freu mich, dass es dir gefallen hat, also Gideon Falls :3
    Gnihi!

    20th Century Boys, da muss der zweite Band endlich bei mir einziehen… bist jetzt schon di ezweite Person, die ihn lobt und mich an den Kauf erinnert 😀

    Und zu deiner Frage „deutsche Manga“?
    Eh, nö. Da soll sich Deutschland lieber einen eigenen Begriff suchen, aber nicht so nen komischen Mix machen und unter Manga versteht man immer, was gemeint ist … deutscher Mangaka hingegen passt besser, wenn man es so doppeln möchte.

  2. […] Band 1 war ich nun doch so angefixt, dass es nur mit kurzer Unterbrechung mit Band 2 weiterging. Spannend […]

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