Netzgeflüster: Game-Besprechung ‚Life is Strange‘ (PS4)

Es waren nicht nur die überschwänglich guten Rezensionen und Meinungen, die ich zu „Life is Strange“ mitbekommen haben, wegen denen ich das Spiel zocken wollte. Sondern v.A. auch der Zeitreise-Aspekt. Zeitreise – ein faszinierendes Thema mit unendlichen Möglichkeiten und Spielarten. Und wie unsere Handlungen das Geschehen beeinflussen lässt sich selten in einem Medium so gut darstellen und aktiv erleben wie in Videospielen. Das haben schon Oxenfree und Firewatch (wenn auch ohne Zeitreise) eindrucksvoll bewiesen. Hält „Life is Strange“ was die Rezensionen versprechen?

Und nochmal mit Gefühl

Maxine „Max“ Caulfield kehrt zum studieren in die Kleinstadt Arcadia Bay zurück, in der sie als Kind mit ihren Eltern lebte. Mit dem Umzug ließ sie damals auch ihre Freundin Chloe in einer schwierigen Zeit zurück. Das empfindsame und introvertierte Mädchen fühlt sich den wenigsten an der Blackwell Academy, ihrer Universität in Arcadia Bay, zugehörig. Um sich bei Chloe zu melden, fühlt sie sich zu schuldig. Eines Tages beobachtet sie wie ein Mädchen und eins der mobbenden Ekelpakete der Uni aneinandergeraten. Er hat eine Pistole, ein Schuss löst sich und das Mädchen stirbt. Unter Schock bemerkt Max, dass sie die Zeit zurückdrehen kann und nutzt es um das Mädchen zu retten. Das ist niemand geringeres als Chloe und so kreuzen sich die Pfade der ehemals besten Freundinnen. Noch ahnt Max nicht, dass die Fähigkeit und die schicksalhafte Begegnung eine folgenschwere Katastrophe auslösen.

„Life is Strange – Trailer“, via GameSpot (Youtube)

Eine Woche, die sich wie ein ganzes Leben anfühlt

Auf Max und Chloe prasselt die Härte des Lebens ohne Dämpfung ein. Währen der Verlust ihres Vaters (und der Kindheitsfreundin und der großen Liebe) Chloe bereits hart gemacht hat, sieht sich Max der eigenen Schuld gegenüber Chloe im Stich gelassen zu haben, Mobbing mit ansehen zu müssen, selber bedroht und gemobbt zu werden und nicht in das schicke Umfeld ihrer Elite-Universität zu passen. Mobbing und Ohnmacht statt Eingreifen werden zum Thema der Serie. Das Motiv unterstreicht umso stärker, dass die eigenen Handlungen einen signifikanten Unterschied machen können und es deswegen wichtig ist, sich nicht der Ohnmacht hinzugeben. Für Max wird das umso deutlicher, da sie durch die Fähigkeit mittels bloßer Willenskraft die Zeit zurückzudrehen das vielleicht erste Mal lernt zu handeln und ihre zurückgezogene, introvertierte Art überwindet – dankenswerterweise ohne sich dabei selbst untreu zu werden.

Die Spielmechanik löst das durch einen einfachen Button, den man zum zurückdrehen der Zeit drücken muss. Dabei wird auch optisch die Handlung zurückgespult und gibt dem Spieler die Chance mitzukriegen, „wo“ und „wann“ man sich gerade befindet. Zurückgedreht wird allerdings meist eine relativ kurze Zeit. Zumindest bis Max mehr über ihre Fähigkeit lernt. Neben dem „einfachen“ Zurückdrehen der Zeit gibt es auch die Option Max beispielsweise irgendwo zu platzieren und die Zeit danach zurückzudrehen, was es so wirken lässt, als ob sie sich plötzlich irgendwohin teleportiert hätte. So bekommt sie Zugriff auf verschlossene Orte – um nur ein Beispiel zu nennen. Ein Effekt, von dem nur selten Gebrauch gemacht wird. Außerdem muss man immer wieder Entscheidungen über Max‘ Handlungen treffen, die das Spielgeschehen beeinflussen. Dass diese Konsequenzen haben, wird im Spielverlauf immer durch Schmetterling-Symbole angezeigt, die am Bildschirmrand flattern. Ein schönes Gimmick, das irgendwie „Druck“ und „Bewusstsein“ erzeugt, aber fast unnötig ist. Da Max nicht selten vor der Frage steht, wen sie verpfeifen oder ob sie für einen gut gemeinten Zweck etwas klauen soll o.Ä. liegt auf der Hand, dass das nicht ohne Wirkung bleibt. Um bei verschiedenen Zeitlinien und Entscheidungen mitzukommen, hilft das Tagebuch von Max, in dem sie immer das Geschehen zusammenfasst. Anfangs wirkt das Spiel sehr seicht und man navigiert Max mal abgesehen von der Rettung Chloes durch Alltagssituationen die blöd ausgehen könnten, aber keine großen Auswirkungen haben. Als Spieler war ich von der Beiläufigkeit anfangs etwas enttäuscht (nicht aber vom Look and Feel des Spiels). Aber das gibt sich spätestens in der dritten von den insgesamt fünf Episoden in die das Spiel aufgeteilt ist. Dieses Kapitel von Max Versuchen bestenfalls alle zu retten und allen zu helfen, gipfelt in einer persönlichen und moralischen Katastrophe. Das Spiel fordert uns anstelle Max auf eine krasse Entscheidung zu treffen.

Life Is Strange™
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Introvertierte Helden

Die plötzliche Härte mit der das Leben in Life is Strange zuschlägt, setzt sich fort. Dabei lockert das Spiel die Stimmung mit Max herrlich ironischen und popkulturellen Kommentaren auf. Tipp: achtet mal auf die Kfz-Kennzeichen im Spiel, ein schönes Easteregg der Entwickler. Außerdem punktet die Unbeschwertheit, die Max und Chloes erneute Annäherung mit sich bringt. Das Spiel hat verstanden wie introvertierte Seelen funktionieren und macht Max nicht plötzlich zu einer Actionheldin. Ein melancholischer Indie-Soundtrack sorgt für die entsprechende Stimmung. Der ruhigen Max gegenüber steht Chloe als rebellisches Punk-Girl. Und es lässt Raum für Interpretation, ob aus der Freundschaft mehr werden könnte. Das Innenleben von Max und der steinige Weg, den sie geht wird in einem albtraumhaften und ja beinahe apokalyptischen Kapitel gipfeln, das enorm packt und mitreißt. Ich konnte nicht aufhören zu spielen. Denn soviel sei verraten: Max Fähigkeiten bringen das Gefüge der Welt durcheinander. Erfrischend ist, dass es gerade introvertierte Helden sind, die hier auftreten und die v.A. zu selten als „Weltenretter“ auftreten. Die nicht mit Muskeln, sondern Moral ans Ziel kommen müssen und außerdem eine der rar gesäten weiblichen spielbaren Hauptcharaktere. Vielleicht einer der Gründe, warum das Spiel soviel Anklang findet. Ein Motiv, dass sich durch die Handlung zieht ist das des „Everyday Hero“. So ist nicht nur der Titel des Fotografie-Wettbewerbs bei dem Max teilnehmen möchte, sich aber nicht so recht traut – es ist aber vor Allem auch die Ansage, dass jeder einen Unterschied machen kann. Eine durch und durch gelungene Botschaft.

Life Is Strange™
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Fazit

Anfangs (wenn auch stimmungsvoll) ein Slowburner, der sich aber zu einem atmosphärisch dichten, moralisch fordernden und unendlich spannenden Spiel mit erfrischen introvertierten Helden und Indie-Feeling steigert. Das Finale hat es in sich.

Habt ihr Life is Strange schon gespielt? Ich bin ja im Grunde echt spät dran und habe das Gefühl jeder kennt es schon. 🙂 Könnt ihr mir andere Spiele ähnlicher Stimmung und ähnlichen Genres empfehlen? Und habt ihr vielleicht schon Life is Strange 2 (das mit anderen Hauptcharakteren daherkommt) gespielt?

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂

2 Antworten

  1. Ich bin ja nun überhaupt keine Spielerin, dennoch finde ich Deinen Beitrag hochinteressant, weil er mich zum einen an den Film „Butterfly Effect“ erinnert und zum andern ich leider selbst Mobbing erfahren musste.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das mit „Butterfly Effect“ ist sogar überaus passend, weil es nicht nur mehrmals um die Konsequenzen der Zeitreisen geht, sondern der Schmetterling (vielleicht auch wegen des Effekts) häufig ein „Zeichen“ innerhalb der Handlung ist. Und Mobbing … ja, habe ich leider auch erlebt. Und ich schätze mal, dass es dein wie auch mein Leben sehr geprägt und beeinflusst hat? Es ist hier ein wirklich starkes Thema und ich möchte sagen auch sehr einfühlsam und wirkungsvoll eingesetzt. Und in mehreren Schattierungen. Neben der Heldin Max, die damit zu kämpfen hat, gibt es auch noch eine Person, die es härter trifft und die weniger soziales Umfeld hat, das sie auffangen kann. Führt zu einem der wohl krassesten Momente, die ich in einem Spiel erlebt habe.

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