Unter dem Hashtag #VisitingManderley findet ihr noch immer die Eindrücke unserer Leserunde auf Twitter, auch wenn wir inzwischen alle das Buch ausgelesen haben. Wir, das sind Kathrin, Jana, Matthias und ich, die wir hauptsächlich im Februar Daphne du Mauriers „Rebecca“ gemeinsam lasen und uns via Twitter darüber austauschten. Für mich und ich meine sogar für alle von uns war es die erste Begegnung mit du Mauriers Literatur, wenn ich auch bereits einige Verfilmungen ihrer Stoffe kenne. So stammt von ihr ja beispielsweise auch die Vorlage zu Hitchcocks „Die Vögel“. Wie war es nun – „Rebecca“ und das vielzitierte Manderley? Bewahrheiteten sich die Vermutungen aus meinem Zwischenbericht?
„Vergangene Nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley.“ p.9
„Ich spüre sie überall“
Die namenlose Protagonistin des Romans wird einen Geist nicht los mit dem sie an ihrem neuen Wohnsitz konfrontiert wird. Überall ist Rebecca. Eine Spukgeschichte ist es aber nicht. Alle reden lediglich von ihr. Rebecca ist die erste Frau ihres Mannes, Maxim de Winter. Während unsere Protagonistin quasi mittellos ist und vorher als Gesellschafterin für eine reichte, aber impertinente und obszöne Wohlhabende arbeitete, lernte sie Maxim de Winter kennen und verliebte sich in ihn. Auf de Winter scheint ein Schatten zu liegen aufgrund des grausigen Unfalltods seiner Frau Rebecca. Aber ihn umweht auch eine ansehnliche Familiengeschichte, er ist wohlhabend, hat Manieren – und er macht ihr einen Heiratsantrag. Die ich-Erzählerin hat wenig zu verlieren, liebt ihn ja schließlich und willigt ein. So zieht sie mit ihm auf Manderley ein, dem Anwesen der de Winters. Aber der Alters- und Klassenunterschied macht der jungen Ehefrau zu schaffen. Vor Allem aber auch die Aura und der Ruf Rebeccas. Rebecca war mondän, wunderschön, stilsicher, klug, sportlich. Sie war so vieles, was unsere Protagonistin meint nicht zu sein. Kann man so glücklich werden? Und trägt das ein ganzes Buch?
„Versprich mir, dass du nie schwarzen Satin tragen wirst.“
Hitchcock inszenierte Rebecca soweit ich mich erinnere deutlich mehr als Krimi- und Schauermär-Mittelding. Der Roman von du Maurier liest sich für mich mehr wie ein sehr ausschweifender Entwicklungsroman, dessen sehr deutliches und zahlreiches Foreshadowing bereits sehr früh erahnen lässt, dass ein bisschen mehr an Rebeccas fatalem Segelunfall dran ist als es anfangs den Anschein macht. Und überhaupt an der Person Rebecca. Aber es ist nicht von so dramatischem Charakter, dass sich das Buch wie ein Krimi lesen würde. Im Zentrum steht eine sehr junge Protagonistin, auf die du Maurier eigene Erfahrungen mit gesellschaftlichen Zwängen projiziert (siehe hierzu auch den Artikel aus dem Guardian von 2018). Unsere namenlose (Anti)Heldin ist es nicht gewohnt Menschen Anweisungen zu geben. Schon gar nicht welchen, die älter sind als sie. Als Hausherrin ist sie plötzlich in allen Belangen des Lebens gefragt und wird mehr wahrgenommen als es ihrem introvertiertem Charakter lieb ist. Höflichkeitsbesuche und das Gefühl stets und ständig bewertet und mit Rebecca verglichen zu werden, zermürbt sie.
Hinzu kommt, dass sie einzig von Menschen umgeben ist, die das Leben in einem Anwesen wie Manderley bereits kennen und die Anforderungen, die damit einher gehen. Ihr Ehemann scheint ihr bei dem komplett neuen Leben, das sie beginnt, keine große Hilfe zu sein. Sie selber empfindet es als erniedrigend jung zu sein. Würde gern mehr mit ihrem Mann auf Augenhöhe stehen. Dabei reflektieren die Menschen in ihrem Umfeld ihre Unsicherheit und behandeln sie entsprechend. Was nicht heißt, dass sie schuld hat. Sie lebt offenbar nun in einem Umfeld, das viel auf (An)Schein gibt. Und wer das Spiel nicht mitspielt, hat ihre Bewunderung nicht verdient. Dafür gibt es ein schönes Wort, das ihre Mitmenschen gut beschreibt: scheinheilig. Natürlichkeit ist aber offenbar das, was Maxim an ihr anziehend fand. Sie verkennt das fatal und wünscht sich eine Beziehung, bei der man heute eher stirnrunzelt. Sie möchte wie eine mütterliche, weise Figur für Maxim sein. Sie möchte älter sein, weil sie mit all diesen Attributen Erfahrungen und gesellschaftliche Wertschätzung gleichsetzt. So würde man heute Beziehung nicht definieren und unsere Leserunde war sich ziemlich einig darüber, dass sich das nicht nach einer Liebesbeziehung anfühlt und sie da etwas verkennt. Aber es zeigt wie eng sich für die Protagonistin das gesellschaftliche Korsett anfühlt.
Oh, schön, wie wir uns alle über das Frauenbild aufregen können! Richtiges Buch ausgesucht :).
Ich denke, dass Du Maurier durch die Figur der Rebecca das vorherrschende Frauenbild stützt. Etwa: Elegante Gesellschafterin – top, aber bloß keine Bedürfnisse. #VisitingManderley— Jana (@Wissenstagebuch) February 23, 2020
„Sie wollten sehen, was für eine ich war.“
Es gelingt du Maurier durchaus diese ganzen Zwänge lebhaft darzustellen. Für emanzipierte Leser*innen ist das aber unter Umständen zu ausschweifend und manchmal schwer zu lesen. Glücklicherweise gibt es den einen oder anderen Paukenschlag. Die Offenbarungen kommen plötzlich, sind spannend zu lesen, das Buch fällt dann aber gegen Ende in Abschnitte ab, durch die man sich vielleicht ein bisschen quälen muss. Ich lese du Mauriers Rebecca als ein Buch, das romantisch verklärte, introvertierte Charaktere die Augen öffnen will sich nicht zu verbiegen für dieses enge Korsett der Gesellschaft. Und das zeigen will, dass manchmal nicht alles so goldglänzend ist wie sein Ruf oder erster Anschein. Rebecca mag das Buch zieren, aber sie wird auch ein Symbol für charakterliche Verderbtheit, während die Protagonistin mit Sicherheit absichtlich namenlos bleibt, damit wir uns mit ihr identifizieren – und über den Dingen stehen? Es kommt dankbarerweise zu der Entwicklung, die ich im Zwischenbericht erwartete. Aber letzten Endes auch eher zaghaft.
Ich hab mir unter der Story anfangs etwas ganz anderes vorgestellt und bin davon ausgegangen, dass die „Verfolgung“ durch Rebecca und spooky Mrs Danvers fiel intensiver und furchteinflößender wäre. #VisitingManderley
— Phantásienreisen (@Phantasienreise) March 1, 2020
Man braucht etwas langen Atem an der einen oder anderen Stelle für das Buch. Je nachdem wie schwer man sich mit der Naivität und Introvertiertheit der Protagonistin tut. In jedem Fall aber ist du Mauriers Sprache einladend. Man kann förmlich die Wiesen rings um Manderley riechen oder die salzige Luft die von den tosenden Wellen und der Küste herüberweht. Sie macht Manderley und was seine Hallen an Dramen gesehen haben zu einem heimlichen Protagonisten. An Atmosphäre mangelt es nicht. Es ist sicherlich nicht das letzte Buch du Mauriers, das ich gelesen habe. Aber es wird vielleicht nicht mein Lieblingswerk werden. In jedem Fall freue ich mich darauf die Verfilmung Hitchcocks nochmal zu schauen und mich zu fragen, ob das Setting mit dem Schwerpunkt auf den Krimiaspekt besser für mich funktioniert. Und die eigentliche Botschaft des Romans wie ich sie verstehe überhaupt noch beinhaltet. Aber auch die anstehende Verfilmung durch Netflix und das Musical machen mich neugierig. So wird das hier sicherlich nicht der letzte Beitrag zu Rebecca bleiben – sie darf noch ein bisschen weiter wie ein Geist durch Manderley wandern und uns in Atem halten. Ein großer Dank gilt natürlich wie immer meinem Mitleser*innen 😀 Ohne euch hätte es denke ich deutlich weniger Spaß gemacht das Buch zu lesen.
„Wenn ich in wachem Zustand an Manderley dachte, sollte ich es ohne Verbitterung tun. Ich sollte daran denken, wie es vielleicht gewesen wäre, wenn ich ohne Furcht dort hätte leben können.“ p.12
Fazit
Für ausdauernde Leser, die mehr an einem Entwicklungsroman als einem Krimi interessiert sind.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-458-36134-3, insel Taschenbuch
Zu den Artikeln der Leserunde
01.02. Ankündigung von Kathrin
19.02. Zwischenbericht hier im Blog
04.03. Fazit von Jana
Kennt ihr „Rebecca“? In irgendeiner Adaption oder gar auch die Vorlage? Wie habt ihr das empfunden? Welche Werke von du Maurier kennt ihr und könnt ihr empfehlen? Seitdem ich Hannibal geschaut habe, kann ich übrigens kaum du Maurier schreiben, ohne dabei an Gillian Anderson zu denken die dort eine Therapeutin namens Bedelia du Maurier spielt. 🙂
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