ausgelesen: Diane Setterfield „Die dreizehnte Geschichte“

Letztes Jahr konnte ich mich nicht dazu aufraffen das Buch zu lesen. Dabei sollte es nach Jahren endlich runter von meinem SuB. Für mich persönlich haftet dem Buch ein Stigma an. Ich habe es schon ein Mal verliehen bevor ich es überhaupt selber gelesen habe. Danach sorgte es für einen handfesten Konflikt, der einer meiner Freundschaften schadete. Soviel Drama! Vielleicht fiel es mir deswegen schwer das Buch in die Hand zu nehmen. Störrisch setzte ich es von der Liste 22 für 2022 auf die Liste der 23 Bücher für 2023 – nein, es wird gelesen. Nur griff ich nie danach. Erst Ute schaffte es auf Twitter meine Gefühle über das Buch wieder zu begradigen und mich positiv neugierig auf Die dreizehnte Geschichte zu machen. Und als ich dann einmal angefangen hatte es zu lesen, pflügte ich sehr schnell durch die Seiten. Aus verschieden Gründen und mit gemischten Gefühlen.

Margaret kann es gar nicht fassen. Ausgerechnet eine der bekanntesten Romanautorinnen des Landes bittet sie ihre Biografie zu schreiben!? Vida Winter hat über 50 Bestseller geschrieben und gilt als exzentrisch und verschlossen. Fragen über ihr Privatleben und Aufwachsen hat sie bisher mit offensichtlichen Lügen quittiert – ohne mit der Wimper zu zucken. Nun soll Margaret alles erfahren? Sie reagiert verhalten. Zum Einen ist sie eigentlich Buchhändlerin und hat bisher nur eine einzige Biografie geschrieben. Zum Anderen kennt sie Vida Winters Werke gar nicht. Klassiker – das ist was Margaret viel lieber liest als zeitgenössisches. Aber sie nimmt die Herausforderunge an und beschäftigt sich zuerst mit Winters Werken. Danach stellt sie sich Vida Winter auf deren entlegenen Anwesen. Und die exzentrische Vida Winter hat strenge Vorgaben wie ihre gemeinsame Arbeit ablaufen soll. Was Margaret nicht ahnt: die geheime Familiengeschichte, die sie im folgenden hört, wird einige ihrer eigenen Geister empfindlich triggern.

„Schwerelos wanderte ich die ganze Nacht hindurch in der Geschichte von Miss Winter umher, steckte deren Landschaft ab, maß die Konturen und spähte auf Zehenspitzen über ihre Ränder, um einen Blick auf die Geheimnisse jenseits der Grenzen zu erhaschen.“ p.105

Dankbarerweise wird dieses plötzliche, fast märchenhafte Auftauchen in Margarets Leben auch als Besonderheit gehandhabt. Wirklich erklärt wird es aber nie, auch wenn die Parallelen zwischen Vida Winter und Margaret immer mehr werden. Die eigentliche Familiengeschichte Vida Winters liest sich weiterhin märchenhaft, aber auch brutal. Es ist die Geschichte von ihr und ihrer Schwester und davon wie sie vernachlässigt und regelrecht verwildert aufwuchsen. Zwar in eine reiche Familie geboren, aber eine von dysfunktionalen Beziehungen und Psychosen gebeutelte. Bald stehen die Kinder ohne Blutsverwandte da, mehr Raubtiere als Menschen. Die ehemalige Haushälterin der Familie und der Gärtner kümmern sich aus Pflichtbewusstsein um die Kinder und können sie kaum bändigen. Einige Menschen treten in das Leben der Schwestern und es kommt zu einer Katastrophe. Der wüste und tragische Familienepos präsentiert sich auch als eine Geistergeschichte – oder sind all die Ungereimtheiten und Erscheinungen eher menschlich? Für Margaret wie auch Lesende gibt es jede Menge Rätsel zu lösen.

Populären Themen reihen sich leider sehr mustergültig aneinander. Ideen von Buchhändlerinnen, die plötzlich entdeckt werden. Die, in großen Bibliotheken in entlegenen Anwesen reicher Leute wandeln und dafür bezahlt werden. Wovon träume ich jetzt nachts, wenn das alles schon hier drin steht? Es gibt schon vieles an dem Buch, an dem man sich aufreiben kann. Beispielsweise wie zufällig Vida Winter Margaret entdeckt oder die romantische Verklärtheit. Sowohl Vida Winter als auch Margaret sind große Fans klassischer Literatur, insbesondere der Romantik und Gothic Fiction (Schauerliteratur). Jane Eyre hat es ihnen besonders angetan und Die dreizehnte Geschichte erbt einiges aus dem Roman, auch aus Rebecca. Manchmal fühlt es sich schon wie ein touch too much an.

In der Fasson eben dieser dramatischen Vorlagen beginnt Margaret mehr als einmal in Regen, Kälte oder sonstigem Wetter zu schlafwandeln oder ihren Geistern durch den nächtlichen Garten Vida Winters zu folgen. Bis sie Fieber hat! So liebe Kinder, das haben wir nun daraus gelernt. Nicht nachmachen, was ihr in Gothic Fiction gelesen habt! Das nimmt auch später ein Arzt aufs Korn als er der fiebrigen Margaret verschreibt mal etwas rationales wie Sherlock Holmes zu lesen. Das natürlich nur, nachem er ihr ins Gesicht sagt, dass ihre „Krankheit“ v.A. Frauen befällt, die gern Jane Eyre lesen. Na Danke für das Mansplaining.

Wie man nun vielleicht heraushört, sehe ich all das nicht als Qualitätsmerkmal. Es bedient offenkundig Schwärmereien von Bücherfans. Das muss nicht schlecht sein, aber es könnte einem weniger ins Gesicht gedrückt werden. Andere Aspekte des Buches beweisen mir stattdessen, dass ich einfach nicht die Zielgruppe bin. Beispielsweise die stark romantisierten, ich möchte fast sagen kitschigen, Namen (Mrs & Mr Love, das Anwesen Angelfield). Noch schwerer tat ich mich aber mit den Familienverhältnissen. Die desinteressierte, unempathische Mutter und deren gewalttätiger Bruder waren mir schon ein Graus. Dann wachsen die Kinder quasi auch noch wie im Dschungelbuch auf.

Das einzige was die Schwestern haben, sind sie selber. Entsprechend eng ist ihre Beziehung. Zwar ist es faszinierend zu lesen, dass sie all die Zwillingsklischees und -Forschungsfelder bedienen, sie teilen z.B. eine eigene Sprache, aber andererseits erscheint auch das für mich allzu romantisch verklärt bis hin zu kitschig. Warum bin ich nicht die Zielgruppe? Weil ich Kitsch nicht mag und weil ich als Einzelkind echt Probleme hatte diese Geschwisterbeziehung als so märchenhaft eng glaubwürdig zu finden. Das mag nun mein eigenes Problem sein. Die tragischen Lebensstorys bis hin zu den Nebenfiguren ist eine weitere, geballte Ansammlung von Drama. Statt mich aber von dem Buch wegzutreiben, glitt ich durch wie ein warmes Messer durch Butter. Warum? Weil es ziemlich spannend und sehr clever geplant ist.

„Den ganzen Vormittag hatte ich das Gefühl, als verirrten sich Fetzen der einen Welt in die andere. Kennen Sie das Gefühl, das man hat, wenn man ein neues Buch anfängt, bevor die Membran der letzten Geschichte Zeit gehabt hat, sich hinter einem zu schließen?“ p.368

Die schöne metaphernreiche Sprache und Margarets rationale Wahrnehmung macht einiges an dem romantisierten Inhalt wieder gut. Es hilft definitiv, dass sie auch auf Spurensuche geht. Sie besucht Angelfield, das Anwesen auf dem die Schwestern heranwuchsen. Außerdem geht sie sehr systematisch vor und deckt einige Rätsel auf, bevor ich sie durchschaut habe. Andere Wahrheiten blickt man schneller. Vieles ist der cleveren Verzahnung der vielen Personen und Hinweisen zu verdanken. Man fragt sich beispielsweise lange wie aus dem absolut unberechenbaren Wesen, als das eine der Schwestern beschrieben wird, später mal Vida Winter wird. (s. Zitat unten) Natürlich zieht sich die Liebe zum Lesen und Literatur als Eskapismus und Lebensretter durch das Buch und bleibt hängen. Die Rätsel und die Sprache Diane Setterfields schaffen eine Atmosphäre einer Geschichte, die man sich in einer regnerischen Nacht vor dem Kamin erzählt. Das bedient eine Stimmung und eine Laune, in die man eben mal verfällt und erwischt einen plötzlich zum richtigen Zeitpunkt. All das macht Die dreizehnte Geschichte zum besten Beispiel für ein Buch, das nicht großartig ist, aber man es trotzdem weiterlesen will.

„Ihr Wesen war derart entflammbar, dass es gereicht hätte, Wasser in Brand zu setzen, solange sie es sich nur genügend wünschte.“ (über eine der Schwestern) p.478

Fazit

Familiensaga und Schauerroman für Fans von „Jane Eyre“ und „Rebecca“ und wer mal wieder ein paar spannende Familienrätsel aufdecken will

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-453-40549-3, Heyne/Penguin Random House Verlagsgruppe

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

3 Antworten

  1. Das war auch ein 3-Sterne-Buch für mich. Gibt ja einige englische Booktuber, die das Buch hypen ohne Ende, kann ich nicht nachvollziehen. Ich fand „Once Upon a River“ von Setterfield wesentlich besser. Bei dem Buch hat es zwar sehr lange gedauert, bis es mich gepackt hat (dachte lange, das werden wieder höchstens 3 Sterne), aber wenn man beginnt, die Zusammenhänge zu erkennen, wird es richtig interessant und am Ende werden alle Fäden wirklich gelungen zusammengeführt.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ach echt? Naja, vielleicht liegt es an den Anleihen an Jane Eyre? Außerdem bedient es ja schon so ein Booklover-Muster. Buchhändlerin wird entdeckt, darf zurückgezogen lebende Bestseller-Autorin treffen, große Bibliotheken überall … . Ich kenne kein anderes von ihr, aber ich könnte mir vorstellen eins zu lesen. Jetzt schlage ich gleich mal „Once Upon a River“ nach, vielen Dank für den Tipp 🙂

  2. Hey,
    das war gerade sehr, sehr spannend zu lesen, da ich vor Jahren das Buch verschlungen habe. Ich habe gerade noch einmal nachgeschaut: 2014 habe ich es verschlungen, wie ich damals schrieb und richtig gehypt.

    Interessanterweise sind mir die Jane Eyre-Anleihen gar nicht mehr präsent und gleichzeitig habe ich Jane Eyre und auch Rebecca zur etwa gleichen Zeit damals gelesen.

    Ihre beiden anderen Bücher „Was der Fluss erzählt“ und „Aufstieg und Fall des Wollspinners Wiliam Bellmann“ fand ich beide auch gut, konnte mich aber nie mehr so begeistern. Nach dem Lesen Deines Beitrags frage ich mich nun, ob ich mch da einfach entwickelt habe und wie ich wohl heute auf „Die 13. Geschichte“ ansprechen würde.

    Schönen Abend, Dir
    Barbara

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