Jemand sagte mal zu mir „Die Handlung eines Stoffs muss sich innerhalb eines Satzes zusammenfassen lassen, ansonsten stimmt was nicht.“ Und ich dachte: je nachdem wie abstrakt man das handhaben will, kriegt man das im Grunde immer hin. Nur, ob das einen korrekten Eindruck vermittelt … ? Bei der Serie des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) geht das aber tatsächlich wie geschmiert: denn hier warten zwei Männer auf den Bus. Punkt. Punkt und Ende? Review ist spoilerfrei.
Irgendwo in Brandenburg sitzen zwei Männer in einer Bushaltestelle und philosophieren über die Welt. Ralle (Felix Kramer) und Hannes (Ronald Zehrfeld) sind arbeitssuchend und scheinen es zuhause nicht auszuhalten. Vielleicht liegt es auch an der Busfahrerin Kathrin (Jördis Triebel), auf die beide stehen? Es zieht sie jedenfalls ständig zu der Bushaltestelle am Ortrand, umgeben von Feldern. In der Ferne mit Aussicht auf Windkraftanlagen, die sich unermüdlich drehen, drehen und drehen. Dass Ralle und Hannes Langzeitarbeitslose sind, sich die Finger an Bewerbungen wund schreiben und damit mehr als nur frustriert sind, macht schon die erste Episode klar. Die Beiden kommentieren im Laufe der ersten Staffel die großen Fragen des Lebens mit Berliner-Speckgürtel-Brandeburgerischer-Kodderschnauze. Nebenbei handelt die Staffel von Hunden mit generalisierter Heiterkeitsstörung, Schweinsohren als brandenburgischem Nationalgericht und zwischen Therapie, Tanzeinlagen und Modschegiebschn wird auch mit diversen Gerüchten um Wölfe in Brandenburg aufgeräumt.
„Wo is’n dat scheiß Glücke jetze??“ (Ralle)
Eigentlich dachte ich ja, dass das brandenburgische Nationalgericht Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl ist!? Aber wenn ich an meine Kindheit in Brandenburg denke, waren die Schweinsohren beim Bäcker tatsächlich omnipräsent. Nur Bäcker waren nicht omnipräsent. Tatsächlich stamme auch ich aus einem Dorf Brandenburgs, das zwar sehr schön ist, aber in dem es nichts an öffentlichen Einrichtungen, Supermärkten und ja, nicht mal mehr einen Bäcker gibt. Als ich das erste Mal von Warten auf’n Bus hörte, erschien mir das Konzept passig, denn auch in meiner Kindheit war die Bushaltestelle der Treffpunkt. Tagsüber für die älteren Damen, nachmittags für die jüngeren Kids, abends für die Großen, deren Eltern nicht sehen sollen wie sie rauchen. Zumindest, wenn man keine Lust hat zum See zu fahren. Aber, wenn ich das lauthals erwähne oder sogar noch erwähne, was für eine überdachte, große Luxus-Bushaltestelle wir haben, dann zerstört das doch glatt noch den Eindruck vom armen Osten und seinen Hinterwäldlern. (Ironie Ende.)
„WARTEN AUF’N BUS Trailer German Deutsch (2020)“, via KinoCheck Home (Youtube)
Aber ja, die Bushaltestelle war ein Treffpunkt – wie er es auch hier für Ralle und Hannes ist. Und die Serie geht mit Klischees auf die beste Weise überhaupt um. Nicht, indem sie sagt „gibt es nicht“, sondern indem sie die Klischees zeigt, nämlich von allen Seiten. Sowohl Hannes als auch Ralle haben in ihrem Leben auf unterschiedliche Weise Pech gehabt und finden aus verschiedenen Gründen keinen Job mehr. Hannes hat immer einen tiefsinnigen Spruch auf den Lippen, während Ralle sich mit dem Internet und dem Influencing versucht und das gleichzeitig kritisch beäugt.
Während der kurzweiligen Episoden an der Bushaltestelle, geht es um die großen Fragen des Lebens und einer Nation, die mal zwei waren. Wie war das mit dem Mauerfall und bereuen sie es, dass sie geblieben sind? Wie gehen sie als „gestandene Kerle“ mit Depression um? Was ist das mit Pegida und dem Osten? Sie bekommen es mit selbstbewussten Frauen, neunmalklugen Teens und nichts geringerem als Nazis zutun, denen sie wunderbar Gegenwehr leisten. An der Bushaltestelle kommt offenbar keine Langeweile auf. Um nochmal auf die Einleitung zurückzukommen: Interessant ist vielleicht vor Allem, ob es auch die besten Konzepte sind, die sich so einfach zusammenfassen lassen? Im Falle von Warten auf’n Bus gelingt das echt gut.
Die Identität, das Dilemma und die Vorurteile über den Osten werden genauso am Schopf gepackt und auseinanderdiskutiert wie Sinnsuche, Gender und Integration. Dabei ist keine Episode wie die andere und das genreübergreifende Konzept gelingt. Ein bisschen Drama, ein bisschen Gegenwartskrimi (oder sowas in der Art), viel Comedy und Herz. Ein schönes Format. Könnte ich etwas ändern, würde ich die Dialoglastigkeit ein Mü reduzieren. Die Serie kann noch bis zum 15.10. in der ARD Mediathek gestreamt werden und hat ihr Zuhause beim rbb, wo man sie aktuell auch online schauen kann. (8/10)
Vor einer Weile sagte ich mir ja: ich brauche mehr Herz für deutsche Serien! Und wieviele habe ich geguckt? Naja, außer Dark nicht soviele und habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen deswegen. Vielleicht bin ich ja jetzt auf dem Weg der Besserung. Welche deutschen Serien könnt ihr mir wärmstens empfehlen? Am liebsten nehme ich Vorschläge an, die nicht Remakes anderer Serien sind. 😉
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