ausgelesen: Katherine Arden „Der Bär und die Nachtigall“

Im Rus des 14. Jahrhunderts sitzt eine Schar Kinder um den Ofen versammelt bei ihrer Kinderfrau Dunja, die ihnen Märchen erzählt. Vom Winterkönig, vom Tod, von Prinzessinnen, Lehre und Tadel. Der Familie wird bald darauf ein weiteres Kind geboren, Wasilisa „Wasja“ Petrowna. Wasja hat die Gabe hat all diese Wesen zu sehen, die offenbar nicht nur eine Fabel sind. Katherine Ardens Der Bär und die Nachtigall beginnt damit noch vor der Geburt der Protagonistin und nimmt sich Zeit für Vorausdeutung von Wasjas Schicksal. Beginnend mit einer Tragödie: Ihre Mutter stirbt bei ihrer Geburt und Wasja bemüht sich bei der Navigation durch das Leben ihren Dickkopf und ihre Wildheit zu bewahren bis sie eine junge Frau ist, sich ihre Umwelt verändert und die Ereignisse sich überschlagen. Ein Wesen bedroht ihre Familie und das Dorf und nutzt den kargen, kalten Winter, in dem sowieso alle am Ende ihrer Kräfte sind. Wasja ist vielleicht ihre Rettung, aber ihr rigides Umfeld und die Vorstellungen der damaligen Zeit wie eine junge Frau zu sein hat, machen es ihr nicht leichter.

Katherine Arden kreiert die Atmosphäre eines Dorfes im alten Rus (wie Russland, Weißrussland und die Ukraine früher bezeichnet wurden) durch das Einstreuen zahlreicher russischer Begriffe wie Dewotschka für Mädchen, Schimpfwörter wie Durak (Idiot/Narr) oder auch durch das Erwähnen typischer russischer Kleidungsstücke und Bräuche, die im Glossar erklärt werden. Jeder Charakter hat ein oder mehr Koseformen wie Wasja anstatt Wasilisa oder auch Dunja statt Avdotja in typisch russischer oder ukrainischer Manier. Das alles kreiert eine Atmosphäre von Folklore und lässt die Kultur erahnen, auch wenn insbesondere die Namen ebenso zur Verwirrung beitragen können.

Denn insbesondere am Anfang liest sich Der Bär und die Nachtigall vorrangig wie ein verknappter Familienepos, in dem es über ca. das erste Drittel des Buches nur darum geht welche Schwestern und Brüder Wasjas wohin verheiratet werden und wieviele Kinder bekommen. Nach diesem langen vorbereiten und abfrühstücken der Familiengeschichte, bekommt man einen Eindruck, dass hier ein Mehrteiler vorbereitet wird und kann nur hoffen, dass all das nochmal wichtig wird, falls sich die Wege der Geschwister wieder kreuzen. Ansonsten wäre der Effekt verpufft. Was aber wiederum am Beispiel Wasjas und all ihrer Geschwister sehr deutlich wird ist wie zweckmäßig und v.A. wie früh die Menschen damals heirateten und wie rigide die Rollenbilder waren, wie knapp die Ressourcen, wie arm an Optionen.

Dass das auch eins der Anliegen von Katherine Arden ist, wird ähnlich deutlich. Sie bedient sich an Wasjas Beispiel dem Trope der Frau, die zu eigenständig und „wild“ für das damals beschränkte, enge Korsett der Gesellschaft ist, die sie eigentlich eher als Brutmaschine hinter dem Herd sieht. Dabei konzentriert sich aber das Buch sehr stark auf seine Protagonistin und belässt alle anderen Figuren eher eindimensional und skizzenhaft unfertig. Ihre Stiefmutter hätte beispielsweise ein echter Gegenpart oder Spiegel zu Wasjas Schicksal sein können, wird aber eher in die Richtung einer unreflektierten, bösen Stiefmutter entwickelt.

„Kannst du nicht einfach zufrieden sein? Mit der Zeit werden die Leute vergessen, was passiert ist, und was du einen Käfig nennst, ist nun mal das Los der Frauen.“ p.419 – ihr Bruder zu Wasilisa

Eine Figur, der man dann doch mehr Tiefe und inneren Kampf zutraut ist der Priester Konstantin, den Wasja in vielerlei Hinsicht ins Wanken bringt. Er steht für die Verbreitung der russisch-orthodoxen Kirche und Verdrängung des Naturglaubens. Wasja kann die Haus- und Naturgeister um sie herum sehen und lernt sehr schnell das für sich zu behalten, wenn sie nicht als Hexe oder Sonderling betrachtet werden will. Konstantin wie auch ihre Stiefmutter werden daher für sie sehr gefährlich. Letzten Endes ist genau diese Gabe der Schlüssel um die Familie vor der Bedrohung zu schützen.

All das kommt aber erst so richtig im letzten Drittel in Fahrt und lässt Atmosphäre vermissen. Domowoi, Rusalka, Polewik, Dwornik, Wodianoj, Wasila – all diese Haus-, Hof- und Naturgeister werden zwar genannt, aber nur einige von ihnen überhaupt beschrieben und haben mich als Leserin irgendwie am langen Arm verhungert zurückgelassen. Ich hätte gern so viel mehr darüber gewusst. Zwar gelingt es Katherine Arden noch das Gefühl russischer Brauchtümer, Folklore und sprachlichen Gewohnheiten einzustreuen, aber der Fantasy-Aspekt ist eher etwas formelhaft und auf Name-Dropping beschränkt. Immerhin bekommen u.a. der Domowoi und die Rusalka einige Auftritte mehr. Was schade ist, denn der Konflikt zwischen alten und neuem Glauben und alles was damit einhergeht erinnert entfernt an Neil Gaimans American Gods und hätte eine starke Metapher über das Verdrängen von Glauben und Kultur werden können, wenn etwas konsequenter und v.A. bildhafter beschrieben. Auch die immense Slowburn-Atmosphäre und das bemühte vorbereiten eines Epos stehen der Spannungskurve empfindlich im Weg.

Allerdings ahnte ich schon beim Kauf, dass ich nicht die Zielgruppe bin. Ich hielt die Winternight-Trilogie von der Beschreibung und dem Klappentext her eher für einen Young-Adult-Fantasy-Roman, was sonst eher nicht mein Beuteschema ist, weil es mir oft in der breiten Masse gesehen zu sehr vor ausgelutschten Fantasymotiven wimmelt. Was übrigens mitnichten heißt, dass ich kein Fantasy mag. 😉 Außerdem lese ich nicht gern Reihen. Damit stehen die Vorzeichen schon mal schlecht. Andererseits sind dann auch die Erwartungen nicht immens hoch. Weshalb kaufte ich es aber dann? Weil ich den Gedanken großartig fand im Winter ein Buch zu lesen, das im verschneiten Rus spielt und weil ich russische Folklore sehr spannend finde. Nostalgie und Erinnerungen an den Russischen Herbst überkamen mich, das Cover war auch schön (jaja, auch ich mache das manchmal) und der Rest ist Geschichte. Überraschenderweise wird In der Wikipedia(!) Ardens Buch Stand heute als „adult historical fantasy“ geführt. Aber auch Goodreads bestärkt mich in dem Glauben, dass wir hier eher bei Young Adult sind. Auch ich denke, dass das Buch durchaus ab ca 15 und 16 gelesen werden kann.

Was heißt das nun für gewillte Leser und mich? Atmosphärisch und auch vom Aufbau her konnte mich der Roman nicht so überzeugen, dass ich die Geschichte weiterlesen möchte. Zudem habe ich so oft Protagonistinnen nach dem „Diese ist wie keine“-Setting gesehen und finde das nicht mehr sehr spannend, wenn sie selber nicht von ihrer eindimensionalen Umwelt gefordert werden. Dabei sind die Zutaten durchaus vielversprechend: russische Brauchtümer, Begriffe, Geister und der Clash zwischen Glaube und Shift von einer Religion zu einer anderen und was das für Konsequenzen in der Denke mit sich bringt. Wenn ich also doch noch Antrieb bekomme herauszufinden wohin das Schicksal Wasja verschlägt und ob sich die Reihe ihre Musterhaftigkeit überwindet, werde ich es wie Ute halten und mir die Hörbücher genehmigen. Wer sich aber bei Begriffen wie Domowoi am Haken fühlt, sollte wissen: ich bin da sicherlich nicht das Maß aller Dinge. Go for it 😉 .

„Märchen sind gut für lange Winternächte, nichts weiter.“ p.106

Fazit

Etwas zu bemühter Aufbau einer Trilogie mit spannenden Ansätzen rund um Geister, Glaube und Rollenbildern; der bei Fans von Fantasy-Mehrteilern aber eventuell besser ankommt als bei mir.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-453-32003-1, Heyne Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

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