ausgelesen: Charles Dickens „A Tale of Two Cities“ #Dickens2Cities

Um November/Dezember herum fand sich ähnlich zum Vorjahr eine Gruppe üblicher Verdächtiger zusammen um Dickens zu lesen! 😀 Das sind Bingereaderin Sabine, Jana vom Blog Wissenstagebuch, Matthias alias @_quoth_ und ich plus diverse bereits bewanderte Mitverfolger*innen unseres Hashtags. 😉 Denn ja, ihr könnt unsere Gedanken auf Twitter unter #Dickens2Cities mitlesen. Wie war es nun – Dickens oft zitiertes „A Tale of Two Cities“ alias „Eine Geschichte aus zwei Städten“?

„It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of Light, it was the season of Darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to Heaven, we were all going direct the other way […]“ p.3

„It was the best of times, it was the worst of times, […]“

Im Jahr 1775 wird der Arzt Alexandre Manette nach 18 Jahren Gefangenschaft aus der Bastille entlassen und mit seiner Tochter Lucie wiedervereint. Sie hielt ihn bisher für tot und die Familienzusammenführung ist überwältigend und emotional. Beide brauchen eine Weile um sich mit dem Fakt abzufinden, dass Manette 18 Jahre unschuldig hinter Gittern saß. Er redet nicht darüber, ob er den Denunzianten kennt. Entsprechend schwer fällt es ihm in das Leben zurückzufinden. In den weiteren Etappen wird er immer wieder mit seiner Vergangenheit im Gefängnis konfrontiert. So als er beispielsweise versucht den Franzosen Charles Darnay vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. Das ist nur der Anfang einer Geschichte, die zwischen zwei Städten pendelt: London und Paris. Und uns die französische Revolution und la Grande Terreur miterleben lässt.

In unzähligen anderen Medien wurde mir Dickens A Tale of Two Cities und dessen „Famous First Words“ um die Ohren gehauen und landete so schließlich irgendwann auf meiner Wunschliste. Ständig sagt irgendwer, dass es das beste Buch aller Zeiten sei und geizte demzufolge nicht mit Lob. Aus Erfahrung mit anderen Klassikern und Leserunden lernte ich aber trotz der Vorschusslorbeeren meine Erwartungen im Zaun zu halten (looking at you Verbrechen und Strafe… ). Nur bei der Ausgabe waren meine Erwartungen dieses Mal hoch. Ich suchte nach einer deutschen Ausgabe, die aber bei vielen verschiedenen Beurteilungen allesamt durchfielen. Was da los?

So stolperte ich dann über die englische Ausgabe aus der Winter Collection von Thomas Nelson aus dem Haus HarperCollins Christian Publishing, die mit einem sehr schön gebundenen Hardcover daherkommt – plus Umschlag in einer Scheerenschnitt-Optik. Damit dort nichts kaputt geht, gibt es auch einen Schutzumschlag. Jetzt gehöre ich also zu denen, die ihre Bücher in durchsichtigen Schutzumschlägen aufheben. ^^ Dabei wirkt der weiße Umschlag sogar noch sehr robust. Die Ausgabe ist eine der schönsten, die ich im Regal habe und versprüht den Gravitas, der dem Klassiker zugeschrieben wird. Auch durch die Innengestaltung, die mir eigentlich noch besser gefällt. Dort ziehen sich abstrahierte Stadtansichten und Stadtkarten-Optik durch die Seiten und unterstreichen das Motiv der zwei Städte sehr schön. Einzelne Seiten widmen sich ausgewählten Zitaten. Ich bin ein bisschen ins Schwärmen gekommen, sage aber auch dazu, dass ich die Farbgebung anderer Kollektionen der Season Editions nicht ganz so gelungen finde. Das Formen der Lesegruppe enstand wie so oft im Gespräch auf den Blogs und Twitter. 🙂

„Recalled to life“

Dickens A Tale of Two Cities ist angeblich eins (The Telegraph, 28.09.2013) der meistverkauften Bücher aller Zeiten. Man merkt rein sprachlich warum. Die Schilderungen sind sehr bildreich, symbolträchtig und vielfarbig. Relativ zu Anfang lecken die Bürger von Paris verschütteten Wein auf den Straßen auf – es gibt kein deutlicheres Foreshadowing für das, was die Straßen von Paris Jahre später sehen werden. Im starken Kontrast dazu: die weißen Haare Manettes, der an die Bastille ein Viertel Lebenszeit verloren hat. Er wird bedacht mit dem Ausspruch „Recalled to Life“. Ist er dafür aber bereit? Noch eine Weile lang nicht. Zu den vielen weiteren Motiven, die Dickens fein vertreut und immer wieder aufgreift zählen Schritte, die unsere Protagonist*innen verfolgen und nie zur Ruhe kommen lassen (oder doch?). In seiner Wortwahl und seinen regelrecht lebendigen Motiven ist das Buch erstklassig.

Insbesondere im ersten Abschnitt des Buches lernen wir die Familie Manette und ihren Vertrauten Jarvis Lorry sowieso die resolute Miss Pross kennen und begleiten sie in ihrem neuen Leben im Exil in London. Als sich die Handlung langsam wieder in Richtung Paris verschriebt, wird dort die Willkür des Adels an einigen prominenten Beispielen skizziert, die wirklich widerlich sind und ganz offensichtlich verdeutlichen sollen: so kam es zur Französischen Revolution. Dankbarerweise setzt er dem grauenerregenden Adel auch wenigstens einen Vertreter vor, der aufrecht und fair ist. Aber hier wird auch schon einer der großen Kritikpunkte an dem Buch deutlich. Alles ist sehr schwarz-weiß und gut voneinander zu trennen. Die einen sind böse, die anderen sind gut; dazwischen gibt es nichts. So funktioniert das nur eben leider seltem im echten Leben, weswegen man sich auch irgendwann ein wenig veräppelt vorkommt.

„The republic of Liberty, Equality, Fraternity, or Death […]“ (p.356)

Charles Dickens erzählt die Französische Revolution in Schattierungen und mit bitterer Ironie. Wir sollen erfahren wie die Meuchelei und das Denunzieren durchweg, stets und ständig unfair ist und die falschen trifft. Das echte Gerechtigkeit erarbeitet werden muss, während der Terror hier entmenschlicht und seinen Täter*innen jedes Mitgefühl raubt. Ist es anfangs Manette, der zu Unrecht eingesperrt wird, soll das Schicksal später auf ähnlich unfaire Weise zurückschlagen. Nur wird alles noch blutrünstiger, die Straßen Frankreichs während der Terrorherrschaft noch viel blutgetränkter dargestellt als ich es aus meinem Geschichtsunterricht in Erinnerung habe. Fragt mich mal wieder jemand, wohin ich reisen würde, hätte ich eine Tardis zur Hand: nicht in diese Epoche.

„Far and wide lay a ruined country, yielding nothing but desolation. Every green leaf, every blade of grass and glade of grain, was as shrivelled and poor as the miserable people. Everything was bowed down, dejected, oppressed, and broken. Habitations, fences, domesticated animals, men, women, children, and the soil that bore them – all worn out.“ p.294

Hier geht es plötzlich um Spione, man muss aufpassen was man sagt und selber „everyday persons“ sind nicht sicher. Es trifft irgendwann lange nicht mehr nur den Adel. „Banale Dinge“ wie Stricken wird zum Überbringen geheimer Botschaften genutzt. Wenn Madame Defarge (sozusagen Lucies „böses“ Ebenbild in Paris) später bei Hinrichtungen gleichmütig daneben sitzt und strickt, wird deutlich, dass der Terror im Nachhall der Revolution etwas gefährlich „normales“ für manche Menschen geworden ist. In den späteren Kapiteln wird die Französische Revolution als Massaker dargestellt. Die leiseste Ahnung irgendeiner Grenzüberschreitung oder Widerworte gegen „die Sache“ und ab gehts – frontal zu Madame la Guillotine. Es hinterlässt aber einen sehr faden Beigeschmack, dass durchweg die Briten diejenigen sind, die den Tag retten. Das ist ein bisschen zu einfach. Nimmt man nur mal die Familie Defarge – sie könnten das klassische Beispiel sein zu beweisen, dass schreckliche Taten meist auch schreckliche Ursprünge haben. Wäre ihre Lebensgeschichte noch etwas empathischer dargelegt worden, hätte man zumindest mehr tun können als sie als „einfach nur böse“ abzustempeln. Es mangelt dem Buch nicht an grausigen Geschichten über den Adel, aber es hat sie nicht mit den Täter*innen verknüpft oder nur sehr ungenügend.

My dickensian adventures

Das macht A Tale of Two Cities aber nicht zu einem schlechten Buch. Es überrascht lediglich verglichen mit anderen Werken. Die Figuren in David Copperfield habe ich beispielsweise weitaus ausgewogener schattiert zwischen „menschlich“, „verletzlich“, „macht auch mal Fehler“, „liebenswürdig“ erlebt. Und zumindest in einem Punkt hat Dickens Recht – die Revolution war blutig, die Terrorherrschaft heißt nicht umsonst so. Die Charaktere sind welche, denen man alles Glück der Welt wünscht und fiebert mit ihnen mit. Zumindest denen mit der perlweißen Weste ^^‘. Neben der ausgezeichneten Wortwahl hat er außerdem darauf geachtet feinsäuberlich und ziemlich mühelos ans Ende jedes der 45 Kapitel einen Cliffhanger zu pflanzen. Kein Wunder: A Tale of Two Cities erschien als Fortsetzungsgeschichte in Dickens eigener Zeitschrift All the Year Round.

Die Dramen sind in der Konstellation mit einigen Wiederholungen verbunden („Schon wieder Gefängnis??“) und man durchblickt die Muster relativ früh. Wenn man nach über der Hälfte des Buches immer noch nicht erfahren hat, warum Manette so lange in der Bastille gefangen war und was genau ihn da reingebracht hat, dann ist schon klar, dass Dickens sich das für einen Schlüsselmoment aufhebt. Das alles funktioniert wohl nur deswegen so gut, weil man so verdammt gern möchte, dass die Charaktere überleben. Insofern haben die Kritikerstimmen schon recht, die A Tale of Two Cities sogar mitunter als Abenteuerroman denn als Historienroman kategorisieren. Es wird einige Male ordentlich brenzlig. Und: allzu freigiebig mit Fakten rund um die Revolution ist er nicht.

Was mich sehr lange umtrieben und mir zu denken gegeben hat ist auch die Frage: kann ich Dickens auf Englisch lesen? Ich komme eigentlich gut mit gesprochenem und geschriebenem Englisch klar. Meine Sprachkenntnisse gebe ich relativ selbstbewusst als fließend an und lese auch regelmäßig Romane auf Englisch. Aber Dickens und Klassiker allgemein erschienen mir als eine andere Kategorie. Und so war es auch. Mein Kopf war den historischen Sprech nicht gewöhnt, ich stolperte einige Male über Vokabeln, die ich nicht kenne (Blunderbuss!) und war sehr schnell abgelenkt. Manchmal flog ich in meinem üblichen Tempo über die Seiten und merkte erst danach, dass ich eigentlich gerade nur die Hälfte verstanden habe, weil ich gar nicht alle Redewedungen kenne und jetzt doch mal irgendwas nachschlagen müsste. Und dann nochmal den Absatz. Dementsprechend habe ich langsamer gelesen als sonst und konnte mich im ersten Drittel nicht gut motivieren. Als ich mich einmal gewöhnt hatte, ging es dann im letzten Drittel besser. Dass ich um Weihnachten rum gelesen habe und frei hatte, gab mir auch ansonsten die nötige Kapazität im Hirn. Aber ich gebe ganz offen zu: mir sind bestimmt viele Details und sprachliche Rafinessen entgangen.

Fazit

Den Ausschnitten aus unserer Leserunde kann man entnehmen, dass 1. es wieder angenehmer war zu mehreren zu lesen. Auch wenn wir teilweise in ganzen anderen Abschnitten des Buches rumhingen. 2. dass wir sehr ähnliche Sichtweisen haben, was Dickens Darstellung der Charaktere und Revolution betrifft. Und zumindest für mich: gerne wieder Dickens. 🙂 Vielleicht ist der Jahresend-Dickens jetzt eine Tradition? Auf jeden Fall Dank nochmal an alle Mitstreiter*innen für den Austausch. 😀 Und das Ganze nochmal in einem Satz ausgedrückt, weil so will es eine andere Tradition:

Klassiker, dessen Charme ich nachvollziehen kann, der aber leider nicht frei von zu einfachen Mustern und einseitiger Denke ist.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-7852-3082-3, Thomas Nelson Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

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