#Japanuary 2022 – Besprechungen zu „Japanese Girls Never Die“, „Pulse“ (2001) & „Ugetsu – Erzählungen unter dem Regenmond“

Mit dem Japanuary fängt das Jahr immer gut an. 🙂 Tatsächlich waren meine ersten vier Japanuary Filme absolut klasse. Vielleicht haben nicht alle eine super Wertung, haben mich aber jedenfalls gut unterhalten oder viel zum nachdenken mitgegeben. Über Drive My Car gab es dann sogar soviel zu sagen, dass ich das nicht in zweieinhalb Absätze pressen wollte. (Wie auch??) Die anderen drei werde ich aber hier gern (spoilerfrei) besprechen.

Japanese Girls Never Die

Haruko Azumi (Yū Aoi) lebt bei ihren Eltern, arbeitet in einem eintönigen Office-Lady-Job und der Mangel an Glück wiegt schwer. Perspektivenlosig- und Eintönigkeit sind der Rahmen, gezimmert aus den sexistischen Kommentaren ihrer Arbeitskollegen, der Situation Zuhause, dem Fehlen erfüllender Beziehungen. Der Anfang des Films verrät: ihr Gesicht wird auf einem Vermisstenplakat landen. Wo ist Haruko? Das komplette Gegenteil Harukos ist die lebenslustige Aina (Mitsuki Takahata), die eine Beziehung mit ihrem ehemaligen Schulkameraden Yukio (Taiga) beginnt. Zeitgleich macht eine Bande von Highschool-Mädchen nachts die Straßen unsicher und verprügelt Männer.


„JAPANESE GIRLS NEVER DIE | Trailer“, via MIFF (Youtube)

Mitgenommen habe ich den Filmtipp während des Talks von Chantal Bertalanffy auf der Nippon Connection 2020 über die Rolle der Frau im japanischen Film – vor und hinter der Kamera. Wie dort angesprochen zeichnet Japanese Girls Never Die ein deprimierendes Portrait japanischer Geschlechterrollen. An Haruko wie auch an Aina wird demonstriert, das eine Frau in der japanischen Gesellschaft (oder der Gesellschaft allgemein?) eine Sagengestalt ist, die es aufgrund der Widersprüche nicht geben kann. Jung soll sie sein, aber rattenscharf und erfahren im Bett. Nicht zu abhängig, aber anhänglich genug. Und süß natürlich. Harukos Arbeitskollegin wird von ihren männlichen Kollegen als Abfall der japanischen Gesellschaft gesehen, weil sie 37, unverheiratet und kinderlos ist. Der Fall ist für sie klar: sie zieht sich ja auch nicht „wie eine Frau“ an und unattraktiv ist sie auch. Haruko ahnt, dass ihre Kollegen in wenigen Jahren so über sie reden werden. Ihre eigenen Töchter erziehen sie zu süßen Prinzessinnen, die im rosa Kleid umher hüpfen. Aber auch deren Schicksal findet in Aina den perfekten Spiegel.

Während Aina ganz den Glitzer- und Press-On-Fingernägel-Lifestyle lebt, wird sie für ihr Werben um Yukio von ihm hinterrücks als Schlampe bezeichnet, auch wenn sie für’s Bett gut genug war. Die rosarote Welt Ainas stürzt ein. Dankbarerweise macht der Film aber nicht zwingend Männer zu Tätern, sondern einfach nur zu denen, die absolut keine Ahnung haben wie es sich als Frau lebt und das Ungleichgewicht nicht mal wahrnehmen. Das lässt sich auch leicht auf die deutsche Gesellschaft bei der Debatte um genderneutrale Sprache beobachten. Yukio und sein Kumpel Manabu (Shono Hayama) sind begeistert von Graffitis und ahmen bekannte Stencil-Artists nach. Als Motiv nehmen sie rein zufällig Harukos Vermisstenplakat und landen plötzlich einen Hit, der viral wird.

Eine wirkliche Intention hatten sie dabei nicht. Die Zahl vermisster japanischer Mädchen und jungen Frauen ist für sie nicht mal eine Zahl, keine Debatte, kein Grund zur Sorge; nur ein Mittel zum Zweck. Die Polizei warnt währenddessen vor der nachts umherstreifenden Mädchen-Gang, die Männer verprügelt(!) Es sind aber keine Ermittlungen über die vermissten Mädchen feststellbar. Daigo Matsui hat damit eine messerscharfe, aktuelle Botschaft in Film gepackt. Die Machart aber verliert Zuschauende womöglich schnell. Der Film erzählt die beiden Zeitebenen Harukos und Ainas parallel, was sie aber nicht sind. Das zusammenzupuzzeln macht vielleicht noch Spaß, aber die unterschiedlichen visuellen Macharten wirken nur wankelmütig und beliebig. Hier shaky cam, hier künstlich stockende Bilder, hier Musikvideo-Style. Es gibt keinen roten Faden in der Visualistik. Absolut angenehm ist dann das Ende – die wohl größte Überraschung.

Japanese Girls Never Die (OT: アズミ・ハルコは行方不明), Japan, 2016, Daigo Matsui, 101 min, (7/10)

Sternchen-7

Pulse (2001)

Kein Japanuary ohne Kiyoshi Kurosawa. 🙂 Endlich habe ich sein Kairo nachgeholt, der im westlichen Markt unter dem Titel Pulse vertrieben und ge-remaked wurde. Darin verfolgen wir die Arbeitskolleginnen und Freunde Michi (Kumiko Aso) und Junko (Kurume Arisaka), die fassungslos mit zusehen müssen wie ein Kollege nach dem Anderen verschwindet. Es scheint eine Welle von mysteriöser Schwermütigkeit um sich zu greifen, die in Selbstmorden endet. Ist das Gefühl von Einsamkeit und Leere ansteckend, dass sie befallen hat? Ausgerechnet Michi scheint mehrmals den Geistern der Verstorbenen zu begegnen. Währenddessen wählt sich das Modem des Studenten Ryosuke (Haruhiko Kato) von selbst im WWW ein und fragt, ob er einen Geist sehen will. Kurosawas Pulse ist etwas schwer zu entziffern, obwohl Botschaften und Lesarten quasi direkt den Zuschauenden in die Kamera entgegen gesprochen werden. Es heißt darin, dass Geister den Menschen begegnen, weil das Geisterreich überfüllt sei und sie „rausfallen“. Es heißt aber auch, dass sie in Einsamkeit hilfesuchend um sich greifen. Ein Widerspruch? Oder eine geniale Metapher darauf sich in der Masse trotzdem einsam zu fühlen, weil es an echten Verbindungen fehlt?

Kurosawa schafft mit Pulse eine eigentlich geniale Metapher zwischen der Geisterwelt und dem Versuch der Lebenden durch das Internet der Einsamkeit zu entkommen und echte Verbindungen zu knüpfen. Das wird als zum Scheitern verurteilt dargestellt. Wieder Existenzen, die aus einer Welt rausfallen (die der Sterblichen) und ins Leere greifen (das Internet), um ihre innere Leere zu füllen. Oder anders formuliert: Menschen wollen sich näherkommen, entfernen sich aber immer weiter. Pulse verfügt über einige wirklich schaurige Momente und krasse Einstellungen. So wenn beispielsweise nach sovielen Toden die Plätze und Orte plötzlich frappierend leer werden. Oder auch anhand der steril, wüsten, leeren Computerkabinette. Leider untermauert Kurosawa die wahnsinnig interessante Botschaft eher wirr mit Stilmitteln, Botschaften, Vorausdeutungen, noch mehr Ideen. Es fällt schwer auseinanderzuhalten, warum die Ansteckung auf einige wirkt, auf andere nicht. War das überhaupt Intention oder ist es Fehlinterpretation? Spielt die Webseite in Michis Hadlungspfad überhaupt eine Rolle? Schade ist auch, dass das Internet als mögliches Motiv nicht mal annähernd ausgeschöpft wurde. Keine ChatRooms, kein Messaging, keine Mails. Aber eine geniale Botschaft.

Pulse (OT: Kairo), Japan, 2001, Kiyoshi Kurosawa, 114 min, (6/10)

Sternchen-6


„PULSE (KAIRO) (2001) Trailer Remastered HD“, via CARLOS APOLO – TRAILERS GEEK (Youtube)

Ugetsu – Erzählungen unter dem Regenmond

Liegt es am bevorstehenden Bürgerkrieg, dass die Töpferwaren Genjuro (Masayuki Mori) und Tobeis (Eitaro Ozawa) plötzlichen reißenden Absatz finden? Vielleicht denken sich die Bewohner*innen der umliegenden Dörfer, dass sie ihr Geld nicht ins Totenhemd stecken können. Durch den plötzlichen Erfolg beginnen beide zu träumen. Genjuro will sofort anknüpfen und das Feuer im Brennofen nicht ausgehen lassen, während Tobei davon träumt ein großer, edler Samurai zu werden. Bei all den Wünschen und Ideen, vergessen sie mehr als einmal ihre Frauen und Familien. Während Tobei seinem Ideal nachhängt, muss seine Frau Ohama (Mitsuko Mito) bald schon zu drastischen Mitteln greifen, um über die Runden zu kommen. Genjuros Frau Miyagi (Kinuyo Tanaka) und ihr gemeinsamer Sohn irren schutzlos durch Kriegsgebiet, während er einer schönen Unbekannten (Machiko Kyō) begegnet, die seine Töpferkunst bewundert und kurzerhand zu vergessen scheint, dass er Familie hat.

Klar, die Botschaft ist sehr in your face und insbesondere die Figur des Tobei wirkt wie blanke Satire, die wenig versteckt. Entwickelt wird das ganze aber in einer langsamen, anekdotenhaften Abwärtsspirale, die sehr bitter und aussagekräftig endet. Es stellt die Fähigkeit der Männer ins Zentrum Träume zu träumen, während die Frauen sich um das Überleben und die Familie kümmern. Neben der versteckten Kritik an den Geschlechterrollen und der Selbstvergessenheit der Männer, wird auch die Glorifizierung von Krieg und Samuraigeschichten anfangs karikiert, später ins tragische entwickelt. Zwar ist es erst mein zweiter Mizoguchi, aber doch habe ich anhand all der erzählerischen Rafinessen und Cinematografie hier den Eindruck, den Film eines Regisseurs auf dem Hoch seiner Karriere zu sein. Alles klickt ineinander. Wobei auch nicht alle Zutaten nur von Mizoguchi stammen. Das Drehbuch lieferten Yoshikata Yoda und Matsutarō Kawaguchi. Die Kameraarbeit ist Kazuo Miyagawas, ein „Kurosawa Regular“. Außergewöhnlich aussagekräftig sind viele der Szenen. Wenn beispielsweise Machiko Kyō als Wakasa Genjuro in eine (leider nur fast) ideale Welt zu ent- und verführen scheint, ist das Spiel von Licht und Schatten auffällig; die erzählerischen Parallelen von Ruhm bei Tobei/Ohama und Tod bei Genjuro/Miyagi/Wakasa sehr vereinnahmend und bestürzend gehandhabt. Antikriegsfilm, Drama und Geistergeschichte – selten so vereint gesehen.

Ugetsu – Erzählungen unter dem Regenmond (OT: 雨月物語 “ Ugetsu monogatari“), Japan, 1953, Kenji Mizoguchi, 96 min, (8/10)

Sternchen-8

Mal abgesehen von Filmen …

In anderen Jahren habe ich mir tatsächlich vorgenommen Bücher japanischer Autor*innen zu lesen. Oder Manga. Oder ach was – vielleicht auch Serien und Anime. Da das letztes Jahr auf der Strecke bliebt, wollte ich mir dieses Jahr gar nicht soviel vornehmen. Als relative Kurzschlussentscheidung habe ich mir dann aber noch kurz vor dem Jahreswechsel Haruki Murakamis Von Männern, die keine Frauen haben gekauft und angefangen zu lesen. Hauptsächlich um den Bann zu brechen und wieder Murakami zu lesen, nachdem meine letzten drei literarischen Begegnungen keinen so guten Eindruck hinterlassen haben, obwohl ich an die zehn von ihm gelesen habe und mich eigentlich als Fan sehe. Aber es war auch eine nette Idee mich mal seinen Kurzgeschichten zu öffnen, von denen ich bisher gar keine kenne und mit Drive My Car vergleichen zu können, dass daraus adaptiert ist. Durch bin ich noch nicht, aber wie das eben so bei Kurzgeschichtensammlungen ist: ein Auf und Ab.

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Ankündigung/Filmliste

Header Image Photo Credits: Andre Benz

Wie läuft euer Japanuary bisher? Ich verfolge unregelmäßig den Hashtag, sehe da aber viele begeisterte Zuschauer*innen. Und vor Allem viele, die das Ziel acht Filme zu schauen schon bei Weitem überholt haben. ^^‘ Welcher war euer bester Film bisher?

5 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Ich hatte Pulse eigentlich ziemlich gut in Erinnerung. Muss den unbedingt mal wieder gucken.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Dann wäre ich gespannt auf deine Meinung zur Zweitsichtung. 🙂 Ich fand einfach, dass die Motive nicht so gut zusammen kommen.

  2. Hab gestern durch mein Takashi Miike Double Feature die 8 Filme geschafft. nebenbei schaue ich noch die Serie „Das Haus am Hang“ und lese tatsächlich auch einen Murakami. Binalso voll drin im Japanuary… 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Yay cool! Schon gelesen bei dir im Blog 😉 Den ersten Teil. Bin gespannt auf die restlichen Einschätzungen. V.A. den Murakami.

  3. […] schaut zu, wie ich meine Regeln direkt wieder breche. Der Januar stand natürlich im Zeichen des #Japanuary und der Rückblicke. Aber in Netzgeflüster habe ich mich mit 3 Bits and Pieces zu … KringleCon, […]

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