In Sommermonaten mit sehnsüchtigem Warten auf den nächsten Abkühlung versprechenden Regen lässt sich kaum ein Wortspiel auf den Titel von Iris Wolffs Buch vermeiden. So auch nicht in unserem Buchclub, in dem das Werk vorgeschlagen wurde. Wir wollen es nicht verheimlichen: das Cover zog uns an, dann der Inhalt. Auch so kann’s gehen. So tun, als ob es regnet erzählt keine Familiengeschichte im klassischen Sinn, aber ist ein „Roman in vier Erzählungen“, die sich jeweils einer Generation einer Familie widmen. Dabei stehen v.A. ihre Identitäten, Wünsche und Traumata angesichts des Zeitgeschehens im Vordergrund. Zusammen decken ihre Geschichten fast ein Jahrhundert ab.
Die Erzählungen beginnen mit Jacob, der im ersten Weltkrieg dient und kurzzeitig bei einer Familie stationiert wird. Viele Jahre später macht die kleine Henriette eine Begegnung, die sie lange verfolgt. In der nächsten Generation und dritten Erzählung ist Vicco personifiziertes Sturm und Drang. Er will anders leben als seine Mutter, aber auch seinen Weg finden. Sein bester Freund wurde eingebuchtet, weil er die „falschen Gedichte“ besaß. Und am Ende der vier Erzählungen steht Hedda, die ausgewandert ist und auf all die Wege anderer zurückschaut, die sie hierher geführt haben.
„Jacob machte sich einen Spaß daraus, anhand der Briefe und seinen Beobachtungen fünf Grundtypen unter den Soldaten auszumachen – […]. Die erste Kategorie waren die Selbstverkünder. Da kaum jemand ihre Klugheit zu bemerken schien, fühlten sie sich berufen, dieses Versäumnis durch mehr oder weniger bescheidene Hinweise aus der Welt zu schaffen. […] Die zweite Kategorie waren die Träumer. […] Die dritte Kategorie waren die Trottel. […] Sie waren nur in einer Sache zu beneiden: Sie litten wenig. Ein überschaubarer Verstand verhindert größere Verzweiflung. Die vierte Kategorie waren die Scheinheiligen, […] Die fünfte Kategorie waren die Dichter.“ p.14 ff.
Geschenkt wird einem nix in So tun, als ob es regnet. Unsicherheit ist ein Begleiter beim Lesen. Wir müssen schon etwas Gehirnschmalz aufwenden, um uns zu überlegen: ist es überhaupt der erste Weltkrieg, in dem Jacob kämpft? Oder ein Krieg, den ich vielleicht gar nicht auf dem Schirm habe? Von wem wird die Familie später interniert und verfolgt? Welches Regime unterdrückt sie? Selbst wo das Buch spielt, ist nicht von Anfang an klar und man wartet auf die Nennung einer geografische Bezeichnungen. Etwas was festes, was zum langhangeln auf der Karte aus Zeit und Raum. Von Anfang an ist aber auch klar: das ist kein Versehen. Dafür ist das Buch viel zu clever, viel zu schön und poetisch in seiner Wortwahl geschrieben.
Viel mehr ist es so, dass Iris Wolff nicht übererklärt. Einerseits ist das sehr angenehm. Es macht das Buch ein Stück generalisierender, konzentriert sich auf die Charaktere. Es scheint zu sagen „Es könnte auch deine Familie sein.“ Und in der Tat, schaue ich in die verschiedenen Generationen meiner Familie, dann gibt es dort ähnliche Geschichten. Sicherlich weniger dramatische oder anders dramatische oder andere Orte. Andererseits hängt das Buch die Lesenden so auch manchmal durchaus ab. Hält uns den Spiegel vor. Ich habe mich einige Male bedrückt gefragt: wie wenig weiß ich eigentlich über Rumänisch-Deutsche Beziehungen? Und über die rumänische Geschichte? Iris Wolff ist selber in Hermannstadt geboren, einem der Zentren der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien.
Am besten lebt es sich wohl, wenn man das Gefühl des „abgehängt-seins“ umleitet zu „das ist mein Anlass etwas über Rumänien zu lernen“. Und in der Tat war ich mir der Lebensrealität der deutschsprachigen Familien in Rumänien nicht bewusst. Ich habe Wolff viel zu verdanken, dass ich ein wenig schlauer geworden bin. Aber da bleibt auch die Ungewissheit: hätte mich das Buch noch etwas mehr an die Hand genommen, hätte ich mehr gelernt? Hätte ich besser gelernt?
Wie man bei den oben genannten Wörtern wie Verfolgung und Krieg schon ahnt: So tun, als ob es regnet ist kein happy buch und will und muss es auch nicht sein. Der Titel ist ein Bezug zu dem rumänischen Sprichwort „Se face că plouă“ (p.77). Das bezeichnet einen Zustand den man im englischen wohl als zoning out und im Deutschen schlichtweg als Tagträumerei bezeichnen würde. Jacobs Bruder hatte das. Es ging einher mit einem Interesse für ganz andere Dinge als seine Mitmenschen. Mit Empfindsamkeit und Introvertiertheit. Und mit der Härte auf die Krieg und Trauma auf diejenigen einprasselt, die eh schon empfindsam sind. Diese Eigenschaft vererbt sich scheinbar weiter. Überspringt vielleicht auch mal eine Generation. Henriette hat das auch. Vielleicht kann es auch helfen zu überleben, wenn man sich ab und zu in sich selber zurückziehen kann. Zumindest war das mein Eindruck beim Lesen. Vielleicht kann auch Trauma und Resilienz vererbt werden?
Dass einem in dem Buch nichts geschenkt wird, bleibt auch so. Beim Lesen gibt es eine Menge Fragen, die nur die Zeit beantwortet. Aber auch eine Menge, worauf man Anhaltspunkte erhält und sich eher selber die Fragen beantworten muss. Auch hier lässt mich das Buch zwiegespalten zurück. Einerseits macht es Spaß die Spuren zu entdecken, bspw. wenn elementare Fragen aus einer der vier Erzählungen so um die 50 Jahre später beantwortet werden. Wenn das, was eine Person bewegt hat, nach Jahrzehnten „kein big deal“ mehr ist. Oder auch andersrum: wenn das Gefühl der Entwurzelung mitreist durch die Epochen und Menschenleben. Nicht alles vorgekaut zu bekommen ist anspruchsvoll, erfordert aufmerksames Lesen, fühlt sich wertig an. Aber es ist auch manchmal unbefriedigend, weil so vieles auf Spekulation beruht oder gar nicht beantwortet wird. Warum ist Vicco letzten Endes doch ausgewandert? In seiner Jugend wirkte das alles noch sehr abwegig. Sind Heddas Annahmen über ihre Großmutter und was ihr widerfahren ist korrekt? Oder alles Spekulation?
Es mag kein happy Buch sein, nichtsdestotrotz hat mich das Schicksal der Charaktere mich bewegt und die Sprache ist bildreich und bereichernd. Ich habe etwas gelernt über die deutschsprechenden Gruppen in Rumänien, über Rumänien an sich. Ich habe gelernt, dass der Hund Laika auch Limontschik genannt wird („Zitrönchen“). Und erstaunlich ist doch immer wieder wie sehr diese kleinen Dinge einem alles andere plötzlich so nah bringen.
„“Es gibt Geschichten“, sagte Elemér zu seiner Enkeltochter, „die können nur nachts erzählt werden.““ p.52
Fazit
Buch, das aufmerksam gelesen werden will und dann sehr berührend ist
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-608-98491-0, Klett Cotta
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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