ausgelesen: Alice Oseman „Loveless“ #LovelessLesen

Diese Leserunde war lange geplant, wurde kurzfristig gestartet, war unaufwändig und entspannt. 🙂 Und dann war’s auch ganz plötzlich schon wieder vorbei! Irgendwie verhedderten sich Sandra, Mirko und ich auf Twitter in Diskussionen über Alice Osemans Bücher, Heartstopper im Speziellen (Serie und Comic) und blieben hängen bei „Wir wollen mal gemeinsam was von Alice Oseman lesen“. Die Wahl fiel auf ihren Young-Adult-Roman Loveless. U.a. weil der standalone ist, also für den man keine Kenntnisse der Figuren anderer Oseman-Bücher braucht. Unter #LovelessLesen könnt ihr noch heute unseren Eindrücke auf Twitter nachlesen. Ein weiteres Argument, warum ich Loveless lesen wollte war, dass es für mich die erste Begegnung mit einer aromantischen, asexuellen (kurz: aro-ace) Hauptperson in einem Buch war. Sicherlich gibt es zahlreiche Medien, bei denen man meinen könnte, dass Charaktere aro-ace sind. Aber es wird nie so benannt und aro-ace muss zu oft ein Einhorn bleiben. Denn was nicht beim Namen genannt wird, kann zu schnell als Mythos und Fiktion abgetan werden. Daher ist Repräsentation in meinen Augen so wichtig und Alice Osemans Bücher mit so vielen diversen Charakteren des LGBTQ+ Spektrums so wichtig. Worum geht’s aber? Nun, unsere Heldin muss erstmal zu der Erkenntnis kommen, dass sie aro-ace ist. Denn die Geschichte beginnt mit Georgia Warr, die sich fragt, warum sie noch nie verliebt war und auszieht, das zu ändern. Auf Krampf.

„Alles, was ich tun musste, war abzuwarten, und meine große Liebesgeschichte würde beginnen. Ich würde den Richtigen finden. Wir würden uns verlieben. Und ich würde mein Happy End bekommen.“ p.16

Das heißt übrigens sie zieht wortwörtlich zuhause aus. Georgia steht an der Schwelle von Abitur zu Umzug an’s College und dem Eintritt in das Studierendenleben. Der Abschied aus der Schulzeit war holprig, verstörend und ein bisschen peinlich. Ihre Schulclique gab ihr das Gefühl, dass mit ihr „etwas nicht stimmt“, weil sie noch nie jemanden geküsst hat und auch bisher keinen Sex hatte. Das Gefühl anders zu sein überträgt sich mit voller Härte von der Clique auf Georgia. Liegt’s an den anderen? Oder an ihr? Stimmt wirklich etwas nicht mit Georgia? Das Gedankenkarussell dreht sich. Obwohl sie Liebesfilme vergöttert und diese Romantik in ihrem Leben haben will, war sie noch nie verliebt. Immerhin darf Georgia außer den schmerzlichen Fragen auch ihr Support-Netzwerk aus der Schulzeit mitnehmen. Ihre beiden besten Freunde Jason und Pip studieren am selben College. Ihre Pläne teilt sie aber nur bedingt mit ihnen. Denn Georgia fasst den Entschluss sich zu verlieben. Die Studienzeit ist doch die beste des Lebens!? Da wird das schon klappen. Oder? ^^ Ihre Mitbewohnerin Rooney ist ein extrovertiertes Party-Girl und damit das komplette Gegenteil von Georgia. Beide kommen besser klar als erwartet und Rooney versucht Georgia bei dem Unterfangen zu unterstützen, herauszufinden wen sie liebt, wie man datet und Georgias „No-Mance“-Situation zu beenden. Nur ist verlieben nichts, dass man erzwingen kann und so manches Herz wird gebrochen.

„Woher sollte ich das denn wissen? Was verfickt nochmal war der Funke? Wie fühlte sich der Funke an?“ p.162

Offen gestanden: so sehr viel mehr als das passiert auch nicht. Wenn ich an meine Unizeit denke, denke ich an eine gute Zeit. Ich denke aber auch an meine mehreren Nebenjobs, um mich über Wasser halten zu können. So erschien es mir fast von Seite eins an höchst unrealistisch wie viel Georgia und ihre Studienkolleg:innen Restaurants und Cafés frequentieren, Kekse futtern und auf Party gehen. Loveless will keine realitätsgetreue Abhandlung über das Studierendenleben sein und es wäre vielleicht auch eher langweilig mehr von Hausarbeiten zu lesen als nötig. Lassen wir ihr dieses Traum-College mit rauschenden Bällen, coolen Häusern und riesengroßen Angebot an Vereinen. Warum nicht. Alice Oseman bleibt bei dem offenkundigen Thema und Fokus des Romans. Das ist das Erkennen des Selbst und der Fakt, dass Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung ein Spektrum sind. Zwischen all den Begriffen wie hetero, homo, bi, pan, poly, demi, grey, etc. kommt es Georgia und ihren Freunden nie in den Sinn, dass es auch ein a wie asexuell und aromantisch gibt. Ergo: Sich nicht zu verlieben. Nicht für eine Person sexuelle Anziehung zu empfinden. Loveless schildert genau das. Den Prozess der Erkenntnis, aber auch all die geplatzten Vorstellungen darüber was man dachte wie das eigene Leben verlaufen würde.

Gerade für die auf Romantik versessene Georgia keine leichte Erkenntnis. Denn ja: das eine schließt das andere nicht aus. Romantik wahrnehmen und schön finden, aber nicht selber für eine Person empfinden. Was nun mit all den Träumen und Wünschen für das eigene Leben? Den einen Partner oder die eine Partnerin finden, heiraten, ganz viele Kinder aufziehen und sie schritten glücklich in den Sonnenuntergang ihres Lebensabends. Während Georgia also in ein tiefes Loch fällt, drängt sich die Frage auf, woher dieses Bild kommt? Dieser Wunsch, dass die Dinge so sein müssen? Das hat viel mit dem Satz zutun, den Georgia schon tausend Mal gehört hat: „Du findest schon noch den Richtigen“. Hier ist Loveless stark und wünsche mir, dass es auch von Erwachsenen gelesen würde. Von allen. Am besten von allen denen, die immer noch anderen das Gefühl geben müssen, dass Glück in Partnerschaft alleine steckt. Dass der Lebensweg einzelner als das Nonplusultra und einzig Wahre für alle generalisiert wird. Wer erinnert sich nicht an Familienessen, bei denen der berühmte Satz fällt „Und wann bringst du mal jemanden mit?“ Wie ganze Schulklassen und Familienmitglieder andere drangsalieren und das Bild weitergibt, das nur eines ist: die Auffassung einzelner, längst nicht die Lösung für alle.

Selbst wer nicht aro-ace ist, wird sich vielleicht in diesen unangenehm aufgedrängten Bildern wiedererkennen. Was aber während des Lesens dann doch zu oft Stirnrunzeln hervorgerufen hat ist der Stil in dem Alice Oseman erzählt. Viele Absätze beinhalten Wiederholungen des eben gesagten. Auch die charakteristischen Züge und Merkmale der Hauptpersonen werden mehr als nur einmal erwähnt. Interessant wäre es gewesen mal zu zählen, wie oft erwähnt wird, dass Georgia abends Fan-Fiction lesend im Bett liegt und Kekse futtert. Versteht mich nicht falsch: es macht mir Georgia sehr sympathisch, weil das auch eher meine Beschäftigung wäre statt wie Rooney auf eine Party nach der anderen zu gehen. Aber ich habe das auch schon nach der zweiten Erwähnung kapiert. Sandra ging es beim Lesen offenbar ähnlich. Und uns beide hat es öfter dazu verleitet das Buch auch mal wegzulegen.

Auch macht Loveless Gebrauch der Schablonenhaftigkeit typischer College-Dramen und Szenarien, die man so schon zu oft gesehen oder gelesen hat. Durch die Erwähnung von Songs wird eine Playlist vorgegeben, die manchmal versucht mit Name-Dropping statt Worten und literarischem Werkzeug die Stimmung vorzugeben. Das ist kein Verbrechen, dessen sich nur Alice Oseman schuldig macht. 😉 Und klar: ist auch längst nicht für alle ein Verbrechen. Manchmal kann das auch ganz schön sein. Dass Loveless sich an das Publikum junger Erwachsener richtet, hat mit der Einfachheit nicht besonders viel zutun. Natürlich soll unbedingt allen Lesenden, egal welchen Alters, auch etwas zugetraut werden. Osemans literarischer Stil könnte eben noch wachsen. Das ist keinesfalls wie eine Ohrfeige gemeint, denn Oseman macht auch so wahnsinnig viele Sachen richtig und gut, über die zig andere Autor:innen noch nicht mal nachgedacht haben. Beispielsweise Diversität zu leben und ihre Charaktere wachsen zu lassen.

Gerade Rooney wurde für mich letzten Endes eine spannende Figur mit einer außerordentlichen Entwicklung, die ich gern verfolgt habe. Es gibt außerde, viele Charaktere, die aus ihren Coming-Outs berichten und wie es sich anfühlt sie zu sein. Mehrere von Georgias Freunden sprechen beispielsweise darüber wieviel Freud und Leid sich aus Intersektionalität ergibt. Für Pip beispielsweise wie deprimierend es lange Zeit war keine anderen lesbischen Latinas zu kennen und sich dadurch „allein“ zu fühlen. Aber auch wie großartig es ist doch mal Gleichgesinnte zu treffen, die aus ähnlichen Lebensrealitäten berichten. Freunde könnten vieles aufwiegen, aber nicht alles gleichermaßen nachempfinden. Vor Allem aber gibt Loveless auch für diejenigen, die nicht aro-ace sind verständlich wieder wie es sich anfühlt aro-ace zu sein. Und vermittelt nebenbei, dass alles ein Spektrum ist. Es mag eine Definition für aromantisch und asexuell zu geben. Aber jede Person, die selber aro-ace ist, empfindet und lebt das anders aus. Ich habe eine Menge gelernt und das erste Mal beim Lesen von Loveless realisiert.

„Wie konnte ich so traurig darüber sein, Dinge aufzugeben, die ich eigentlich gar nicht wollte?“ p.266

Übrigens bleibt es nicht bei dem tiefen Loch, in dass Georgia fällt. Loveless ist stellenweise ein Feelgood-Buch, das einige wunderbare Lösungen findet, wie Georgie ihr filmreifes Happy-End umdefiniert. Wie kann also das Fazit lauten? Ich finde es gut, dass es Bücher wie Loveless gibt, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass es weniger formelhaft wäre. Zwar bin ich mit Osemans Stil in Roman-Form nicht warm geworden, werde aber sicherlich bald wieder in ihre Bücher reinlesen. Zumal Heartstopper Band 3 auch schon hier liegt. 🙂

Fazit

Räumt gründlich mit aufgedrängten Weltbildern auf, vermittelt wichtige Lektionen über das Aro-Ace-Spektrum und Intersektionalität, könnte aber seine Leser:innen etwas mehr fordern und auf ausgelatschte College-Roman-Muster verzichten.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-7432-1219-0, Loewe Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

6 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Lieben kann denke ich jeder, der sich in anderen wiedererkennen kann ganz unabhänging vom Geschlecht.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Muss man sich dazu in anderen wiedererkennen? 🙂

      1. Avatar von voidpointer
        voidpointer

        Ne, stimmt ein notwendiges Kriterium ist es sicher nicht.

  2. Ich hab das Buch ganz frisch gekauft und freu mich drauf

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Viel Spaß! 🙂 Kannst mich ja mal wissen lassen wie es dir gefallen hat, wenn du möchtest.
      Mir gingen die Charaktere sehr an’s Herz. Das kann Alice Oseman so gut.

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