Literarische-Fundstücke: Musik in Büchern II

Als ich neulich im vierten Band von Stephen Kings „Dunkler Turm“-Reihe zum wiederholten Mal eine Erwähnung von „Hey Jude“ bemerkte, dachte ich „Wird mal wieder Zeit für eine Ausgabe von ‚Musik in Büchern‘„. Seitdem ich mit den „Literarischen Fundstücken“ angefangen habe, springen mir die doppelt ins Auge … oder in dem Fall ins Ohr?


„The Beatles – Hey Jude“, via The Beatles (Youtube)

The Beatles „Hey Jude“ (Stephen King „Dunkler Turm“-Reihe)

Wenn man den ersten Band liest, in dem sich der Protagonist Roland durch eine Western-ähnliche uns unbekannte Welt schnetzelt, dann erscheint es nicht unbedingt naheliegend, dass hier die Beatles gespielt werden. Während des Lesens dachte ich noch scherzhaft „muss ein anderes ‚Hey Jude‘ sein“. Als dann irgendwann der Satz fällt „Es gibt andere Welten als diese!“ ist klar, dass der Song da nicht nur ist, weil er offenbar Stephen King gefällt.

Obwohl ich mir den anfangs so gar nicht in einem abgeranzten Saloon vorstellen konnte, bekommt der Song seine Daseinsberechtigung mit jedem weiteren Band der Reihe. Das Viele-Welten-Prinzip der Bücher wird immer mehr erweitert und auch die Idee, dass sich „die Welt weiterbewegt“ bekommt mehr Bedeutung. Und wenn man sich Roland als den Held, der irgendwie zwischen diesen rumirrt und eine schicksalhafte, schwere Bürde mit sich trägt, vorstellt, dann scheint der Text von „Hey Jude“ plötzlich doch ganz gut zu passen.

And anytime you feel the pain
Hey Jude, refrain
Don’t carry the world upon your shoulders
For well you know that it’s a fool
Who plays it cool
By making his world a little colder

Gustav Mahler „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (Hanya Yanagihara „Ein wenig Leben“)

„Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!“

Apropos Jude … Hanya Yanagiharas polarisierendes Buch dreht sich vor Allem um den Protagonisten mit diesem Namen. Judes Freunde retten ihm das Leben – und das nicht nur metaphorisch gesprochen. Er blickt auf eine traurige Geschichte aus psychischer, physischer und sexueller Misshandlung zurück, aus der er zahlreiche Wunden mitgenommen hat. Das Buch ist entsprechend schwer zu lesen und fühlt sich nicht selten wie ein Schlag in die Magengrube an. Es ist einer der Romane, die entweder flächendeckend gemieden oder geliebt werden. Ich war irgendwo in der Mitte. Aber es handelt neben all dem eben auch von Freundschaft und Aufsteigertum und hat meiner Meinung nach einige sehr weise Weisheiten parat.

Judes Distanzierung von seiner Umwelt und seine schwer einzuordnenden Schuldgefühle finden aber wohl den perfekten Ausdruck in diesem Lied. Komponiert wurde es von Gustav Mahler mit dem Text eines Gedichts von Friedrich Rückert – „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Mahler soll sich wohl sehr damit identifiziert haben. Jude trägt das Lied in dem Buch einmal selbst vor. Da ich ganz schwer davon ausgehe, dass das Buch in nicht allzu ferner Zukunft verfilmt wird, werde ich besonders auf diese Szene warten.


„Gustav Mahler – „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (Rückert) – Fischer-Dieskau“, via FiDiTanzer528 (Youtube)


Hej Sokoly – AnnaLu & Shavez“, via Yerar11Shavez (Youtube)

„Hey, Sokoły“ (Olga Tokarczuk „Gesang der Fledermäuse“)

Zeit aus der Reihe zu tanzen – mit Betonung auf tanzen. Das flächendeckend in Osteuropa gesungene Lied Hey, Sokoły dient in Olga Tokarczuk Gesang der Fledermäuse nicht zwingend der Charakterisierung einer Person, sondern eines Lebensgefühls. In dem Lied sagt ein Soldat(?) seiner Freundin, die er in der Ukraine kennenlernte, auf Wiedersehen. Es handelt von der Nähe zwischen den Menschen trotz Ländergrenzen und Differenzen. Von Abschied und einem unvermeidlichen Ende. Heute ist es ein etwas überholter aber immer noch wirksamer Partykracher – wird in dem Buch bei dem einen oder anderen Saufgelage lauthals gegröhlt und dazu getanzt. Und tatsächlich geht das Lied echt ins Ohr und die Tanzbeine.

Diese Mischung aus dramatischem Inhalt und Tanzstimmung charakterisiert auch das Buch ganz gut, das einen ähnlichen Spagat wagt. Es erzählt von einer Protagonistin, die mit ihren Ansichten einerseits aneckt, andererseits auch offenkundig richtig liegt. Aber sind trotz dieser Wahrheiten Morde und dass sie Tiere mehr schätzt als Menschen vertretbar? Trotz all dem liest sich das Buch auf eine schwarzhumorige Weise ab und zu sehr lustig. Von daher haben Buch und Lied in ihren Stilbrüchen wohl etwas gemein.

Header image/photo credit: Janko Ferlič

Das sind heute mal drei recht unterschiedliche würde ich sagen. 🙂 Nachdem „Velcro Fly“ von „ZZ Top“ ziemlich prominent im dritten und vierten Teil der „Dunkler Turm“-Reihe erwähnt wird, habe ich kurz überlegt ein „Musik in Büchern“-Special über die Reihe zu machen. Andererseits hängt es gerade am seidenen Faden, ob ich dieses Jahr überhaupt noch den nächsten Teil anfasse. So weit wollte ich jetzt auch nicht planen (müssen). Welcher Song wurde in Büchern angespielt, die ihr kürzlich gelesen habt? Und wie passen sie rein? Hier geht es übrigens zu früheren Literarischen Fundstücken.

5 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Für mich die größte musikalische Fundgrube in der Literatur ist und bleibt Murakami. Da hat ja wirklich jedes einzelne Buch seinen eigenen Soundtrack.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Jetzt wo du es sagst … stimmt! Der erwähnt keinen Song zweimal. Zumindest nicht in den rund 10 Murakamis, die ich bisher gelesen habe. Deswegen bekommt er ja auch bald seine eigene Ausgabe hier bei „Musik in Büchern“ gewidmet 😀

      1. Avatar von donpozuelo
        donpozuelo

        Oh sehr gut. Da bin ich schon jetzt gespannt drauf.

  2. Murakami wäre mir jetzt auch spontan eingefallen. Und natürlich Nick Hornby, nicht zwingend nur in „High Fidelity“ (da aber logischerweise besonders prägnant), sondern auch immer sporadisch in seinen anderen Werken.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oh stimmt, ja. Da fällt mir auf, dass ich echt ewig nix mehr von ihm gelesen habe … sollte ich wohl mal ändern. ^^

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