Fantastischer Film: Das Urteil von Nürnberg

Stanley Kramer hat einige unkonventionelle und unpopuläre Ideen in seinen Filmen verfolgt. Insbesondere Ideologien von verschiedenen Seiten zu beleuchten hat ihn umstritten gemacht, aber auch bekannt. In seinem 1961er Film nach einem Drehbuch von Abby Mann widmet er sich der Schuldfrage des Dritten Reichs, so gestellt während der Nürnberger Prozesse. Er lässt Spencer Tracy als (fiktiven) Richter Dan Haywood in einem immer noch durch den Krieg gezeichneten Deutschland in Ruinen ankommen und den Vorsitz halten. In einem prekären Fall – Anklage wurde gegen andere Personen des Rechtswesens erhoben. So den ehemaligen Justizminister Dr. Ernst Janning (Burt Lancaster). Es stellt sich die Frage: wie konnten unter seiner Aufsicht Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen? Wo war die Rechtsprechung? Wo die Gerechtigkeit? Andere Angeklagte berufen sich darauf nur ihren Job gemacht zu haben. Janning selber schweigt. Es wird Haywoods vielleicht kniffligster Fall.


Trailer DAS URTEIL VON NÜRNBERG (Deutsch), capelightpictures, Youtube

Was den Film auszeichnet sind die zahlreichen Interessenkonflikte und Meinungen, die wertungsfrei gezeigt werden. Kramers Film erlaubt es Zuschauenden sich zwischen all den Personen und Eindrücken selber eine Meinung zu bilden. Darunter ist u.a. der Verteidiger Jannings und seiner Kollegen, der von Maximilian Schell gespielt wird und der einen harten Kurs fährt, um seine Klienten freizukriegen. Er versucht mit Härte und Vehemenz die Aussagenden zu diskreditieren, die doch gerade im Zeugenstand von ihren Traumata berichten. Es fallen Begriffe wie Rassenschande, Zwangssterilisierung und es werden (authentische) Videoaufnahmen aus befreiten Konzentrationslagern gezeigt – und was man dort vorfand. Wie kann der Verteidiger das mit seinem Gewissen vereinbaren? Andere Stimmen sind beispielsweise auch die der Generalsgattin und Witwe Frau Berthold (Marlene Dietrich), die Haywood wissen lassen will: „wir waren nicht alle so“. Besonders spannend waren für mich die Momente, in denen Haywood sich quasi in den Feldeinsatz begibt und die ganz normalen Menschen fragt: Wie war es im Nationalsozialismus zu leben? Habt ihr von den Verbrechen gewusst oder es geahnt?

Es ist faszinierend wieviele Schattierungen der Film aufzeigt, von denen die Scheuklappen auf hatten, die wirklich nichts wussten oder denen, die sich hinterher darauf berufen „auch nur ein Rädchen im Getriebe zu sein“. Auch die Amerikaner kommen hier nicht ungescholten davon. Intensiv ist wie Burt Lancaster als Dr. Ernst Janning gegen Ende sein Schweigen bricht. Intensiv ist überhaupt der ganze Film. Und dessen Spielzeit von knapp über drei Stunden. Es gelingt Kramer allerdings exzellent den historischen Kontext und mutmaßliche Gründe einzufangen, die das Dritte Reich und dessen kranke Ideologie möglich machten. Ebenso die moralisch verzwickte Frage der Nürnberger Prozesse: wer hat Schuld? Trotzdem ich viel Filme schaue, kommt mit selten in den Sinn, welche davon im Unterricht gezeigt werden sollten. Bei dem hier hingegen sofort.

Dass ich mir für den Januar gerade diesen Film ausgesucht habe, liegt daran, dass am 27. Januar der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ist. Vielleicht wäre es besser einen Film zu wählen, in dem Opfer noch mehr zu Wort kommen. Was mich aber an Das Urteil von Nürnberg so begeistert ist die Aufarbeitung und wie man sich einer Schuldfrage solchen Ausmaßes überhaupt nähert oder versucht das unbegreifliche zu begreifen.

Urteil von Nürnberg (OT: Judgment at Nuremberg), USA, 1961, Stanley Kramer, 188 min

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

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