Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „Portrait of a Thief“ von Grace D. Li (engl. Ausgabe)

Ein Heist-Roman über Asian Americans, die chinesische Kulturschätze zurückstehlen? Klingt großartig als Plot für ein Buch. Nur strotzt meine Beschreibung geradezu vor Anglizismen. Ich versuche es nochmal: Ein Roman über asiatisch-amerikanische Mitzwanziger, die chinesische Kulturschätze zurückrauben? Naja. Ich suche noch eine gute Übersetzung für das Heist-Genre. Raub-Roman will nicht so klingen. 😉 Mal abgesehen von meinen Wortfindungsreisen ist „Portrait of a Thief“ von Grace D. Li ein gutes Hörbuch, dessen Idee besser als sein Plot ist.

Will studiert Kunstgeschichte, ist ein Harvard-Senior und steht kurz vor der Berufswahl. Sein Leben scheint bereits in einer geordneten Bahn zu laufen, die eine Aura von American Dream umgibt. Seine nächsten Schritte scheinen zumindest auf dem Papier vorherbestimmt zu sein. Aber etwas nagt an Will. Da ist das Gefühl es seinem Vater recht machen zu müssen. Da ist auch das unbefriedigende Gefühl statt Kunst zu machen über Kunst zu reden. Und dann ist da noch der moralische Aspekt. Entwendet in Zeiten der Umstürze, Revolutionen und Kriege steht sie Wills Meinung nach nicht rechtmäßig in den Vitrinen amerikanischer und europäischer Kunstmuseen. Dann tritt an Will eine chinesische Kunstliebhaberin heran, die gern die Schätze zurück hätte und macht Will ein Angebot.

Will muss nicht lange darüber nachdenken, für ihn ist das eine Frage des Prinzips, nicht mal des Geldes. Das gilt aber nicht für alle, die er für sein Team rekrutiert. Manche sind da wegen des Geldes, manche wegen des Thrills, andere teilen seine Motivation und manche sind dort für Will. Zum Team gehört von da an Irene, Wills Schwester, die sich hervorragend als Verhandlerin, Auskundschafterin und Con-Artist macht. Daniel Liang macht mit. Er ist Wills bester Freund, der eigentlich Medizin studiert, aber offenbar auch ein Händchen für Kunstraub hat. Lily Wu hingegen hat sich nicht wegen ihres Ingenieursstudiums qualifiziert, sondern weil sie in ihrer Freizeit illegale Rennen fährt und ihre Fluchtwagenfahrerin werden soll. Alex Huang hat ein MIT-Studium hinter sich und arbeitet eigentlich bei Google. Für die Gruppe kümmert sie sich um die IT. Während und nachdem sie sich finden und entscheiden das Ding durchzuziehen, wird abwechselnd ihrer alle Motivation und Innenleben fokussiert. Darin schwingt viel aus der Identität asiatischer-amerikanischer Personen mit, d.h. von Personen, die einen überwiegenden Teil ihres Lebens in den USA lebten, aber auch die (in diesem Fall) chinesische Kultur ihrer Eltern leben.


Inside the Book: Grace D. Li (PORTRAIT OF A THIEF), Penguin Random House, Youtube

Im Umkehrschluss finden sie sich manchmal zwischen den Stühlen wieder. Für die guten Bürger:innen der US of A sind sie nicht amerikanisch genug, für chinesische nicht chinesisch genug. Manche aus Wills Team waren noch nie in China, andere denken sehnsüchtig an die Heimat. Sie alle teilen eine gewisse Rastlosigkeit, die Grace D. Li sehr gut greifbar und verständlich macht. Darin schwingt der Zwiespalt zwischen zwei Heimaten, zwei Kulturen, zwei Welten und dem Unverständnis derer, die nur mit einer klarkommen müssen. Ihr Team aber ist eines von Gleichgesinnten. Einige von ihnen haben das Gefühl ihre Eltern für Abstriche, riskante Immigration und harte Arbeit mit einem American Dream ähnlichen Lebenslauf entlohnen zu müssen. Andere wissen schon, dass sie den Anforderungen ihrer Eltern nie genügen werden. Das und das Sprecher:innen-Casting sind wohl die Aspekte weswegen man zum Hörbuch greifen sollte. Das Hörbuch war ein Tipp, der für mich nach großartiger diverser Lektüre klang. Vor Allem wegen der Sprecher:innen, die des Chinesischen mächtig sind und daher die entsprechenden Passagen authentisch vortragen können. Ein Aspekt, der in Film-Synchronisation und Hörbüchern noch nicht sehr lange beachtet wird und oft im Fauxpas endete.

Worin Portrait of a Thief nicht so gut ist, ist nur leider das gesamte Thema Kunstraub. Es ist quasi ein Heist-Roman ohne Heist. Über die gesamte Länge des Buches erfährt man quasi keine Details über das tatsächliche Planen und Durchführen der Raubüberfälle. Da sitzt höchstens mal Alex haareraufend vor dem Laptop als sie merkt, dass sie eben Software-Ingenieurin ist und keine Hackerin (der Teil ist zumindest realistisch). Da steht Irene irgendwo in einem Museum und kundschaftet Wege aus. Aber im nächsten Kapitel stehen sie dann im Museum oder fliehen gerade und das war’s. Okay, es ist die Rede von Burner Phones und davon wie Lily Fluchtwagen organisiert, aber insgesamt bleibt alles sehr vage, ich möchte sogar sagen naiv. Da ich das Heist-Genre sogar sehr gern mag, hat mich dieser Aspekt von Portrait of a Thief auf negative Weise verblüfft. Es gibt keinen adäquaten Begriff für das Gefühl. Man könnte sagen, dass ich irgendwann mit einer gewissen Neugier das nächste Kapitel und den nächsten Raub hörte, um herauszufinden wie sie es dieses Mal schaffen ein Museum auszurauben ohne irgendwas spezifisches über Planung und Durchführung fallen zu lassen.

Fairerweise: es ist nicht einfach das Heist-Genre zu bedienen. Die Recherche darüber wie man denn einen Kunstraub anstellen kann, erfordert unheimlich viel Auseinandersetzung mit Theorie, Verbrechen, mit Literatur und ja, erfordert vielleicht etwas Raub aus anderen Heist-Stoffen. Ein bisschen bei Oceans und Rififi abgucken zum Beispiel. Dass Grace D. Li mit Oceans und Fast and the Furious vertraut ist, hört man in oben verlinktem Video und liest man bereits aus der Inhaltsbeschreibung raus. Aber das hat nicht gereicht um aus Portrait of a Thief einen Heist-Roman zu machen. Stattdessen sind 90% davon Introspektion über das Aufwachsen als Asian American – dafür sollte man es lesen. Heist sollte im Zusammenhang mit dem Buch immer als ein sehr untergeordnetes Thema adressiert werden und ich bin überrascht, dass andere Reviews wie selbst die der New York Times das nicht tun und es als einen der Top Krimis des Jahres 2022 listen. Wofür man Portrait of a Thief aber hören kann ist für die Lebensrealität der Asian Americans und für die Frage, ob da was geht zwischen Irene und der Hackerin Alex. Zumindest hat mir das „Will they won’t they“ in der zweiten Hälfte deutlich mehr Spaß gemacht. Allerdings will ich dem Buch zugute halten, dass einige Entscheidungen gegen Ende wirklich gute sind. Sowohl moralisch als auch literarisch.

Ich habe oft während des Hörens gedacht, dass das als Serie besser funktionieren könnte, weil es das Flair des Raubs ja irgendwann in Bilder gießen muss. Zudem dämpft es das innere Monologisieren der Charaktere etwas ein, was dem Themenmix gut tun würde. Irgendwie kam es mir auch wie typischer Netflix-Stoff vor, weil es sich eben bestimmte Teile seiner Handlung so frappierend einfach macht und manchmal mehr wie ein Grundgerüst für eine nicht zu Ende gedachte Story wirkt. Und zu meiner Überraschung stieß ich bei der Recherche für den Artikel dann tatsächlich auf die Info, dass es dort als Serie adaptiert wird. Vielleicht funktioniert es besser, wir werden sehen. Ansonsten ist es leider nicht mein Lieblingshörbuch geworden, was sicherlich auch an komplett irreführendem Marketing liegt. Was andere Hörbücher sich bei „Portrait of a Thief“ trotzdem abschauen sollten: Casting, das den Rollen gerecht wird. Außerdem das diverse „Casting“, das hier ganz natürlich bisexuelle und lesbische Personen in einer Genre-Erzählung einbindet. Was ich jetzt außerdem gelernt habe: dass ich New York Times Bücherlisten ab jetzt leider nicht mehr traue. Kennt ihr das Hörbuch und wie hat es euch gefallen?

2 Antworten

  1. Habe deine Rezension sehr gerne gelesen und schau mir das Buch mal an – gerade weil es kein echter Heist-Roman ist. Das ist neben Spionage, Mafia und Sportromanen nämlich eines meiner least favorite Genre und ich habe den Begriff auch erst kürzlich gelernt. Dafür war ich sehr dankbar, weil ich jetzt sehr genau weiß um welche Bücher und Filme ich einen großen Bogen machen werde 😉 😉 Ich liebe es, wenn ein Wort auf einmal eine ganze Welt erklärt 😉 Liebe Grüße, Sabine

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha, das ist Blickwinkel, von dem ich das noch gar nicht betrachtet habe. 😀 Aber ja, Worte können so gesehen eine ganze kleine Welt verändern. Also: wenn du Heist nicht magst, dann ist das (Hör)Buch vielleicht super für dich.

      Ich bin mir übrigens nie so ganz sicher wie man „Heist“ spricht und nehme das mal zum Anlass nachzuschlagen..

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