„Legion“ kann man schnell mit dem gleichnamigen Film verwechseln. Die Serie allerdings ist die Adaption der gleichnamigen Marvel-Comics und wurde von 2017 bis 2019 in drei Staffeln abgeschlossen. Aber Achtung: „Legion“ ist nicht Teil des MCU. 2018(!) habe ich schon mal die erste und zweite Staffel geschaut – leider aber nie die dritte. Damals war die unauffindbar in Streaming oder Disc. Da ich die Serie schon damals sehr gut fand, war ich untröstlich nie das Finale gesehen zu haben. Ohne die Review von Sebastian wäre es total an mir vorbeigegangen, dass inzwischen alle Staffeln im Stream auf Disney+ verfügbar sind*. Und weil ich mich so darüber freue, gucke ich alles nochmal – inklusive des Endes. Besprechung ist spoilerfrei. (*Keine bezahlte Werbung.)
„When a plate breaks, you don’t fix it, you just get another plate.“
Das könnte so eine Art Cinderella-Story werden. David Haller (Dan Stevens) sitzt nach einem Selbstmordversuch in der psychiatrischen Einrichtung Clockwords. Auf die Frage seiner Schwester Amy (Katie Aselton), wann er dort rauskommt, hat er wenig zu entgegnen. Sagt er, dass es ihm besser geht, dann zweifeln sie das an und behalten ihn trotzdem ein. Wenn er sagt es geht ihm schlechter, erhöhen sie die Dosis seiner Medikation und er bleibt genauso.
Immerhin hat er seine beste Freundin Lenny (Aubrey Plaza) an seiner Seite, die den Alltag in Clockworks etwas spannender macht. Dann taucht dort aber Neuankömmling Syd (Rachel Keller) auf, in die sich David auf den ersten Blick verliebt. Nach einer zarten Romanze in Institutswänden und ohne Körperkontakt (Syd fürchtet sich vor Berührung), kommt es aber zu einer Katastrophe. Und die offenbart, dass alles was David und die Psychiater als Halluzinationen erklären, sogar sehr real ist. Beispielsweise die Schattengestalten, die David sieht. Die Stimmen in seinem Kopf. Oder dass er meint Dinge mit seinem Geist bewegen zu können. Das alles sind seine Fähigkeiten und Begabungen. Mehr noch: Syd kommt um ihn zu befreien und ihm zu helfen die Fähigkeiten zu kontrollieren. Er ist nicht verrückt. Aber schließt das eine wirklich das andere aus?
Legion | Season 1: Trailer #2 | FX, FX Networks, Youtube
„Everybody in here keeps saying that I’m sane. What if they’re wrong?“
Dass das keine Cinderella-Story ist, kann man schon alleine darin begründen, dass Cinderella nicht sowohl von einer privaten Organisation wie auch einer Regierungsbehörde verfolgt wird. Denn ja: es ist nicht nur Syd daran interessiert herauszufinden wie Davids Fähigkeiten funktionieren. Zwar habe ich einiges von der Handlung vorweg genommen, letzten Endes ist die aber so verpflochten erzählt, dass es immer noch jede Menge zu entdecken gibt. Es könnte für David eine Befreiungsstory sein. Schließlich erfährt er nach einem über dreißigjährigen Martyrium aus Selbstzweifeln, dass er doch die ganze Zeit über recht hatte. Allerdings ist das auch etwas weniger leicht abzuschütteln als man denkt. Obiges Zitat gibt gut wieder was diese Erkenntnis für David bedeutet.
Die Serie beweist früh, dass Davis unkontrollierte Fähigkeiten katastrophale Folgen haben können. Legion arbeitet hier auf sensible Weise mit mentaler Gesundheit und der sehr persönlichen Auseinandersetzung, die damit einhergeht. Kaum eine Serie hat so gut die schwer abzugrenzende Linie zwischen „unvorstellbaren Fähigkeiten“ und „alles nur Psychose“ dargestellt. Über lange Strecken wissen weder Zuschauende, noch David, noch Syds Gruppe, ob es wirklich so ist wie sie denken. Es bleibt ein Rest, den sie schwer erklären können. Und da ist die Angst Davis: was, wenn er sich nach wie vor nicht selber gehört? Nicht Herr seiner Entscheidungen ist? Wie sich herausstellen wird ist da etwas dran. Aber anders als alle dachten.
„Remember, it’s not real unless you make it real.“
Vor Allem aber gibt es jede Menge erzählerische Mittel, die uns Davids Horror fühlen lassen. Wir bekommen Einblick in seine Albträume, die widersprüchlichen Stimmen in seinem Kopf, Schlüsselmomente seiner Kindheit. Mal fragmentarisch, mal chaotisch. Zudem gibt es Zeitsprünge, die allerlei Foreshadowing bereithalten. Wir müssen ganz schön puzzeln. Allerdings auf die gute Art. Die Art, die Zuschauende fordert Davids Rätsel zu entschlüsseln. Tatsächlich haben aber auch seine Helfer:innen alle Hände voll zutun seine Fähigkeiten vollends zu erfassen – und manche haben auch ganz eigene Motive David auf ihrer Seite haben zu wollen.
Auch die Nebencharaktere machen viel Spaß und bringen Fähigkeiten mit, die weitaus weniger „herkömmlich“ sind als Telekinese oder was man so in anderen Superheldenserien sieht. Man nehme nur Kerry (Amber Midthunder) und Cary (Bill Irwin), die sich beide einen Körper teilen und je nach Situation ihre andere Hälfte übernehmen lassen. Während Kerry die Frau fürs Grobe ist, übt sich Cary in wissenschaftlichen Aspekten. Es hat mich außerdem sehr gefreut mal wieder Jemaine Clement in einer ähnlich flamboyanten Rolle zu sehen wie man es von ihm gewöhnt ist. Bei all dem fällt aber, sicherlich aus Copyright-Gründen, nie das Wort X-Men oder Mutant. Legions Ursprung liegt aber genau da. Und wer Davids berühmter Vater ist, wird nur auf clevere Weise angedeutet.
Was es mit dem Begriff Legion auf sich hat, merken wir frühestens in Staffel zwei behaupte ich – es sei denn wir riskieren uns zu spoilern und lesen nach. Aber wer will sich schon spoilern? Die Serie ist offensichtlich eh einigermaßen anders als die Vorlage. Bei all dem kegelt Legion auch sehr mit unseren Sehgewohnheiten. Die Fähigkeiten der Mutanten und Mutantinnen werden nicht immer auf eine nachvollziehbare Weise dargestellt. Über die Regeln von Kerry/Carys Körperwechsel hatte ich viele Fragen, die alle unbeantwortet bleiben. Das ist einerseits geschickt, so kann man sich auf das wesentliche konzentrieren, andererseits ist es aber auch Symptom der Serie es sich manchmal etwas leicht zu machen. Dann aber gibt es eine Tanzeinlage, einen Rolling Stones Song, eine epische Version von Bolero, die genial stylischen Outfits und Attitüde Audrey Plazas, kaltblütige Albtraumsequenzen – und spätestens hier sollte uns klar werden, dass Legion wild ist und genau das, was dem MCU fehlt. (9/10)
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Da das MCU in letzter Zeit ja einige Charaktere aufsaugt, die vor zehn Jahren noch wegen Copyright-Problemen undenkbar gewesen wären (Spider Man, X-Men, etc.) ist vielleicht drauf zu hoffen, dass wir Dan Stevens oder eine andere Inkarnation „Legions“ vielleicht doch noch(mal) zu Gesicht bekommen? Fest steht jedenfalls, dass „Legion“ nicht nur optisch, musikalisch, erzählerisch spannender ist als vieles aus dem MCU. Der Soundtrack (von u.a. Jeff Russo) läuft bei mir gerade noch rauf und runter. Was meine Review nicht zu vermitteln vermag ist, dass psychiatrische Einrichtungen hier nicht als unmenschlich dargestellt werden. Was ich immer noch für einen großen Wurf halte ist die Auseinandersetzung mit mentaler Gesundheit im Allgemeinen und wie vielschichtig das passiert. Dann aber wiederum – sind nicht alle Dämonen hier metaphorisch.
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