ausgelesen: Zoe Thorogood „It’s Lonely at the Centre of the Earth“

Vor noch nicht allzu langer Zeit fragte ich nach Feedback, was im Blog fehlt. Und ich bekam Feedback: mehr Comics! Okay! Sehr gern! Einige Besprechungen habe ich mir jedoch speziell für Ende des Jahres aufgehoben wie die von Zoe Thorogoods großartigem, mit Preisen und Lob überhäuftem Comic It’s Lonely at the Centre of the Earth. Zoe Thorogood hat obwohl Eisner Awards nominiert noch keine Wikipedia-Seite (falls ihr euch fragt). Und hier liegt auch der metaphorische Hund begraben, der (irgendwie jedenfalls) zu dem Comic führte. Die Besprechung enthält TW/CW für Depressionen und Suizidgedanken, da der Comic vom Broterwerb als Künstler:in handelt, von Depression, künstlerischem Streben und Schaffen. All die Fäden laufen zusammen und bilden It’s Lonely at the Centre of the Earth.

Der Untertitel auf dem Cover verrät bereits, was It’s Lonely at the Centre of the Earth ist und wo man es mangels einer Genre-Schublade einsortieren kann: an auto-bio-graphic-novel. „Zoe“ ist die Protagonistin und versucht gerade den Gedanken wegzuschieben sich umzubringen als sie eine geniale Idee hat, an der sie auch schon in derselben Sekunde zweifelt. Warum nicht all das nehmen, was durch ihren Kopf rast und in einen Comic packen? Es könnte wunderschön werden! Es könnte sie heilen! Es könnte sich vielleicht sogar verkaufen! Ja, so richtig glaubt sie nicht dran, macht es aber trotzdem. Sie beginnt zu zeichnen und verabreicht ihrer (Lebens)Geschichte mehrere Personifikationen. Ihr innerer Kritiker mit einem meme-troll-ähnlichen Gesicht, die gehörnten Depressionen und Suizidgedanken in einem schwarzen Umhang und ihrem Manga-Chibi-Selbst, das ihre kindlicheren und optimistischeren Züge vereint. Sie reflektiert das Dasein als Comickünstlerin aus Sicht all dieser (und weiterer) Schattierungen von „Zoe“.

Daraus entstehen viele Situationen, die rein introspektiv sind. Szenen, die sich so nur in ihrem Kopf abspielen. Zwiegespräche und in Bilder gegossene Sinnkrisen. Es ist traurig, witzig, dramatisch, wenn all das mit dem echten Leben zusammentrifft. Beispielsweise wenn Zoe sich selber googelt oder auf einer Fan-Convention einen Stand betreibt. Es gibt eine Szene, die mich sehr beeindruckt hat, in der viele Fans auf sie zukommen und ihr sagen, dass ihre Comics so „relatable“ (=nahbar, verständlich, nachvollziehbar) seien. Aber desto mehr sie das hört, desto mehr erdrückt sie diese Nähe und die damit einhergehenden Erwartungen. Es heißt oft so Kalenderblatt-Poesie-mäßig, dass Kunstschaffende viel von sich in ihre Werke legen. Das mag sein und ist hier wörtlich zu nehmen. Der Comic handelt von den Zweifeln und vielen Kämpfen, die man mit sich auszustehen hat, wenn man das Innerste niederschreibt, zeichnet, singt, was auch immer. Es kann intim sein und nicht immer schön, wenn es ehrlich ist. Thorogoods Comic wird allen aus der Seele sprechen, deren Broterwerb mit der psychischem Verfassung verzahnt ist.

Dabei ist der Comic bei Weitem nicht nur Verarbeitung von Depressionen und aus der Pandemie geborener Angst verhungern zu müssen. Man liest auch heraus, dass Kunst ein Rettungsanker und eine Ausdrucksform ist. Genauso wie die Liebe zu Comics und dem Zeichnen, die Zoe quasi wortwörtlich an andere Orte befördert. Der Comic selber ist ein Feuerwerk an Ideen. Es gibt gar mixed media Seiten oder welche in denen sie die vierte Wand durchbricht. Kaum ein Bündel Seiten ist wie das vorherige. Da der Comic keine kohärente Handlung im typischen Sinne hat, kann man nicht viel mehr zum Inhalt sagen. Vielleicht ist es gar Stream of consciousness, doch von der nachvollziehbaren Sorte. Ich wage mich dennoch an ein Fazit und eine Zusammenfassung: It’s Lonely at the Centre of the Earth zeigt auf wie entfremdend es sein kann Kunst zu machen und was für ein Hochgefühl. Wie tief das Loch ist, in das einen Depressionen stürzen und wie nahbar es plötzlich für andere Personen macht. Auch wenn diese sich gegenseitig genauso gut verletzen wie Halt geben. Leben, das Ding zwischen den Gegensätzen.

Fazit

One of a kind

Besprochene Ausgabe: ISBN 9781534323865, Image Comics

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

4 Antworten

  1. Avatar von BoomHoschi
    BoomHoschi

    Das nenne ich mal eine Empfehlung!

    Weiß Du, ob eine deutsche Veröffentlichung geplant ist?
    Mein Englisch ist immer noch miserabel 🙁
    Oder meinst Du, man könnte sich den Comic auch mit wenig Englischkenntnissen zu legen?

    Auf jeden Fall, gefällt mir sehr die Umsetzung eines solch schwierigen Themas und ich arbeite schon seit 25 Jahren mit psychisch kranken Menschen, so daß das Thema immer präsent bei mir ist.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das ist eine spannende Frage – ich habe eben mal nachgeschaut und tatsächlich eine Ankündigung gefunden, dass der Comic am 21. Mai auf Deutsch bei Cross Cult erscheint. Das ist dann natürlich prima, wenn du so lange warten kannst

      Könnte man den auch auf Englisch lesen? Hmmm, das kann ich jetzt schwer beantworten. Ich weiß nicht, was du dir so zutraust und ab wann es zu frustrierend ist. Ich habe dafür wenig Ausdauer in Fremdsprachen zu lesen, die ich gefühlt zu wenig beherrsche – das wäre bspw. Französisch bei mir. Aber: ich habe gelernt, dass manche Übersetzungstools OCR machen und instant übersetzen, d.h. du scannst den Text mit der Smartphone-Kamera und siehst auf dem Bildschirm quasi sofort die Übersetzung. Das ist dann u.U. ein Kompromiss. Falls du es sehr dringend lesen willst.

      Das wäre jetzt natürlich mit deiner Erfahrung im Umgang mit psychisch kranken Menschen nochmal von einer ganz anderen Perspektive her spannend.

      1. Avatar von BoomHoschi
        BoomHoschi

        Ich habe Zeit und freue mich auf die deutsche Version!

        Die Übersetzungstools kenne ich, sie sind aktuell sehr präsent bei mir. Habe eine neue Partnerin, die aus der Ukraine stammt und sie nur gebrochen Englisch und kaum Deutsch kann. Da sind die Tools hilfreich, aber für ein ganzes Buch bzw. Comic zu nervig.

        Ich werde Dir, falls ich es dann noch auf dem Schirm habe, Rückmeldung geben, wie ich das Comic fand und, ob es sich ggf. mit der Realität die ich kenne kreuzt.

  2. […] It’s Lonely at the Centre of the Earth … Comic (Einzelband) […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert