Hattet ihr auch schon mal das Gefühl die Arbeit mich nach Hause zu nehmen? Dass irgendwas positives, negatives oder grau-schattiertes passiert ist, dass euch noch nach Feierabend zu denken gibt? Dann wäre es doch ganz attraktiv den Schalter umlegen und das alles vergessen zu können, damit man mit dem Leben abseits der Arbeit weitermachen kann. Wir verbringen ja eh schon viel Zeit unseres Lebens auf Arbeit!? In der US-amerikanischen Serie „Severance“ ist genau das für einige möglich. Und nicht ohne Folgen. Die Besprechung ist spoilerfrei.
„The work is mysterious and important“
Mark Scout (Adam Scott) arbeitet für den Konzern Lumon und hat sich der Severance-Prozedur unterzogen. Das bedeutet, dass er (wie auch seine Kollegen) alles vergisst, was auf Arbeit passiert ist, sobald er das Firmengebäude verlässt. Genauso erinnert er sich nur an die Arbeit, sobald er das Gebäude betritt. Er arbeitet dort u.a. zusammen mit Dylan (Zach Cherry) und Irving (John Turturro). Während Dylan die Arbeit eintönig findet, aber sie routiniert und mit flapsigen Kommentaren erledigt, ist Irving der Dienstälteste und sehr penibel und korrekt.
Eines Tages erreicht das Team die Meldung, dass ihr Kollege Peter (Yul Vazquez) nicht zurückkehren wird und sie ein neues Teammitglied bekommen: Helly (Britt Lower). Die allerdings kann dem Gedanken gar nichts abgewinnen, dass sie die Außenwelt nicht mehr sehen wird. Oder zumindest ihr Teil der Persönlichkeit. Ein Fakt, mit dem sich Mark, Dylan und Irving abgefunden oder nie ganz so betrachtet haben. Als Mark dann heimfährt und seine Erinnerungen an die Arbeit hinter sich lässt, gibt sich ihm ein Mann als sein Kollege Petey/Peter zu erkennen und warnt ihn vor Lumon. Hoax oder Warnsignal?
„Because we’re people, not parts of people“
Soviel darf man verraten: es wird ein Warnsignal. Natürlich ist das aber auch entsprechend schwer für „Outie“-Mark einzusortieren, denn der kennt Peter eigentlich nicht. „Outie“ ist der Serien-Sprech im Originalton für die Teile der Persönlichkeit, die in der Außenwelt wach sind und dort ohne Erinnerungen an die Arbeit ihrem Leben nachgehen. Beste Freunde auf Arbeit (so wie Mark und Peter) würden sich „draußen“ nicht mal erkennen. „Innies“ sind die Teile der Persönlichkeit, die innerhalb der Firma aktiv sind und in Lumon in einem anonymen, fensterlosen Gebäude mit sehr langen, weißen Korridoren und wenig Kontakt zu Menschen arbeiten. Wenn also Innie-Helly befürchtet nie die Außenwelt zu sehen, dann ist das nicht übertrieben. Sie revoltiert dagegen und versucht auszusteigen, was leichter gesagt als getan ist. Denn Outie-Helly hat gar nicht die Absicht zu kündigen.
In der von Dan Erickson geschriebenen Serie führten Ben Stiller und Aoife McArdle Regie und treiben das Absurde von Firmenkultur auf die Spitze. Da gibt es die Führungsetage, die unerreichbar erscheint und man versucht die Laune der Teams mit kleinen Firmenevents und netten Give-Aways für besondere Leistungen hochzuhalten. Was Mark und sein Team arbeiten, beschreibt er einmal als „mysterious and important“. Vor Allem, weil er nicht weiß, warum sie tun, was sie tun.
Dan Erickson schrieb es klar als gebranntes Kind, der einen ätzenden Bürojob hinter sich hat. Das spürt man. Severance zeigt spielerisch und pointiert all die Taktiken auf, die Firmen nutzen, um ihre Mitarbeitenden zu binden und das Gefühl zu vermitteln, dass ihre Aufgabe wichtig ist. Versteht mich nicht falsch: Wir verbringen so viel Zeit unseres Lebens auf Arbeit, da sollte man empfinden, dass die Arbeit nicht sinnlos ist und man sollte gern dort hingehen, wobei Kolleg:innen eine große Rolle spielen. Doch wenn der Arbeitsplatz das nicht hergibt, stumpfe und mühselige Prozesse zu schlechten Konditionen versucht zu übertünchen, dann wirken Giveaways schnell schal und pathetisch. Leider ist das keine seltene Praxis – und ist nicht notwendigerweise nur bei Bürojobs so anzutreffen. Severance greift all diese Absurditäten auf und geht im Folgenden noch einige Schritte weiter. Es zeichnet Lumon quasi als den neunten Kreis der Hölle, in der man sich klar über Menschenrechte hinweg setzt. Nur bis unser Team das merkt …
„But, my friends, the hour is yours“
… vergeht die Zeit für uns auch nicht zu langsam, da wir bei Einstieg in die Serie nichts über Lumon und Severance wissen und auch die Charaktere kennenlernen müssen. Severance ist bis hierhin eine Mystery-Dramaserie, die mit einer angenehmen Mischung aus Real-Life-Verweisen, Andeutungen und Foreshadowing Fragen aufwirft, die wir lösen wollen. Mystery ist ernst zu nehmen. Severance kommt ohne Gore und Blut aus, aber weiß den Horror anders zu vermitteln. Leiser, perfider, mehr zwischen den Zeilen. Es liegt schließlich eine nicht zu verachtende Grausamkeit darin, dass sich Mark außerhalb der Arbeit nicht mal an seinen besten Freund Petey erinnert. Was ist das für ein Leben? Genau das ist die Frage, von der die die Serienschöpfer wollen, dass wir sie uns fragen. Das macht Severance empathisch – und auch auf humanistische Art gruselig.
Was Severance zusätzlich nahbar macht ist natürlich der Take auf Arbeit. Jeder von uns hat schon mal einen Job oder eine Aufgabe gehabt, die uns nicht gerade mit stolz erfüllt hat oder ein toller Arbeitsplatz war, oder? Dazu gesellen sich die vielen Fragen, die Severance aufwirft: Warum schläft Irving so oft ein? Was ist wirklich mit Petey (Peter) passiert und warum ist Hellys „Outie“ so gefühlskalt und verweigert ihr den Ausstieg? Die andere große Qualität von Severance ist das Timing mit der Fragen beantwortet und noch mehr „weirdness“ in die Serie geworfen wird (Stichwort Ziegen). Alle aus Cast & Crew haben sichtlich ihr Handwerk verstanden.
Natürlich kann man sich auch lange genug daran aufhängen, ob der Grundgedanke an Severance auch etwas positives hat. Für hochsicherheitsrelevante Jobs, sicherlich. Aber wie entwickelt man sich weiter, wenn einem ein Teil der Persönlichkeit fehlt? Das wichtige Feedback, das ich auf Arbeit bekommen habe und das mich persönlich weiterbringt, hätte mein „Outie“-Ich nie erhalten. Ehe man sich versieht wächst außerdem das Motiv. Sieht man Severance anfangs v.A. als Abgesang auf schale Firmenkultur-Mechanismen, geht es irgendwann um das Beschneiden von Rechten wie der Entscheidungsfreiheit und gar als Kritik auf Klassengesellschaft – wenn man das möchte.
Das alles hat schon viel zu bieten inklusive der Frage aller Fragen: was zur Hölle machen die wirklich bei Lumon? Und wen das nicht bei Laune hält, dann wohl das Schicksal der Charaktere, die in der ersten Staffeln schon eine außerordentliche Entwicklung hinlegen. Man fiebert mit Helly mit und bangt wie weit sie noch bereit ist zu gehen, um entlassen zu werden. Die Dynamik zwischen Irving und Burt (Christopher Walken) kanalisiert, was uns an Büro-Serien bindet: Workplace Friendship und Office Romance. Marks Geschichte oder auch die hartnäckige Anhänglichkeit seiner Chefin, gespielt von Patricia Arquette lässt noch viele Fragen für die zweite Staffel offen. Nachdem wir solange Teil dieses seltsamen Lumon-Kosmos waren, lässt uns das atemlos spannende Finale einen Blick über die Firmenmauern hinweg werfen und mich die zweite Staffel so hart erwarten wie schon lange bei keiner anderen Serie mehr. (10/10)
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Großer Nachteil ist natürlich, dass die Serie exklusiv auf Apple TV verfügbar ist. 🙄 Es ist eigentlich ein guter Hinweis auf den Ton der Serie, dass in dieser Besprechung zwei Mal das Wort „Hölle“ auftaucht… kennt ihr „Severance“? Wie hat sie euch gefallen und was sind eure Theorien über Lumon?
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