Manchmal bin ich Social Media auch dankbar. Dankbar, dass die Bekanntgabe von „Ripley“ so gefeiert wurde. Sonst wäre noch glatt an mir vorbeigegangen, dass Andrew Scott eine weitere Inkarnation der prominenten Figur Tom Ripley geben würde. Das ist perfekt! Ich meine… der Mann ist auch Moriarty und der Hot Priest, wenn das nicht eine passende Fortsetzung seiner Filmografie ist, dann weiß ich auch nicht. Es gibt aber noch viel mehr Gründe, um an „Ripley“ Spaß zu haben. Die Besprechung ist spoilerfrei.
Tom, Thomas, maybe Dickie, but not Tommy
Tom Ripley (Andrew Scott) schlägt sich in New York als Trickbetrüger durch. Die Geschäfte laufen aber nicht besonders gut. Wie passend, dass gerade jetzt der wohlhabende Herbert Greenleaf (Kenneth Lonergan) mit einer Bitte an ihn herantritt. Sein Spross Richard „Dickie“ Greenleaf (Johnny Flynn) hat sich nach Italien abgesetzt und lebt dort das schöne Leben aus Daddys Tasche. Der alte Greenleaf hält Tom (fälschlicherweise?) für einen alten Schulfreund Dickies und bittet ihn nach Italien zu reisen und Dickie dazu zu bringen nach Hause zu kommen. Tom, der nur Armut kennengelernt hat, kann sein Glück kaum fassen und nimmt den Job an. In Italien angekommen, kann er Dickie so einigermaßen, seine Freundin Marge (Dakota Fanning) schon eher weniger für sich gewinnen. Sie laden ihn ein mit sich zu leben und es beginnt ein Katz-und-Maus, an dessen Ende Mord und Identitätsdiebstahl stehen.
War das zu viel verraten? Ich denke nicht. Der Trickbetrüger ist spätestens seit Der talentierte Mr. Ripley mit Matt Damon hinlänglich bekannt. Sowohl die Serie als auch diese Adaption basieren auf einem Roman Patricia Highsmiths. Etwas weniger bekannt ist vielleicht, dass Highsmith sogar fünf Ripley-Romane schrieb und auch einige andere davon mit wechselnden Darstellern verfilmt wurden. Einer davon übrigens mit John Malkovich als Ripley, der hier eine Nebenrolle spielt. Das Alleinstellungsmerkmal der Serie dürfte aber wohl die Tonalität sein. Dass Ripley von Anfang an Noir Vibes versprüht, liegt nicht nur am Schwarzweißlook, sondern der Stimmung an sich. Zu Beginn spürt Tom wie sich langsam in New York die Schlinge um seinen Hals legt. Er schaut sich in den schummrigen Gassen oft um und hat das Gefühl verfolgt zu werden. Ein Gefühl, dass sich auch in Italien transportiert, wenn auch auf andere Weise.
Die Banalität des Bösen
Kaum, dass er in Atrani in Italien angekommen ist, geben ihm alle um ihn herum das Gefühl, das er nicht dazugehört. Nicht den Stil hat, nicht die Sprache spricht, ein bisschen zu hart versucht zu gefallen. Die ihm entgegengebrachte, unterschwellige Abschätzigkeit spürt er. Andrew Scott vermittelt mit Leichtigkeit, dass Ripley ein Hochstapler ist, aber es nicht mag sich auch wie einer zu fühlen. Daneben schwingt immer mit, dass er die Mittel und die Macht hat das Blatt zu wenden. Anfangs mit einem Fragezeichen, später mit einem Ausrufezeichen.
Dabei sind die Spiegelbilder Dickies und Toms spannend zu betrachten. Es ist nicht nur der Klassenunterschied, sondern ihre ganze Sozialisierung, die aus ihnen spricht. Dickie als der in Reichtum geborene, dessen Eltern ihn händeringend wieder bei sich wissen wollen steht im Kontrast zu Tom. Der hat als Waise niemanden, der sich um ihn sorgt und kennt einen Lebensstil wie den Dickies nur aus Büchern und Zeitschriften. Es ist aber auch die „gefühlte“ Klasse, mit der andere Tom anhand seines Auftretens bewerten, nicht mal wegen des Inhalts seines Portemonnaies. Geschmack, Stil, Bildung, Berufung.
Und dann ist da noch das, was alle vermuten und was Ripley nie abstreitet, aber auch nie bejaht. Dass er in Dickie verliebt ist. Erneut lehnen sie ihn ab – stellen ihren Lebensstil über seinen. Rechtfertigt das aber Mord? Moralisch – nein. Das clevere und perfide an der Serie Ripley ist, dass Tom so nahbar ist und wir uns in Sympathy with the Devil wiederfinden und mit einer Art Neugier beobachten, ob sich in dieser Version der Geschichte die Leute bewusst werden, dass Tom gar nicht so unschuldig und naiv ist. Oder ob Ripley in dieser Version auffliegt?
Die Banalität der Banalität
Drehbuchautor und hier auch Regisseur Steven Zaillian hat tatsächlich einen anderen Ansatz gewählt. Deutlicher als in anderen Adaptionen hat Ripley hier kann schön zu kämpfen. Er lässt Andrew Scott als Tom Ripley mühevoll die vielen Treppen Atranis hochsteigen, sich vielleicht von einem Kofferträger ausnehmen und mit Abschätzigkeiten konfrontieren. Vielleicht sind die mühevollen Treppenaufstiege aber auch Toms Aufstieg in der Gesellschaft. Bis dahin gibt es noch einige Klippen, an denen Ripley zu zerschellen droht. War Ripley vs. die Treppen schon ein Schauspiel, ist Ripley vs. das Boot schon fast eine Tragödie und Ripley vs. der Fahrstuhl nochmal eine herbe Prüfung. Man könnte denken, dass Ripley vielleicht doch kein Talent zum Morden hat. Viel mehr ist es aber so, dass Zaillian Mord als das darstellt, was es ist: eine schmutzige, schwierige, mühselige, folgenschwere Angelegenheit. Und da es so schwierig ist, gibt es Zuschauenden in ihrer Sympathie mit dem „Aufsteiger“ Ripley viel Anlass, um zu bangen, abzuwarten, zu sehen, ob sie ihn doch erwischen.
Denn so viel steht fest: Ripleys Spurenverwischen würde CSI nicht standhalten und in Zeiten von Social Media hätte er spätestens dann ein Problem, wenn Dickie gern und oft seinen Lifestyle auf Instagram zeigt und sein Gesicht in die Kamera halten würde. Es ist sehr Mitte 20. Jahrhundert. Und damit auch sehr Noir. Und beides geht wunderbar einher. Am Ende haben wir diesen Ripley vielleicht doch unterschätzt. Genauso wie alle anderen. Es ist wunderbar zu sehen wie die Marotten, die sich die Reichen und Begünstigten erlauben können, in denen sie aber nicht oder nur mit Einsatz vieler Mittel brillieren. Man nehme nur Dickies Malerei oder Marges offenbar nicht besonders inspiriertes Schreiben. Da ist sie – die Banalität der Banalität. Pinsel kaufen von Papas Geld? Kann jeder. Ripleys Kritiker:innen sind selber nur nicht an ihre Kritiker:innen geraten.
Eine kleine Note, die mir fehlt ist die eigentliche Tragödie der Figur Tom Ripley. Zwar ist das Ende der Serie phänomenal, aber das große Dilemma seiner Person bekam hier noch wenig Raum. Denn wo er Identitäten stiehlt, wie soll er zu seiner eigenen finden? Ist Ripley vor sich selbst closeted und dazu verdammt das zu bleiben? Offenbar sehnt er sich nach der Person, die ihn sieht als das was er ist. Es gibt jedenfalls (mindestens) eine höllische gute Szene Andrew Scotts, in der ihm ins Gesicht geschrieben steht, wie sehr er sich danach sehnt. (S. Song unten) Aber wie soll er dahinkommen? Ich hoffe auf weitere Staffeln, die uns helfen dieses Kapitel oder zumindest weitere aus Highsmiths Romanen zu entdecken. (9/10)
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Ist das Andrew Scotts Jahr? Vielleicht. Wenn ich das sage, denke ich da neben Ripley v.A. auch an den wunderbaren Film All of us Strangers. Streng genommen erschien der aber schon letztes Jahr. Glücklicherweise ist er inzwischen auch im Programm der Streamingplattformen in Deutschland erschienen. Falls ihr den also im Kino verpasst habt, lege ich euch den sehr ans Herz. Nur soviel sollte klar sein (oder die Besprechung verraten): der hat eine ganz andere Tonalität als Ripley. Wie hat euch Ripley gefallen?
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