Im September ist der Fantastische Film immer einer meiner Lieblingsfilme aller Zeiten. Bei diesem hier handelt es sich um eine scheinbar vergessene Adaption eines Romans von Haruki Murakami. Die Idee zu Tony Takitani entlieh er wohl einem Shirt. Der von Jun Ichikawa adaptierte Film ist erfrischend anders als alles was ich bis dahin gesehen habe und fühlt sich ein wenig an wie die Begegnung mit dem auktorialen Erzähler eines Buches. Nur mit Bild. Wir lernen unseren Titelhelden Tony Takitani als Jungen kennen und erleben die bewegte Lebensgeschichte seines Vaters, dass seine Mutter früh starb und Einsamkeit seit jeher eine Konstante in seinem Leben war. Plus das Gefühl der Entfremdung von seinen Mitmenschen, die ihn schon alleine wegen seines amerikanisch klingenden Vornamens wie einen Aussätzigen beäugen. Dann begegnet der erwachsene Tony (Issei Ogata) einer jungen Frau namens Eiko (Rie Miyazawa), die ihn vielleicht von seiner Einsamkeit erlöst. Was sie an Introspektion vorschießt, ist beeindruckend. Ihr würde etwas fehlen, weswegen sie ungemein viele Klamotten kauft.
Der nachfolgende Edit enthält ab Minute 3 Spoiler
Anders präsentiert könnte das der Beginn einer RomCom mit einem ulkigen Klamotten-Fetisch sein. Tatsächlich ist Tony Takitani aber alles andere als das. Viel mehr ist er sehr artsy, aber dabei unaufdringlich. Das liegt v.A. daran, dass die Erzählform komplett anders ist als vieles was man kennt. Ein Erzähler kommentiert alles recht nüchtern und sachlich aus dem Off. Die Personen selber reden mal im Hintergrund oder füllen mit einzelnen Sätzen oder Wortgruppen die Lücken, die der Erzähler lässt. Sie transportieren entsprechend viel über Körpersprache und Atmosphäre der Szenengestaltung. Es ist als ob wir neben dem Erzähler stehen und ihnen zusehen würden. Nur, dass der Erzähler auch weiß wie sie sich fühlen und was ihre Traumata sind.
Tony ist einsam und füllt die Lücke durch einen Menschen. Seine Freundin und spätere Frau Eiko füllt eine Lücke innerhalb ihres Selbst mit Klamotten. Seine Einsamkeit wird durch viele Momente ausgedrückt, in denen er still reflektierend irgendwo sitzt. Ihre Rastlosigkeit durch Detailaufnahmen ihrer Füße, die ruhelos in ständig wechselnden, schönen Designerschuhen umherstolzieren, daneben trägt sie Tüten aus Designerläden heraus. Begleitet wird das von wunderbaren, melancholischen Piano-Kompositionen Ryūichi Sakamotos und eher künstlich ungesättigten Bildern.
Durch die vielen Totalen auf die Charaktere und den Abstand, der zwischen Zuschauenden und Figuren erstellt wird, ist die Atmosphäre nachdenklich, nicht fröhlich, aber auch nicht zu schwermütig. Das Symbolhafte, unaufgeregte Drama und ungewöhnliche der Situationen fühlt sich sehr nach Murakami an. Es ist ein sehr runder und stilistisch interessanter Film über dass was uns Menschen fehlt. Issei Ogata spielt neben Tony auch noch dessen Vater. Vielleicht ist er der Teil, der Tony fehlte? Auch Rie Miyazawa spielt eine zweite Figur in dem Film. Die perfekte Metapher auf das, was Eiko fehlt?
Tony Takitani (OT: トニー滝谷 „Toni Takitani“), Japan, 2004, Jun Ichikawa, 76 min
Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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