Die erste Season der Serienadaption von Anne Rices „Interview with the Vampire“ landete in meinen Top 10 Serien 2023. Und weil loben Spaß macht: die zweite Staffel wird es sicherlich auch 2024 in die Liste schaffen. 😊In der Besprechung lassen sich Spoiler für die erste Staffel nicht vermeiden.
„The love of my life“
Nach der großen Offenbarung am Ende der ersten Staffel, waren Zuschauende gehyped und im Serienkanon Daniel Molloy (Eric Bogosian) einigermaßen überrascht. Louis‘ Angestellter Rashid entpuppt sich in als der Vampir Armand (Assad Zaman), den Louis (Jacob Anderson) als „die Liebe seines Lebens“ vorstellt. Es gibt dementsprechend noch jede Menge zu erzählen in diesem „Interview with the Vampires“. Armand ist Molloy gegenüber nicht feindlich gesinnt und beginnt sogar hier und da die Erzählung mit seiner Sichtweise zu ergänzen. Die Handlung setzt sich fort. Nachdem sich Louis und Claudia (Delainey Hayles) Lestats (Sam Reid) (vorerst) entledigt haben, gehen sie ihrem großen Wunsch nach: die Vampire Europas zu suchen. Der angeblichen Wiege der Unsterblichen oder zumindest von den ältesten Vampiren, von denen sie wissen.
Europa wiederum versinkt in Kriegswirren, Chaos, Brutalität und Abgestumpftheit. Mal ist es Louis und Claudias Hautfarbe, die Grenzkontrollen und Wachen aufmerksam macht, mal ihr Akzent. Im Zweifelsfall kommen sie aber immer weiter. Das Blut schmeckt nicht, denn die Menschen sind verzweifelt und unterernährt. Ihre Spurensuche ist bedingt durch die Umstände eine große Enttäuschung. So beschließen sie nach Paris zu gehen und erleben (mit viel Geduld und ihnen gegebener Zeit) den Aufschwung. Ihr Auftauchen bleibt nicht unbemerkt. Der Vampirzirkel („Coven“) in Paris rund um „Maître“ Armand erwartet eigentlich, dass sie sich vorstellen. Da sie darüber nichts wissen, nimmt er das selber in die Hand. Was folgt ist eine Geschichte voll Liebe, Leidenschaft, Verrat und Selbstfindung.
„I don’t like windows when they’re closed“
Louis und Claudia wissen als relativ „junge“ Vampire nichts über die fünf großen Regeln der Vampire oder darüber, dass man beim lokalen Zirkel vorstellig wird. Sie scheinen zudem Lestat nicht abschütteln zu können als sich herausstellt, dass er selbst einmal Teil des Zirkels war und den, nun ja, musisch inspiriert hat. Denn seitdem leben die sozusagen „hidden in plain sight“ als Theaterkompanie und ihr Programm spezialisiert sich auf: Vampirgeschichten. Ein doppelter Fake sozusagen. Für Claudia erfüllt sich ein Wunsch. Sie erfährt hier so viel über das Leben der Vampire und bekommt das Zugehörigkeitsgefühl, das sie sich lange wünschte. Wie sich aber schon bald herausstellt hat alles einen Haken und ein Zirkel bietet auch nicht die Freiheit, die sich Beide für ihr Leben nach Lestat wünschten.
Nach Bailey Bass übernahm Delainey Hayles die Rolle der Claudia und steht ihrer Vorgängerin in nichts nach. Der Tausch einer Hauptrollenbesetzung kann in vielerlei Hinsicht schmerzhaft für eine Serie sein. Fällt hier aber nur unangenehm auf, wenn man beide Staffeln direkt nacheinander schaut. Apropos erste Staffel – natürlich drängt sich die ganze Zeit die Frage auf, ob Lestat wiederkommt. Für Louis ist er eigentlich nie richtig weg. Er ist sein Schöpfer, er hat ihn geprägt, in mancherlei Hinsicht befreit und ruiniert. Er ist durch sein Blut ein Teil von ihm geworden und durch die Schöpfer-Verbindung auch (leider) in Louis‘ Kopf. So tritt Lestat dann als unsichtbarer Beobachter auf und kommentiert das Geschehen, vor Allem Louis‘ langsam aufblühende Anziehung zu Armand. Ob Lestat aber Louis und Claudia physisch wiedertrifft? Wird hier nicht verraten.
„Come to me“
Wäre es nur das, wovon die Staffel lebt, dann: ok, dann wäre es für alle die weder Bücher, noch den Filme kennen, wenig. Dass die Situation um die neue Familie der Beiden blutig eskaliert muss man als Teaser hinnehmen. Man ist vielleicht eher am Haken, wenn man nun wissen will wie Armand ins Spiel kam und ob Lestat wiederkommt. Die Darstellung queerer Beziehungen und Leben intersektionaler Personen im Angesicht von Unsterblichkeit hat nach wie vor Appeal. Vor Allem wenn man bedenkt wie schonungslos die Serie märchenhafte Bilder von fehlerfreier queerer Repräsentation aushebelt. Interview with the Vampire traut sich zu adressieren, dass es Beziehungen gibt, die nicht gut tun und wie lange es dauert die zu lösen. Dass es auch in queeren Beziehung Verrat, Fremdgehen und toxische Verbindungen gibt. Und dass diese Themen vor dem Angesicht von Unsterblichkeit ein fieses, schreckliches Ausmaß annehmen können, was das Fassungsvermögen Sterblicher triggert, aber auch gerade deswegen so emotional ist. Die Staffel wird gegen Ende unaushaltbar spannend und binge-worthy. Denn auch Daniel Molloy erinnert sich an Dinge, die mit dem was Louis und Armand erzählen nicht zusammenzupassen scheint.
In punkto wie ansprechend ist die Staffel gefilmt und wie on point ist das Drehbuch legt Interview with the Vampire verglichen zur ersten Staffel nochmal deutlich zu. Die Oneliner, Dialoge, Parallelen und Charakterentwicklung sind ein Gedicht. Man wünscht sich nur, dass die ersten Episoden auch so viel Spannungspotential hätten wie die letzte Hälfte der Staffel. Ansonsten ist die zweite Season eine Augenweide und ebenso etwas für die Ohren. Sie geht erste Schritte in Richtung Nachkriegszeit, Moderne und Jazz. Sie adressiert die Gräuel des zweiten Weltkriegs und streut einige spannende Fakten über Vampire in Europa ein. Vor Allem hat sie ein unfassbar gutes Timing. Egal, ob es ein slight comic relief ist („Siri. Stop.“) oder wenn Louis auf seine eigene Vergangenheit in New Orleans trifft – oder was die Leute aus der Geschichte nach etlichen Jahrzehnten machen. Vor Allem schafft sie ein hochemotionales Ende im Stile einer Katharsis, die vor Nichts geringerem als der Kulisse eines Hurrikans endet. Fast jedenfalls. Denn das viel bessere Ende ist vielleicht wie sich Louis als intersektionaler Charakter nach allem was er durchgemacht hat am Ende selbst findet. (9/10)
Als Teil des Immortal Universe gibt es übrigens eine Erwähnung der „Talamasca“, das mir ohne Recherche nichts sagte, aber auch Teil eines eigenen Serienablegers wird. Darüber hinaus wurde eine dritte Staffel von „Interview with the Vampire“ angekündigt, die einen spannenden Teaser bekommen hat. 😉 Enthält leider massive Spoiler. Während die Medien und Blogs (auch ich) von der ersten Season noch als „beste Serie, die niemand gesehen hat“ sprachen, kann man die zweite Staffel hierzulande erfreulicherweise schon auf etwas mehr Streamingplattformen schauen. Aber da ginge sicherlich noch mehr. Wenn ihr die Gelegenheit habt, ist sie jedenfalls ein großer Tipp. Kennt ihr die Staffel vielleicht schon?
Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei.
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