Zwar habt ihr noch bis November 2025 Zeit, um „Oderbruch“ in der ARD Mediathek anzuschauen, aber ich möchte dieses Mal nicht auf den letzten Drücker empfehlen. 😉 Außerdem war „Oderbruch“ dann doch sehr passend für den gerade an uns vorübergezogenen Horrorctober. Die Review ist spoilerfrei.
Heimatbesuche hat sich Kommissar Roland Voit (Felix Kramer) anders vorgestellt. In der Umgebung seines Heimatorts Krewlow wurde ein enormer Berg an Leichen und Tierkadavern gefunden. Kein Wunder, dass niemand an natürliche Tode denkt – das ist menschengemacht und zudem über einen langen Zeitraum. Treibt ein Serienkiller sein Unwesen in der Gegend? Die Ermittlungen erfolgen in deutsch-polnischer Zusammenarbeit, weswegen ihm der polnische Kollege Stanisław Zajak (Lucas Gregorowicz) zur Seite gestellt wird. Der Fall wird aber immer grausiger als bekannt wird, dass den Leichen komplett das Blut fehlt. Alles was die Ermittelnden von den Anwohnern bekommen ist Schweigen. Das ruft im Umkehrschluss deren Kinder auf den Plan, weswegen auch die mit ihren Eltern zerstrittene Magdalena „Maggie“ Kring (Karoline Schuch) nach Krewlow zitiert wird. Roland und sie haben eine gemeinsame Vergangenheit, vor Allem aber reißt der grausige Fund noch ganz andere Wunden auf.
Was danach kommt ist ein genreübergreifender Mix aus Krimi, Mystery und einem Tick Drama. Denn was wollen wir mit Serien ohne nahbare Hauptfiguren? Die gibt es hier reichlich. Sowohl die Vergangenheit von Maggie und Roland, ihr Aufwachsen in der Region und die Nachkriegswehen, gewalttätige Eltern und Maggies Bemühungen um ihren Bruder Kai (Julius Gause) spielen eine große Rolle, nehmen gar irgendwann die Hauptrolle ein. Osteuropäische Folklore und ein mysteriöses Waisenhaus, in das die Teenagerin Ilona (Nicola Magdalena Lüders) geschickt wird, sind anfangs noch schwer zuordenbar, aber greifen irgendwann sehr gut ineinander. Es gilt viele Puzzleteile zusammenzusetzen und das tut Oderbruch mit einer fantastisch abgestimmten Menge von Hinweisen und Spuren.
Obwohl es einen deutlichen Wink in die Richtung Mystery und Fantasy gibt, verstehen sich die Serienmacher Arend Remmers, Adolfo Kolmerer und Christian Alvart darauf nach Drehbüchern von Remmers, Alvart, Martin Behnke und Ronny Schalk stets das kriminalistische, realistische im Vordergrund zu halten, sodass selbst viele derjenigen zufrieden sein werden, die nichts mit Mystery-, Horror- oder Fantasy-Aspekten anfangen können. Nur auf ein Trope hätten sie dabei gern verzichten können: die starken Filter. Ein bisschen Sepia für die Rückblicke, ein bisschen Grau, um die Stimmung der Ermittlungen in Krewlow oder im Waisenhaus noch bedrückender zu machen. Das ist doch schon sehr bekannt und zu oft gesehen, sicherlich verfehlt es aber nicht seine Wirkung.
Oderbruch zu schauen hatte dann doch auch einen Tick persönliches. In letzter Zeit erfreut sich der Osten Deutschlands als Schauplatz einiger Aufmerksamkeit. Das kann gut ausgehen wie in Schneller als die Angst (spielt in Sachsen-Anhalt) oder nach hinten losgehen wie in Lauchhammer (spielt in Brandenburg). Ist meine Heimat Brandenburg involviert, dann schaue ich nicht weg. Oderbruch schafft es aber etwas eigenes zu sein, den Handlungsort nicht als Milieu darzustellen und trotzdem seine Geschichte mit einzubinden. Gedreht wurde allerdings leider nicht in Brandenburg, sondern u.a. in Polen und im sächsischen Görlitz, das ja seither sehr oft und gern als Schauplatz für Film und Fernsehen genutzt wird.
Ein paar Ungenauigkeiten gibt es dann doch in Oderbruch, die aber zumindest für meine Bewertung nicht weiter ins Gewicht fallen und für das Erzählerische schon gar nicht. Zum Einen liegt das Gebiet Oderbruch in Brandenburg. Wer in Folge 1 (s. Ortseingangsschild) genau hinschaut, sieht aber, dass der fiktive Ort Krewlow in Mecklenburg-Vorpommern liegt. Gut, das ist im Zweifelsfall und wenn die Überflutung der Oder eine Rolle spielen soll, wohl nicht so abwegig. Bei dem erwähnten Oderhochwasser 1997 kamen übrigens anders als in der Serie erwähnt keine Menschen in Deutschland ums Leben, sehr wohl aber in den angrenzenden Ländern. Einerseits ist es erfrischend, dass eine Serie nicht alle Konflikte einer Zeit und eines Landstrichs verarbeiten muss oder will, wenn man doch eine eigene Geschichte zu erzählen hat. Andererseits ist es auch etwas schade, dass das Oderhochwasser ein Teil der Serie ist, aber so wenig in Wort und Bild erwähnt wird. Für den Vorspann hat es gereicht!?
Auch aus der ab und zu gespannten Ost-West-Nachwende-Beziehung macht die Serie nichts. Ich erinnere mich noch wie empört meine Eltern waren als eine Medienperson 1997 im Fernsehen während des Hochwassers flötete „der Osten wird geflutet“. Hier stellt sich natürlich die Frage: muss sie aber? Das mögen zwar vertane Chancen sein oder die Flutkatastrophe zum atmosphärischen Mittel zum Zweck machen, aber andererseits kann man nicht alles in 8 Folgen gleichermaßen behandeln und zweitens ist schon alleine zu erinnern, was die Landstriche und Menschen alles durchgestanden haben viel Wert. (9/10)
Was übrigens ein ganz eigener Wert ist: von allen Twists, die „Oderbruch“ so zu bieten hat (und das sind ein paar), habe ich nur zwei erahnen können. Die Serie ist ein großartiges Beispiel für eine deutsche Serienproduktion und der Stoff, von dem ich gern (noch) mehr hätte. Dass sie allerdings in einer Staffel endet, würde mir trotz des dramatischen Endes ausreichen. In manchen Filmblogs oder Lokalnachrichten finden sich Aussagen, dass eine zweite Staffel entschieden sei – nur fehlt mir hier die offizielle Pressemeldung. Wie siehts bei euch aus? Habt ihr „Oderbruch“ schon gesehen und wenn ja, braucht ihr eine zweite Staffel?
Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei.
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