Anime-Besprechung: „Wonder Egg Priority“

„Wonder Egg Priority“ ist ein Anime aus dem Jahr 2021, der in wenigen „Best Anime of the Year“-Listen auftauchte, aber bei Weitem nicht so viel Buzz wie andere Serien erzeugte. Dabei schien die Animation erstklassig und die Story spannend. Ich sollte noch lernen, woran es liegt, das über Wonder Egg Priority so viel geschwiegen wird. Was es nicht zu einem schlechten Anime macht. Er ist trotzdem einer der besten und spannendsten, die ich gesehen habe. Die Besprechung ist spoilerfrei. TW/CW: Suizid, Mobbing.

Magical-Girl-Slasher-Action

Wonder Egg Priority beginnt mit der Schülerin Ai, die sich schon seit einer Weile zuhause verschanzt und nicht mehr zur Schule geht. Wir erfahren nach und nach, dass der Grund dafür der Selbstmord ihrer besten Freundin Koito und das Mobbing in der Schule ist. Ai gibt sich die Schuld an Koitos Tod. Wenn Ai nun doch mal das Haus verlässt, dann am liebsten, wenn es niemand mitbekommt. So stolpert sie über ein „Wonder Egg“ und bekommt von einer mysteriösen Stimme die Aufforderung das Ei zu ihrer „Priorität“ zu machen – es zu beschützen. Oder viel mehr das Mädchen darin. Denn kaum, dass Ai neugierig wird, überschlagen sich die Ereignisse. Das Ei bricht, daraus schlüpft ein Mädchen und es wird von fiesen Wesen verfolgt, gegen die Ai antreten soll. Das ist viel.

WONDER EGG PRIORITY | Offizieller Trailer, Wakanim DE, Youtube

Müsste ich Wonder Egg Priority in kurz beschreiben (TLDR;), dann würde ich sagen: es ist ein genialer Take auf das Magical Girl Genre, gepaart mit krassen, realweltlichen Problemen und einem Hauch Slasher-Anleihen in knallbunt. Magical Girl: ja, irgendwo mutet es schon so an wie Ai und später auch drei andere Protagonistinnen versuchen die Mädchen zu beschützen. Nur ist es anders und anders smart umgesetzt. Ai und die anderen werden für die Dauer des Kampfes in eine Art Traumwelt befördert, die mit ihrem persönlichen Trauma zutun haben. Für Ai findet der Kampf stets in einem Schulgebäude statt. Ihr Anreiz ist, dass ihnen versprochen wird, dass wenn sie kämpfen, ihre verlorenen Freundinnen wieder lebendig werden – zum Beispiel Ais Freundin Koito. Eine Chance die Schuld der Vergangenheit aus der Welt zu schaffen? Die Uhr zurückzudrehen? Als Kampfmittel dienen Ai & Co. dabei Gegenstände aus der Realität, die plötzlich komplett overpowered sind so wie sie selbst in der Parallelwelt. Oder was haben wir gedacht wie Magical Girls all die Kämpfe überstehen? 🤜🤛 Ich liebe es. Aber sie brauchen das auch, denn die Gegner:innen stehen ihnen in nichts nach.

Rettet Mädchen!

Die Mädchen, die aus den „Wonder Eggs“ schlüpfen, sind stets welche, die offenbar auch Suizid begangen haben. Wir erfahren während des Kampfes oftmals ihre Gründe und die haben es in sich: sexueller Missbrauch, psychische Folter, religiöser Fanatismus. Es ist eine gefährliche Welt für Kinder. Eigentlich nicht nur für Mädchen – alle diese Themen gehen alle an. Aber die Repressalien unter denen die Mädchen leiden, kommen mir bekannt vor. Ihre Peiniger treten oftmals in besonders grotesker Form als „Final Boss“ in der Traumwelt auf. Der Kampf ist eine Art Aufarbeitung für die Mädchen, bevor sie „weiterziehen“ können und für Ai, die ihre Rolle in Koitos Tod hinterfragt.

Wonder Egg Priority zeichnet ein sehr vielseitiges Bild von den Problemen, denen Jugendliche begegnen. Auch gemessen an Ais Mitstreiterinnen wie „Girl Boss“ und Genie Neiru, dem Ex-Starlet Rika und der burschikosen Momoe, die mit Geschlechterbildern hadert. Selten hat ein Anime überhaupt schwere Themen in so einer Frequenz angepackt oder sich gar bemüht einer Transperson mal fünf Minuten Aufmerksam zu schenken. Zumindest auf die Masse an Anime gesehen – Ausnahmen bestätigen die Regeln.

Wonder Egg Priority is Pretty Amazing (Fight Scenes), inchhh, Youtube

Was für sie alle eine große Linderung wird ist ihre Gemeinschaft. Ihre Erlebnisse zu teilen und tatsächlich den Kampf (auch im übertragenen Sinne) gemeinsam zu kämpfen. Die Rolle der Erwachsenen darin reicht von schamlosen Täter:innen, selbst verloren gegangenen Individuen wie Rikas Mutter bis hin zu schwer zu greifenden Figuren wie den Lehrer Ais bis hin zu herzensguten und bemühten wie Ais Mutter. Wonder Egg Priority handelt auch davon wie sich Teenager:innen in dieser Welt und zwischen diesen Herausforderungen navigieren und ist eben auch ein Anime von Freundinnenschaft. Allerdings bekommen die Mädchen auch Anlass die „Wonder Eggs“ und ihre Kämpfe zu hinterfragen, was eine recht spannende Hintergrundstory eröffnet, die nur leider auf sehr schwierige Weise beendet wird.

Der Anime litt offenbar unter Problemen während der Produktion. Man kann hier und da nachlesen, dass Episoden nur um Haaresbreite vor Veröffentlichung fertig wurden, manche verschoben werden mussten und tatsächlich bekommen wir gleich nicht nur einmal, sondern zwei Mal eine Art Recap-Episode, wo man sich doch eigentlich darauf gefreut hatte zu erfahren wie es weitergeht. Warum wurde 2021 und in den darauffolgenden Jahren nun so wenig über Wonder Egg Priority gesprochen? Weil es Empörungen über das Finale gab und es von manchen gar als Bruchlandung gesehen wird. Googelt ihr heute den Anime, dann wird fast nur darüber gesprochen – was naheliegend, aber auch irgendwie unfair ist.

Das Dilemma mit dem Finale

Die Recap-Episode in der Mitte der ohnehin nur 13 Episoden langen Serie kann man noch als „Guten Willen“ verstehen alle Geschehnisse wieder einsortieren zu können. Aber auch die letzte Episode beginnt mit einem Recap und lässt am Ende einige Fragen offen. Was andere Aspekte betrifft, bietet uns Wonder Egg Priority schon Antworten wie beispielsweise auf die Frage, ob denn nun die verlorenen Freundinnen wirklich wieder lebendig werden, wenn Ai & Co. genug Kämpfe bestreiten? Wäre das nicht der Fall, hätten wir auch ein Problem, denn der Anime scheint abgeschlossen zu sein. Zumindest redet niemand von einer Fortsetzung. Dass das Finale uns nochmal vor einiges unbeantwortetes stellt, fällt für mich aber tatsächlich weniger ins Gewicht als das Abweichen von seiner bisherigen Route.

Kurz vor dem Finale wird nochmal eine Hintergrundstory eröffnet, die von der Schuld der Täter:innen abkehrt und „eine höhere Macht“ als Anlass nimmt, dass sich so viele Mädchen das Leben nehmen. Das erscheint mir leider als eine Aufweichung der bisherigen Storyline des Anime und als unwillkommene Richtungsänderung. Liest man ein bisschen nach (s. verlinkte Quellen oben), kann man das sehr leicht auf die verworrene Produktionsgeschichte, Zeitmangel oder mangelnde Erfahrung des Teams und eventuell auch pandemiebedingte Probleme während des Werdungsprozesses zurückführen.

Trotzdem ist Wonder Egg Priority nicht nur fantastisch animiert, sondern erzählt auch Geschichten, die sich viel zu wenige trauen zu berühren und die für ein Publikum egal welchen Alters geeignet sind. Trotz oder gerade wegen der harten Themen. Denn Wonder Egg Priority schafft eines: diese durch den (dennoch unverkitschten) Magical Girl Aspekt nie zu hart werden zu lassen und eröffnet so die Chance, dass diese Botschaften ein breites Publikum erreichen. Auch wenn das Finale und manche Entscheidungen gegen Ende polarisieren, ist das der wohl wichtigste Spagat des Anime, der ihn auch so unfassbar gut macht. (9/10)

Sternchen-9
Redebedarf zum Finale und der Backstory – enthält Spoiler

Ja wie oben schon erwähnt habe ich schon noch Redebedarf. Das Finale ist für mich gar kein so großer Fail. Dass unsere Protagonistinnen quasi in einer anderen Dimension oder Zeitlinie enden, in der ihre Freundinnen wieder lebendig sind, aber möglicherweise nicht ihre Freundinnen, ergibt für mich sogar sehr viel Sinn. Sie werden eben nicht lebendig, sondern stattdessen werden Ai, Rika & Co. Teil einer Realität, in der alles anders verlief. Ebenso ist denke ich Ais Begegnung mit sich selbst aus einer solchen anderen Zeitlinie wichtig, denn hier wird die Reise von „Survivors Guilt“ zu „Selbstliebe“ klar. Was mir an WEPs letzten Episoden aber deutlich saurer aufgestoßen ist, ist der Charakter der „Frill“. Einer weiblichen KI bzw. eines künstlichen Menschen in Mädchengestalt, die am Ende Schuld an all den Toden sein soll? Bzw. die die Traumata von Mädchen ausnutzt, um sie zum Selbstmord zu bewegen? Das ist ein Schlag ins Gesicht all der Opfer und ihrer sehr realen Probleme. Am Ende ist WEP aber so offen, dass ich mir Mühe gebe mir das hinzuerklären und „Frill“ eben als „eine weitere Täterin zu sehen“. Wenn ihr WEP gesehen habt, diskutiert gern mit mir, aber markiert oder vermeidet bitte Spoiler für andere Blog-Leser:innen.

Header image uses a photo by Didssph on Unsplash

Übrigens kann man beim statistischen Bundesamt nachlesen, dass in Deutschland die Selbstmordzahlen unter Jungs und Männern höher sind. Kein sehr weihnachtliches Thema? Das stimmt. Aber ein sehr wichtiges. Gerade in dieser Jahreszeit. Sollte dich dieses Thema persönlich betreffen, ein Hinweis: Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 erreichbar. Diese Review ist Teil des Booleantskalenders 2024, bei dem ich versuche jeden Tag in der Vorweihnachtszeit einen Beitrag zu posten. 🎄 Der Link bringt dich zur Übersicht aller Posts.

Eine Antwort

  1. Zuvor nie gehört, klingt großartig. Bei „Magical Girl“ hattest du mich schon :-D. Ich muss gestehen, dass ich es nie von den Anime meiner Jugend „weggeschafft“ habe. „Death Note“ war wohl der ernsthafteste und „erwachsenste“ Anime, den ich geschaut habe. Die Magical Girls von damals behalte ich zwar in guter Erinnerung, kann sie mir heute aber auch nicht mehr anschauen (die Synchronisation! die kurz geschnittenen Folgen! die sinnlosen Einzeiler, damit jedes Teammitglied einmal im Bild ist!,…). Vielleicht wird es mal Zeit, mit einem „erwachsenen“ Anime (in Originalsprache mit Untertiteln) zu starten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert