Fantastischer Film: The Whale

So ungefähr vor einem Jahr um die Zeit stand an dieser Stelle ein Film, der vieles ist, auch ein ausgezeichneter Muttertagsfilm. Auf die eine oder andere Weise ist das heute wohl auch ein Vatertagsfilm. Er handelt nebenbei von Trauma und Verarbeitung, von vielen verschiedenen Formen von Beziehungen, auch von unserer Vorstellung von Schönheit und davon wie schnell wir werten. Vor Allem handelt er davon Hilfe anzunehmen und Hilfe anzubieten.

Im Zentrum von Darren Aronofskys The Whale steht Charlie (Brendan Fraser), der stark fettleibig ist und seine Wohnung schon lange nicht mehr verlassen hat. Durch das Leiten von Online-Schreibkursen verdient er seinen Lebensunterhalt. Die Fettleibigkeit und sein Lebensstil zehren aber an seiner Gesundheit. Seine Freundin Liz (Hong Chau) ist Krankenpflegerin und kommt oft vorbei, u.a. um ihm Einkäufe zu bringen und allgemein nach ihm zu sehen. Sie bemerkt, dass sich sein Zustand verschlechtert und er vor einem Herzversagen steht. Charlie weigert sich aber ein Krankenhaus aufzusuchen. Stattdessen bekommt er unerwartet Besuch, der einiges an Staub aufwirbelt.

The Whale | Official Trailer HD | A24, Youtube

Einem Kammerstück gleich spielt der Film vollständig in Charlies vier Wänden und wagt sie kaum weiter hinaus als bis auf die Veranda bzw. den Aufgang zu seiner Wohnung. Von zwei Außenszenen mal abgesehen, die mehr Beiwerk sind, um den Film rund zu machen. Darin erkennt man den Ursprung von The Whale, das auf einem Theaterstück von Samuel D. Hunter basiert, der hierfür auch das Drehbuch adaptierte.

Alle hier auftretenden Personen bieten Charlie eine Form von Hilfe an und haben ein gewisses Urteil über Charlie gefällt. Der Missionar Thomas (Ty Simpkins) klopft eines Tages an Charlies Tür. Er steht für die ungebetene Hilfe aus fraglichen, möglicherweise aber auch sehr wohlmeinenden Motiven heraus. Wohingegen Charlies Freundin Liz sich aus sehr persönlichen Gründen nahezu für Charlie aufopfert. Am krassesten wirkt aber wohl auf ihn das Auftauchen seiner Tochter Ellie (Sadie Sink). Darin liegt, je nachdem wie man es sieht, unfreiwillige Hilfe oder unausgesprochene Hilfe. Genauer solche von der Sorte Vorschlaghammer. Sie revoltiert, sie will ihm zeigen wieviel er ihr genommen hat, sie will aufbegehren, sie vermisst ihn vielleicht oder ist über das Vermissen hinweg und will sich rächen. Obwohl sie ihm sehr weh tut, ist ihre ausgestreckte Hand (selbst wenn sie ihm den Mittelfinger zeigt) eine Boje, die am Ende dem ertrinkenden (vielleicht) zu Hilfe eilt und gibt, was er gerade am dringendsten braucht.

Egal ob Hilfe von Fremden, Hilfe mit Agenda oder tiefe Aufopferung, alle Begegnungen rühren. Die Hilfe, die sie anbieten oder verwehren, verändert sich mit all dem, was wir über Charlie und die Beziehung zu ihnen im Laufe der Zeit erfahren. Oder je nachdem, was sie über ihn erfahren. The Whale fragt damit wieviel wir bereit sind zu geben, um Hilfe anzubieten? Und wie weit soll man gehen, wenn die Hilfe nicht willkommen ist?

The Whale gibt den Zuschauenden dankbarerweise wenig vor – man muss den Film einsinken lassen und fühlen. Den Frust nachempfinden, mit dem sich Charlie nach Rückschlägen und Ablehnung trotz seiner schwindenden Gesundheit mehr und mehr Junk Food in sich hineinschaufelt. The Whale lässt uns hinterfragen wie wir Menschen beurteilen und wie sich unsere Bereitschaft Hilfe zu leisten mit unserem Urteil ändert. Selten wurde bei einem Film so bewusst wie lückenhaft unser Bild anderer doch stets ist – und eventuell auch bleibt. Aronofskys Film wurde mit einigen Preisen versehen und verschaffte auf gewisse Weise ihm, vor Allem aber auch Brendan Fraser zu einem Comeback, das sogar mit einem Academy Award bedacht wurde. Verdient.

The Whale, USA, 2022, Darren Aronofsky, 117 min

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch.

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