Vergleich zwischen Film und Buch: „The Imitation Game“ vs. „Alan Turing: The Enigma“

Alan Turing lief mir mehrmals während meines Studiums über den Weg. Als ich hier und da mehr über ihn erfahren habe, Turing-Maschinen sogar in den Vorlesungen kennenlernte, wurde ich sehr neugierig auf ihn und sein Leben. Dabei habe ich aber nie die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und die Biografie „Alan Turing: The Enigma“ von Andrew Hodges gelesen. Als es dann hieß, dass Turings Leben und seine Arbeit in Bletchley Park (die Entschlüsselung der Enigma) verfilmt wird, war ich von der ersten Sekunde an Feuer & Flamme. Ich kann nicht leugnen, dass das auch damit viel zutun hatte, dass Benedict Cumberbatch Alan Turing verkörpern würde. Ein Nerd-Feuerwerk. Allerdings war ich relativ enttäuscht von dem Film. Ein klassischer Fall von zu hohen Erwartungen gepaart mit Fachwissen, dass ein Hollywood-Blockbuster nicht bedienen kann, weil es die Masse langweilt. Daraufhin beschloss ich das Buch zu lesen und mir bestätigen zu lassen, ob der Film ein korrektes Bild Turings gezeichnet hat. Immerhin wird oft erwähnt, dass der Film auf dieser Biografie basiert. Meine Meinung zu Film und Buch gibt es getrennt und spoilerfrei: Review zum Film & Review zum Buch. Dieser Artikel hingegen ist nicht spoilerfrei.

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Alan Turing: Charakter, Erscheinungsbild, Außenwirkung

Im Film wird Alan Turing als ein Mann mit verhältnismäßig gewöhnlichem Äußeren dargestellt. Es gibt nichts wirklich auffälliges an ihm, außer dass seine Klamotten manchmal eher unordentlich wirken. Sein Charakter hingegen wird sehr überzeichnet dargestellt. Er stottert, ist ein elendiger Besserwisser, versteht keine Umgangssprache und hat wenig Verständnis für die Belange der Menschen in seiner Umgebung. So als ob er sie gar nicht wahrnehmen würde. Er hält sich stets für etwas besseres und demonstriert das. Diese weltfremde Arroganz gepaart mit dem enormen Wissen und Unverständnis für andere Menschen lässt ihn wie ein Abziehbild von Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory wirken. Was aber seine Arbeit betrifft, ist er sehr leidenschaftlich und emotional an diese gebunden.

Im Buch offenbart sich, dass es ein paar wenige Überschneidungen gibt. Turing legte scheinbar tatsächlich wenig wert auf sein äußeres Erscheinungsbild. Er war zwar im Großen und Ganzen gepflegt, aber wenn er eben mal keinen Gürtel zur Hand hatte, tat’s auch ein Seil. Das Buch beschreibt aber insgesamt noch ausführlicher wie er auf andere wirkte. Ein Merkmal was mir seltsamerweise im Gedächtnis hängen geblieben ist: er hatte eher gelbe Zähne, obwohl er kein Raucher war und hat sich nicht besonders gründlich rasiert, weshalb er wohl öfter mit Bartschatten rumlief. Ansonsten wird Alan Turing als schoolboyish beschrieben, er sah scheinbar stets sehr jung für sein Alter aus. Er hatte eine sehr hohe schrille Stimme und die Angewohnheit seine Sätze mit „Ah!“ einzuleiten. Von stottern habe ich nichts gelesen – damit kann ich die Film-Darstellung Turings bereits nicht mehr mit meiner „Kopf-Variante“ aus dem Buch vereinen. Turing wird im Buch weiter beschrieben als jemand mit einem trockenen, schwarzen, britischen und sehr bissigen Humor. Er wirkt weitaus weniger weltfremd als im Film dargestellt, kommentiert was um ihn herum geschieht und hatte einen großen Wortwitz. Er soll oft schüchtern, einsam und depressiv gewirkt haben, war aber agil und reiste viel, spielte viel, lief Marathon. Es gab Interaktionen im sozialen Leben, die ihm unnötig erschienen wie jedem Menschen, dem er bspw. auf Arbeit begegnet „Hallo“ oder „Guten Morgen“ zu sagen. Also ließ er es aus. Wenn er jemanden langweilig fand, war es möglich, dass er sich einfach umgedreht hat und wegging. Das sind wohl die nerdigsten seiner Spleens im Umgang mit anderen Menschen. Verlor er bei einem Spiel, verließ er ruckzuck den Raum – beleidigt. 😉 Er hatte etwas verrücktes an sich und was andere darüber dachten, spielte keine Rolle für ihn. Fahrrad fahren und dabei Gasmaske tragen, um nicht von fiesen Pollen geärgert zu werden? Kein Ding. Er konnte kein Blut sehen und falls doch, fiel er in Ohnmacht. Zusammenfassend muss ich sagen, dass es Überschneidungen in der Darstellungen in Film und Buch gibt, wenn auch die Charaktere auf mich immer noch sehr unterschiedlich wirken und nicht vereinbar sind. Ich habe immer noch den Eindruck, dass die Film-Variante arroganter und sehr viel weltfremder und humorloser dargestellt wird.

Alan Turing: soziales Leben, Schlüsselmomente, Beziehungen, Homosexualität und wissenschaftliche Reputation

Im Film fühlen sich die Menschen wegen seiner arroganten Art von ihm abgestoßen. Er wird als Mensch gezeigt, der einsam ist, keine sozialen Kontakte hat und gemieden und verspottet wird. Aber er wird auch als sehr einfühlsam beschrieben, was wenige Personen betrifft: Christopher und Joan. Offensichtlich hängt er sehr an seiner Arbeit und definiert sich dadurch. Seine Kollegen in Bletchley Park halten ihn für einen arroganten Spinner, er gewinnt dort keine Freunde außer Joan. Er sieht sie als seine beste Freundin an und verlobt sich mit ihr, u.a. um dafür zu sorgen, dass sie in Bletchley Park bleiben darf. Hugh Alexander wird als sein schärfster Kritiker dargestellt. Sie haben viele Dispute, fast bis zur Prügelei. Erst gegen Ende wachsen sie durch die Erfolge etwas zusammen. Man erfährt weniges über sein soziales Leben. In seiner Kindheit hat er sich in Christopher, einen Mitschüler verliebt. Die beiden hatten eine sehr enge Beziehung, wenn nicht sogar unausgesprochene Liebe, die unglücklich endete. Später benennt er die Maschine, die er in Bletchley-Park zur Entschlüsselung der Enigma baut nach ihm: Christopher. Außerdem zitiert er einige Male seine Mutter, was als enge Beziehung gedeutet werden kann – aber nicht muss.

Im Buch finden sich einige Überschneidungen, die im Film aufgebauscht werden. So verlobt er sich wirklich mit Joan und löste die Vermählung aus ähnlichen Gründen. Er gab an sie zur Frau nehmen zu wollen, weil man das zu der Zeit einfach erwartete irgendwann zu heiraten. Ob Joan und er eine so tiefe Bindung hatten, wird im Buch nicht erläutert. Er löst die Verlobung, weil er sich nicht vorstellen kann mit ihr ein Eheleben und Sexualität vorzutäuschen. Christopher gab es wirklich, aber die Beziehung der Beiden war wesentlich distanzierter als im Film dargestellt. Sie redeten sich mit Turing und Morcom an. Die Szene in der Alan von Mitschülern unter den Dielen eines Zimmers malträtiert wird, gab es wirklich, aber kein Christopher holte ihn raus. Alan nahm sich Christopher als Vorbild und versuchte so gut in der Schule zu werden wie er. Alan ignorierte viele Fächer in der Schule, weshalb er in einigen echt kein Musterschüler war. Dass er in Christopher verliebt war, merkte er und nach seinem Tod beschäftigte er ihn noch sehr lange im stillen. Er fing an Christophers Mutter Briefe zu schreiben und sie zu besuchen. Seine Maschine nannte er nicht Christopher. Sie wurde stattdessen von seinen Kollegen Turing-Welchman-Bombe getauft, wegen ihrer Lautstärke, wenn sie gerade lief.

Von diesen Verfremdungen abgesehen, konnte er scheinbar tatsächlich nicht gut mit Menschen. Dass er keinen Blickkontakt halten konnte und sich schwer tat mit Personen aus Kirche und Militär, sind dabei die einzigen wirklichen Überschneidungen mit dem was sich aus dem Buch herauslesen lässt. Selbst die Beziehung zu den Menschen in Bletchley wird im Buch harmonischer beschrieben. Reibungspunkte gibt es, als Hugh Alexander eine leitende Rolle bekleidet, Alan aber nicht, da er nicht gut im Umgang mit Menschen und organisatorischen Dingen ist. Ansonsten ist Alan ein harter Chef, aber auch einer der keine Unterschiede zwischen Mann und Frau macht und auch mal einen Kasten Bier für alle bestellt. Er hat Freunde mit denen er regelmäßig verreist und Briefe schreibt. Alan geht im Gegensatz zum Film verhältnismäßig offen mit seiner Sexualität um und zögert nicht, es den Männern in seiner Umgebung zu sagen. Dabei handelt er sich öfter ablehnende Kommentare ein. Er ist außerdem ein sexueller Mensch, der nicht nur von Luft und Mathematik leben kann. Er hatte Affären. Leiht sich jemand ein Buch bei ihm, fallen da schon Mal Bilder von nackten Männern raus. (Der Schelm 🙂 sorry, der Kommentar musste sein… .) Marathonläufe sind sein Katalysator, seine depressive Stimmung hat u.a. damit zutun, dass er sich nicht frei entfalten kann. Sexuell und auch wissenschaftlich. Seine Artikel und lehren verbreiten sich anfangs nur langsam und mühselig. Als er aber an verschiedenen Orten studierte und sich sein Einfluss verbreitete, haben insbesondere jüngere Studenten und Wissenschaftler zu ihm aufgeschaut. Er wurde „The Prof“ genannt – sehr zum Ärgernis echter, berufener Professoren. Viele seiner Errungenschaften blieben Verschlusssache, weil sie in Bletchley Park entstanden oder in späterer Zusammenarbeit mit dem Militär und Forschungseinrichtungen – das war sicherlich hart. Die Beziehung zu seiner Familie ist eher weniger eng. Erst sehr spät begann er sich für seine Mutter zu erwärmen. Sein Bruder wusste bis zu Alans Prozess nicht einmal, dass er homosexuell ist. Zusammenfassend gesagt greift sich der Film einige Beziehungen aus Turings Leben und bauscht sie dramatisch an den falschen Stellen auf. Joans „Kapitel“ in seinem Leben und alles was mit Christopher zutun hat, wird sehr ausstaffiert. Er wird auch in punkto Beziehungen als sehr weltfremd und muttersöhnchen-haft dargestellt. Dabei werden die wirklichen Reibungspunkte außer Acht gelassen. Erst jetzt fällt mir auf, dass man sich im Film eigentlich gar nicht mit seiner Homosexualität auseinandersetzt. Lediglich mit einer unglücklichen Kindheitsliebe, aber nicht im geringsten mit Turings Sicht auf die Dinge und wie vehement er Homosexualität verteidigte. Das Buch vermittelt sehr stark den Endruck, dass er seiner Zeit Meilen voraus war.

Bletchley Park und Enigma

Im Film wird Bletchley Park fast nur auf die Arbeit in Turings Team reduziert. Es gibt große Konflikte als Turing versucht sich und die Idee seiner Maschine durchzusetzen. Ein weiterer großer Konflikt ist der, dass sich in dem Team ein Spion der UdSSR befindet. Im Film findet Turing heraus, um wen es sich dabei handelt. Der Spion erpresst Turing und macht ihn somit zum Mittäter, zumindest bis sich herausstellt, dass hinlänglich bekannt war, dass ein Spion unter ihnen weilt und um wen es sich dabei handelt. Die mathematischen Zusammenhänge rund um die Enigma werden kurz erläutert. Danach beginnt die Arbeit an der Entschlüsselung, deren Umstände weitestgehend ohne Details oder Erklärungen von statten gehen.

Im Buch wird die Arbeit in Bletchley Park verhältnismäßig wenig Platz geboten. Daraus lässt sich schließen, dass viele Details Verschlusssache waren. Es wird aber deutlich, dass es sehr viele Teams gab, die sich getrennt voneinander den mittels Enigma verschlüsselten Nachrichten gewidmet haben. So war Turing beispielsweise eben im Team ‚Naval Enigma‘, die sich mit Funksprüchen bezüglich der See-Streitmächte auseinandersetzte. Außerdem gab es in Bletchley Park riesige Teams von aufs nötigste geschulten Codeknackern. Turing hat bereits an der Universität eine Maschine zu automatischen Verarbeitung von Berechnungen gebaut und es gab, sofern ich mich erinnere, keinen Konflikt ob er eine Maschine zur Entschlüsselung bauen darf, vielmehr wirkte es auf mich so, dass der Ansatz erwünscht war. Außerdem gab es eine ganze Reihe von Hinweisen und Teilerfolgen, die polnische Teams bereits vorzuweisen hatten. Im Gegensatz dazu vermittelt der Film den Eindruck, dass die Wissenschaftler bei Null angefangen haben. Den Spion in Bletchley Park gab es wirklich. John Cairncross war als Codeknacker angestellt, ist Turing aber nicht begegnet und eine der härtesten Kritiken an dem Film ist, dass man unterstellt, dass Turing wissentlich den Spionagefall nicht gemeldet hätte. In der ganzen Zeit wechseln die Teams und Positionen der einzelnen Charaktere mehrfach. Zusammenfassend ist für mich Bletchley-Park im Film schlichtweg eine aufgebauschte, dramatisierte und stellenweise schlicht falsche Darstellung. Auch wenn das Buch hier nicht übermäßig viele Details liefert, erscheint es mir stark gegensätzlich zum Film.

Das Ende

Im Film wird gezeigt, dass bei Turing eingebrochen wird und er versucht das zu leugnen, obwohl er zuerst die Polizei rief. Aufgrund dessen haben die Officers den Eindruck, dass er etwas zu verbergen hat und ermitteln. Sie finden heraus, dass er homosexuell ist und er droht deswegen angeklagt zu werden. Er wird zur Befragung eingeladen und erzählt einem Detective seine Lebensgeschichte und berichtet von seinem lebenslangen Imitation Game und seinen Ideen und Visionen. Der Detective macht Anstalten ihn nicht wegen der damals strafbaren homosexuellen Beziehungen zu belangen, kann sich aber nicht gegen die Mühlen der Justiz wehren. Turing wird vor die Wahl gestellt, dass er entweder ins Gefängnis gehen kann oder sich einer Hormontherapie unterzieht, von der damals geglaubt wurde, dass sie homosexuellen Neigungen entgegen wirkt. Er entscheidet sich für letzteres, da er dann wenigstens arbeiten kann. Al er Besuch von Joan bekommt, findet diese ihn etwas verwahrlost vor und in einem sichtlich schlechten Zustand. Die Therapie setzt ihm auch geistig stark zu und er kann nicht einmal mehr ein Kreuzworträtsel lösen. Im Abspann wird von seinem Tod berichtet.

Im Buch hat Turing eine Affäre mit dem Herumtreiber Arnold Murray, dessen Kumpel später bei Turing einbricht. Turing meldet den Vorfall und in Folge der Untersuchung wird die Beziehung zwischen Turing und Murray aufgedeckt. Als gegen Turing Anklage erhoben wird wegen „grober Unzucht und sexueller Perversion“ leugnet er es gar nicht erst, weil er wie seit jeher den Standpunkt hatte, dass das alles Irrsinn ist. Er hatte die Wahl zwischen Haftstrafe und Hormontherapie (chemische Kastration) und entschied sich für letzteres. Damit sind die grundlegenden Fakten in Film und Buch bis hierhin erstmal gleich, wobei im Film natürlich mit Turings langer Rede und Ausplauderei der Verschlusssachen mehr Pathos mitschwingt. Ein ziemlich wichtiges und dramatisches Detail wurde ausgelassen: dass Turing sich in der Realität bewusst dafür entschieden hat seine Homosexualität nicht zu verneinen. Im Film passiert das implizit auch – aber deutlich schwächer in der Stärke der Aussage.

Im weiteren Geschehen nimmt Turing die Therapie nach außen leicht und scherzt darüber, dass sich seine Physis verändert, im bspw. Brüste wachsen. (Bestandteil der Hormontherapie war bspw. die Zuführung von Östrogenen/Estrogenen, was widersinnig erscheint. Damals wurde davon ausgegangen, dass Homosexualität bei Männern aufgrund zu vieler „weiblicher Hormone“ auftritt. Warum man denkt, es „heilen“ zu können durch Mehr-Zufügung ist mir vollkommen unklar. Mit dem Thema habe ich mich aber nur oberflächlich beschäftigt, vielleicht kann in den Kommentaren jemand der genaueres weiß Licht ins Dunkel bringen.) Er verreiste weiter mit seinen Freunden, stand mit denen in Kontakt, hatte Besuch und forschte bereits vor der Verurteilung mehr auf dem Gebiet der Chemie und Biologie. Ein Besuch von Joan ist nicht aufgezeichnet worden. Auch gibt es keine deutlichen Anzeichen, ob sich die Therapie auf seine geistigen Fähigkeiten ausgewirkt hat. Im Buch wird allerdings berichtet, dass er unter Depressionen litt und einen Psychiater aufsuchte. Dort wird ebenfalls die These aufgestellt, dass seine Depressionen durch die Veränderungen an seinem Körper entstanden sein könnten. Schließlich war er doch ein sportlicher Mann und Sexualität hatte einen nicht geringen Stellenwert in seinem Leben. Außerdem wird gemutmaßt, dass er möglicherweise doch geistige Beeinträchtigungen durch die Therapie davon getragen hat. Er hat ca. alle 5 Jahre ein entscheidendes Paper veröffentlicht, vor seinem Tod das erste Mal aber scheinbar nichts vorzuweisen gehabt, dass den Status ‚ready for publishing‘ hatte. Möglicherweise hat das an ihm genagt? Über Selbstmord und insbesondere das Motiv des vergifteten Apfels hat er sich mehrmals geäußert. Seine Haushälterin fand neben seiner Leiche einen angebissenen Apfel. Die Todesursache war eine Cyanid-Vergiftung. Aus anderen Quellen weiß ich, dass der Apfel nicht untersucht wurde und es somit nicht klar ist, ob er sich mutwillig vergiftet und Selbstmord begangen hat. Seine Mutter äußert laut Buch den Verdacht, er habe bei seinen Experimenten nicht aufgepasst und wegen seiner Liederlichkeit und Unordnung mit nicht-gewaschenen Händen etwas gegessen und sich versehentlich vergiftet. Wir werden es wohl nie erfahren.

Plaque marking Alan Turing's former home in Wilmslow, Cheshire. Author: Joseph Birr-Pixton from en.wikipedia  Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported. Found on: <a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Turing_Plaque.jpg" target="_blank" rel="noopener noreferrer">https://commons.wikimedia.org</a>
Plaque marking Alan Turing’s former home in Wilmslow, Cheshire. Author: Joseph Birr-Pixton from en.wikipedia Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported. Found on: https://commons.wikimedia.org

Erwähnenswertes, was man dem Film zugute halten muss und ein Fazit

Wenn man sich wirklich tiefergehend mit Alan Turings Leben und Werk beschäftigen will, ist das Buch eine unschätzbare Quelle. Darin wird auch auf all das eingegangen, was Turing außer der Entschlüsselung der naval Enigma erreicht hat. Da gibt es einige Erkenntnisse … zum Beispiel, dass er parallel zu anderen Wissenschaftlern die Sequenzanalyse während seiner Zeit in Bletchley entwickelte. Oder bei wie vielen Rechenmaschinen er an der Entwicklung beteiligt war. Der Film sagt, dass er als Urvater des Computers gilt. Für mich ist er der Vater der Informatik, dessen Paper Computable Numbers eines der ersten Seminare über Informatik in die Wege leitete. Er war der erste, der sagte, dass man nicht für jede Aufgabe eine eigene Rechenmaschine bauen müsse, sondern eine Rechenmaschine bauen müsse, die dazu gebracht werden kann alle möglichen Aufgaben auszuführen (Programmierung! Das was ich jeden Tag arbeite! OMG!). Durch ihn wurde der Begriff Computer geprägt, wie ich dem Buch entnommen habe. Vorher bezeichnete man als Computer einen Menschen, der mithilfe einer Rechenmaschine Aufgaben erledigt. Somit bin ich inzwischen mit der Formulierung „Vater des Computers“ einverstandener als damals beim Schauen des Films. Seine weiteren fortschrittlichen Ideen werden in dem Buch besprochen, beispielsweise maschinelle Intelligenz, die später Turing-Test getaufte Idee zur Identifizierung von künstlicher Intelligenz, das elektrische Hirn, usw. Man muss dem Film zugute halten, dass sie den langen Monolog der Rahmenhandlung (Befragung durch Detective) nutzen, um den Begriff Imitation Game und Visionen wie den Turing-Test noch irgendwie unterzubringen. The Imitation Game – der Begriff zieht sich nämlich durch das gesamte Buch bis zum bitteren Ende und bietet eine in sich stimmige Beschreibung von Turings Drama.

Trotz all meiner Kritik an dem Film und den Unterschieden, die ich mit meinem Artikel offen legen möchte, sei gesagt: besser dieser Film als gar keiner. Zwar lässt der Film sehr viel bedeutendes aus, verfremdet und verweichlicht den Charakter Turings und geht nicht genug auf das Thema Homosexualität ein, aber er macht erstmal aufmerksam. Dass nicht alles innerhalb von ca. 2 Stunden erzählt werden kann, ist klar. Deswegen habe ich gar nicht erst den Anspruch an den Film gestellt, dass er Turings ganzes Leben abbildet. Aber um viele Details finde ich es nach wie vor schade. Wenn er es aber schafft das Leben dieses Mannes und seine enorme Bedeutung offen zu legen, dann ist das viel wert. Das Buch ist eine rundum geschlossene Quelle, die Andrew Hodges durch Quellen wie Briefe, unvollständige Biografien (beispielsweise durch Turings Mutter), sein eigenes wissenschaftliches Verständnis und viele viele Interviews mit Menschen die Turing kannten, angefertigt hat. Ein Mammutprojekt, dass in einem eher durchwachsenen Drehbuch verwurstet wurde und mit einigen Falschdarstellungen Ärger auf sich zieht. Ich habe mehrmals gelesen, dass „es schwer vorstellbar ist, dass die Filmmacher das Buch überhaupt gelesen haben“. Ich nehme einfach mal an, dass dem oscar-prämierten(!) Drehbuch einiges ‚hollywoodreifes‘ aufdiktiert wurde. Man hat einige Details rausgepickt, aber vieles außer Acht gelassen und frei der Nase nach angepasst. Aber: es ist eine der Geschichten, die leicht in der Schublade als nicht profit-versprechend genug versauern. Stattdessen hat es den Weg ans Tageslicht gefunden. Außerdem ist es für viele eine Alternative, da das Buch für die breite Masse wahrscheinlich nicht in Frage kommt (meine oben verlinkte Review des Buchs gibt darüber vielleicht Aufschluss).

Längster Artikel in diesem Blog … ever. Habt ihr euch den Film und/oder das Buch zu Gemüte geführt? Wie ist eure Meinung dazu? Wie bewertet ihr die Unterschiede? Seht ihr das weniger drastischer als ich? Oder sogar drastischer? War euch Alan Turing vor dem Film bereits ein Begriff? Und wenn ja, in welchem Zusammenhang habt ihr von ihm gehört?

9 Antworten

  1. Wow, was für ein Artikel! Bestimmt sehr interessant, doch ich werde mich erst noch mit dem Thema beschäftigen müssen, um die richtigen Informationen daraus zu ziehen. Bleibt solang einfach in meinen gespeicherten Artikeln… 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Freut mich, wenn du ihn dir für später aufhebst und dann nochmal daran denkst. 😉 Interessiert dich das Thema? Hast du vor speziell dieses Buch und diesen Film noch zu schauen oder noch andere Versionen zurate zu ziehen? Da gibts haufenweise Bücher und auch noch mindestens einen weiteren Film über Turing.

      1. Buch weiß ich nicht, wenn Film dann dieser und evtl. noch eine Doku. Auf jeden Fall ein spannendes Thema!

  2. Uff, was für ein Brett! Sehr informativ und spannend beschrieben. Schade das im Film einiges so verfälscht wurde, dennoch fand ich ihn ausgesprochen spannend. Und jetzt komme ich mit der Verhörszene auch endlich besser zurecht; die wirkte immer wie ein Fremdkörper im Film, zumindest unglücklich drapiert.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Jaaaa … ich dachte: wenn schon, denn schon. XD Damit habe ich mich sofort davon verabschiedet, dass der Artikel von vielen „einfach mal so“ gelesen wird. Dafür ist er viel zu lang.
      Aber freut mich, wenn ich trotzdem ein bisschen fesseln konnte! 😀 Ich war schon fast bedrückt und dachte, dass es gar niemanden interessiert :'(
      Ja, mit der Verhörszene versuchen sie das alles irgendwie abzufangen. Wenn man beide Medien kennt, merkt man auch extrem wie sie sich stückweise rausgefischt haben, was massentauglich und brauchbar für den Film ist. Da keimt in mir langsam so ein ungutes Gefühl … wenn die Filmemacher immer alle so recherchieren D: ich beziehe doch 60% meines Allgemeinwissens aus Filmen …. O_O

      1. Ich musste den aufgrund der Länge auch erst aufschieben, konnte dann aber doch nicht widerstehen. Und es hat sich ja gelohnt. 🙂
        Ja, sowas beunruhigt schon und wer weiß wie oft man schon auf solche falschen Wahrheiten reingefallen ist. Na gut, wenn etwas zumindest interessant im Film aufbereitet worden ist, dann klemme ich mich danach gerne noch weiter hinter das Thema und recherchiere auf eigene Faust. So wie du.

  3. […] Außerdem findet ihr bei Miss Booleana auch einen gründlichen, detaillierten Vergleich zwischen dem Alan-Turing-Biopic „The Imitation Game“ und der zugrundeliegend…. […]

  4. […] the win­ner is … Buch! Über das Dilemma habe ich schon Mal einen sehr aus­führ­li­chen Ver­gleich geschrie­ben. Kurz zusam­men­ge­fasst ist der Film eine Zusam­men­stü­cke­lung von 3, 4 […]

  5. Avatar von Nina Porras
    Nina Porras

    Östrogene (weibliche Geschlechtshormone) werden in geringer Menge auch beim Mann gebildet und sind für seinen Körper sehr wichtig. In höherer Dosis zur Behandlung des Prostatakarzinoms eingesetzt, wirken sie über verschiedene Mechanismen, unter anderem über eine Hemmung der LH-RH-Freisetzung, und führen zu einer Senkung des Androgenspiegels auf Kastrationsniveau nach 3-9 Wochen. Sie waren historisch zunächst die erste Möglichkeit der medikamentösen Kastration als Ersatz für die Orchiektomie und erwiesen sich als gleichwirksam. Neben den erwarteten Nebenwirkungen traten jedoch dosisabhängig auch vermehrt solche des Herz-Kreislauf-Systems auf, so dass man Östrogene allein heute kaum noch verwendet.

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