Jahresende und Jahresanfang scheinen immer gute Kinozeiten zu sein, in denen anspruchsvolle Machwerke ihren Weg in die deutschen Kinos finden. Man kann das als Oscar-Season bezeichnen, denn obwohl die Oscar-Nominierungen erst morgen verkündet werden, wird schon lange spekuliert. Und ja, ich liebe es mitzuspekulieren. Meinen lieben Freunden habe ich zu verdanken, dass wir in kurzer Zeit so oft im Kino waren 😉 Reviews sind weitestgehend spoilerfrei.
Carol
Irgendwas hat der Moment in Therese (Rooney Mara) ausgelöst, als sich ihr und Carols (Cate Blanchett) Blick trafen. Therese liebt eigentlich die Fotografie, arbeitet aber um sich über Wasser zu halten in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses. Die wohlhabende Carol sucht dort nach einem Spielzeug für ihre Tochter und lässt sich von Therese beraten. Sie lässt ihre Handschuhe liegen und Therese schickt sie ihr. Sie nehmen Kontakt zueinander auf. Obwohl keiner es ausspricht ist klar, dass da etwas zwischen Therese und Carol ist. Das macht es für Carol umso schwieriger, die gerade im Begriff ist, sich von ihrem besitzergreifenden Mann Harge (Kyle Chandler) zu trennen und schon bald um das Sorgerecht für ihr Kind kämpfen muss. Thereses innerer Kampf hingegen ist der, herauszufinden was sie will und wer sie ist, und das während ihr Freund darauf drängt sie zu heiraten und mit ihr nach Europa zu reisen.
Der Film basiert auf dem Roman The Price of Salt (in Dtl. Salz und sein Preis) von Patricia Highsmith, der später nochmal unter dem Titel Carol veröffentlicht wurde. Den meisten dürfte die Autorin v.A. durch ihre zahlreichen Romane und deren Verfilmungen bekannt sein. Beispielsweise Der talentierte Mr Ripley und Zwei Fremde im Zug, um nur zwei Beispiele zu nennen. Highsmith war selbst homosexuell und hat mit Salt einen teils autobiografischen Roman geschrieben, der wiedergibt, dass Homosexualität in den USA der 50er Jahre noch als Perversion angesehen wurde. Diejenigen, die mehr über Patricia Highsmith wissen wohl oder eine Empfehlung zum nachlesen möchten, verweise ich auf Maras Blog und ihren Artikel über das Buch Die talentierte Miss Highsmith von Joan Schenkar.
Obwohl der Film Carol heißt, sehe ich eindeutig Therese als die Hauptperson. Carol ist für sie der Auslöser für ihre schlussendliche Erkenntnis, dass sie lesbisch ist. Das offenbart Therese wirkliche Liebe, Erfüllung und Leidenschaft, aber sie muss auch spüren, dass das nur hinter verschlossenen Türen möglich ist. Die gesellschaftliche Ablehnung wird in dem Film zwar an der Reaktion von Thereses Freund und Carols Umfeld deutlich, tritt aber nie wirklich nach außen und bleibt ebenso ein Thema, das hinter verschlossenen Türen diskutiert wird. Das ist wahrscheinlich besser so für die Protagonisten, wirkt aber so hermetisch wie es klingt. Sind aber Carol und Therese unterwegs, dann demonstrieren sie mit Worten und Blicken mehr als deutlich, was zwischen ihnen Beiden ist. Es ist zwar traurig, dass das so ein großes Geheimnis bleiben muss, aber gleichzeitig wirkt Cate Blanchetts Spiel dafür in manchen Szenen auf mich etwas zu direkt und aufreißerisch für die damalige Zeit. Ein Widerspruch in sich. Und das sage ich als Cate-Blanchett-Fan. Carol ist stets sehr abgeklärt und wirkt so, als ob sie auch Therese gegenüber noch eine Maske trägt. Es ist eher Rooney Maras Darstellung, die natürlicher wirkt und mich mehr berührt hat. Ich denke da nur an die Szene in der sie im Zug sitzt, nachdem sie vom ersten privaten Treffen mit Carol kommt und weinen muss, aber nicht möchte, dass es jemand bemerkt. Der Film demonstriert an nicht sovielen Momenten echte Gefühle, sondern viel Fassade nach außen, was ich nicht erwartet hätte und was schnell kühl wirken kann. Gegen Ende des Films weiß man als Zuschauer kaum, was sich in beiden abspielt und was sie denken, obwohl man ihrem Leid schon eine Weile zugeguckt hat. Todd Haynes, u.a. bekannt für Velvet Goldmine und I’m Not There hat wunderschöne Bilder, Kostüme, Frisuren, einen wirklich guten Score und versetzt uns glaubhaft in die 50er Jahre mitsamt eines unterschwelligen Sepia-Filters, aber es mangelt ein wenig an Einsicht in das Seelenleben seiner Charaktere.
(7/10)
Kirschblüten und rote Bohnen
Der japanische Originaltitel des Dramas ist あん (An). So wird die aus Adzukibohnen hergestellte rote Bohnenpaste genannt, die für einige Süßspeisen verwendet wird. Beispielsweise für Dorayaki. Das sind kleine runde Pfannkuchen, von denen jeweils zwei von der Paste zusammengehalten werden. Der wortkarge Sentaro (Masatoshi Nagase) hat einen Dorayaki-Laden, verbirgt aber, dass er wenig Begeisterung für seinen Job oder Dorayaki im allgemeinen hat. Er sucht eine Aushilfe und die schon sehr alte Tokue (Kirin Kiki) bewirbt sich. Selbst als er sie wegen ihres Alters ablehnt, gibt sie nicht auf und merkt an, dass seine Dorayaki nicht so gut schmecken wie sie könnten. Sie gibt ihm ihre selbstgemachte rote Bohnenpaste und er stellt sie überwältigt ein. Wakana (Kyara Uchida), eine regelmäßige Besucherin des Dorayaki-Ladens und Schülerin, beobachtet das Geschehen. Sie hat selber auf die Stelle gehofft. Tokues Vergangenheit wird aber schon bald ein unausweichliches Thema.
Kirschblüten und rote Bohnen ist ein ruhiges, realistisches und reduziertes Drama. Das klingt schon wie eine Kurzzusammenfassung der japanischen Filmindustrie allgemein (neben Trash und Horrofilmen, mögen manche behaupten). Aber es ist eben wie so oft bei japanischen Filmen auch hier der Fall, dass die Figuren wirken wie die Menschen die bei uns um die Ecke leben – so echt und natürlich und ungeschönt. Zwar könnte der Film wirklich an manchen Stellen etwas an Geschwindigkeit zulegen, aber das ist längst vergessen, wenn die sympathische Schrulligkeit von Tokue auf den geläuterten Sentaro trifft. Wer einen schnellen Film sucht, der sucht hier vergebens. Aber man findet stattdessen viel anderes. Ich als Zuschauer habe von einem mir bisher fast unbekannten Aspekt der Geschichte erfahren – den Umgang mit Kranken in der Geschichte. Es wirkt fast wie ein Triptychon, wenn Wakana versucht ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, was Tokue nicht vergönnt war und Sentaro leichtfertig verspielt hat. Regiesseurin Naomi Kawase war zuletzt mit Still the Water viel im Gespräch. Sie unterstreicht den Film mit seinen liebenswerten Charakteren (ach ja und den zweien, denen man am liebsten eine kleben will) mit ruhigen Landschaftsaufnahmen von Kirschblüten und ruhigen Wäldern und nimmt sich viel Zeit für die ganz eigene Poesie des Films, die in einem wunderschönen und traurigen Finale mündet.
(9/10)
The Revenant
Alejandro González Iñárritus neuster Streich liebäugelt schon wieder heftig mit dem Oscar und widmet sich diesmal eines Themas, das verglichen mit seinem letztjährigen Oscar-Hit Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) kaum unterschiedlicher sein könnte. Der Film erzählt die Geschichte des Trappers Hugh Glass, der von 1783 bis 1833 gelebt hat. V.A. um sein Überleben ranken sich zahlreiche teilweise auch mystifizierte Erzählungen. Im Film wird er verkörpert von Leonardo DiCaprio und ist als Trapper mit seinem (Zieh?-)Sohn Hawk (Forrest Goodluck) unter Andrew Henrys (Domhnall Gleeson) Führung unterwegs. Die Truppe hat es auf Felle abgesehen, wird aber eines Tages von Indianern angegriffen. Nachdem sie um mehr als die Hälfte der Männer dezimiert wurde, reisen sie mühselig weiter und versuchen den Einheimischen aus dem Weg zu gehen. Dass Hawk Indianer bzw. ‚Halbblut‘ ist, bringt einen der Männer, John Fitzgerald (Tom Hardy), immer wieder dazu Anschuldigungen zu äußern und die Aufrichtigkeit von Glass und seinem Sohn in Frage zu stellen. Eines Tages wird Glass von einem Grizzly angegriffen, überlebt aber sehr schwer verletzt. Die Truppe beschließt ihn notdürftig zusammenzuflicken und auf einer selbstgebauten Trage mitzunehmen. Als der Winter einbricht, wird das aber fast unmöglich. Fitzgerald, der sehr junge Jim Bridger (Will Poulter) und Hawk beschließen bis zum bitteren Ende bei Glass zu bleiben, während die anderen weiterziehen. Fitzgerald aber sieht v.A. die versprochene Belohnung und plant Glass umzubringen. Als Hawk dazukommt, bringt Fitzgerald ihn kaltblütig um, während der bewegungsunfähige Glass nur vermuten kann, was passiert ist. Die Männer lassen ihn zurück. Getrieben von Rache versucht er in der Wildnis zu überleben und wieder auf die Beine zu kommen.
Wow. Was für ein Film. Die Geschichtete ist eine der ältesten der Welt und ließe sich ziemlich schnell zusammenfassen, was dem Film aber nicht im mindesten gerecht wird: Rache. Die in The Revenant dargestellten Naturgewalten sind atemberaubend und demonstrieren die Kompromisslosigkeit der Natur. Kälte, Hunger, Verletzungen, wilde Tiere – all das alleine sollte den Zuschauer schon fesseln und vor Augen führen, dass die pseudo-naturverbundene Zivilisation in der wir leben uns weich gemacht hat und die meisten von uns nicht annähernd so lange da draußen überleben würden. Auf seltsame Art und Weise kann der Film einem die eigene Sterblichkeit mehr bewusst machen als ein Thriller mit einem body-count von 20 pro Minute. Emmanuel „Chivo“ Lubezkis bereits in Birdman gelobte Kameraarbeit setzt hier wieder neue Maßstäbe. Ob die Blutspritzer und die vom Atem der Protagonisten beschlagene Linse echt sind, stellt mich vor eine weitere von vielen Fragen über die Dreharbeiten wie zum Beispiel auch, ob der Schneefall echt oder geplant und herbeigeführt war. Nicht nur der Film wirkt wie eine Tour-de-Force, sondern auch die Dreharbeiten müssen sich so angefühlt haben. Da wird auf dem kalten Boden rumgerobbt, da spritzt das Blut, da fliegen die Pfeile und man ist so unbarmherzig nah dran. Lubezkis Kamera ist immer nur Zentimeter von den Protagonisten entfernt, Hardy und DiCaprio sehen uns nicht nur einmal direkt an und die opulenten Kämpfe werden mit einer fliegenden Kamera in allen grausigen Details aufgenommen. Der Kampf mit dem Bär hat sich in meinen Kopf eingebrannt. Wenn man viel Filme schaut, dann stellt sich insbesondere im Popcornkino irgendwann das Gefühl ein „habe ich schon zig Mal irgendwo anders gesehen“. Hier nicht. Hier habe ich trotz der einfachen Story so oft gedacht ‚Sowas habe ich noch nie gesehen‘ und das ist mir eine verdammt hohe Punktzahl wert. Während des Schauens dachte ich, dass DiCaprio für diese Leidensgeschichte und die sicherlich extremen Dreharbeiten diesmal nun endlich seinen Oscar bekommt, war auch der Überzeugung, dass er ihn verdient und fragte mich – wenn er ihn nicht bekommt, wie sieht dann wohl sein nächster Film aus? Noch extremer? Heute beim Schreiben des Artikels, einen Tag nach dem Kinobesuch, frage ich mich, ob nicht das Visuelle mehr hängengeblieben ist. Ich muss das erstmal sacken lassen.
(9/10)
The Revenant wird zu recht kontrovers diskutiert. Habt ihr den Film schon gesehen? Und wie habt ihr ihn aufgenommen? Kriegt er nun den Oscar oder nicht? Und wie sieht mit den anderen hier vorgestellten Filmen aus?
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