Serienlandschaft: Preacher – Review

Ich brauche neue Lieblingsserien. Downton Abbey ist weg, Hannibal ist weg, es sind viele gegangen. Immerhin hatte ich zuletzt jeden Monat ungefähr ein überdurchschnittlich gutes Serienerlebnis. Ihr wisst schon. Die, die man am liebsten am Stück schauen würde und es gar nicht erwarten kann zu erfahren wie es weitergeht. Zuletzt war das Making a Murderer. Dann war da ‚Preacher‘. Und das hat eine Lücke hinterlassen, die ziemlich groß und schwer zu füllen ist. Es war großartig. Für die folgende Review gilt – wie immer – spoilerfrei.

Inhalt

Jesse Custer (Dominic Cooper) tritt das Erbe seines Vater an und wird der neue Prediger in Annville, Texas. Sonntags gehen zwei, drei Leute den staubigen Weg zur kleinen, klapprigen Kirche hinauf und sehen ihm zu wie er es versucht. Aber er ist selbst nicht von dem überzeugt, was er predigen will. Aufrichtigkeit, fromm zu sein, christliche Werte. Es ist noch nicht lange her, da ging er auf Raubzüge und Auftrags-Jobs, er kann sich prügeln, er kennt die Tricks, er ist nicht der klassische Prediger. Und jeder weiß es. Und er steht dort vorn und glaubt sich selbst nicht. Was hat Gott bisher für ihn getan? Was soll er mit dieser verschlafenen Stadt anfangen? Hier aufräumen? Geht das mit einer Predigt? Kein Wunder, dass er entscheidet stattdessen auch mal die Fäuste sprechen zu lassen. Andernorts ist aber eine Entität, ein Etwas auf der Suche nach jemanden. Dieses Etwas fährt in mehrere Menschen. Gläubige, Prediger – alle auf ihre Art. Und es zerfetzt sie. Irgendwann kommt es bei Jesse an und verleiht ihm eine Gabe, mit der er die verirrten Schafe seiner Gemeinde retten will. Oder sie direkt ins Unglück reitet und dabei den Abschaum Annvilles entfesselt oder bändigt – eins von beidem.

Die Mischung von Preacher ist irre. Da ist der sich prügelnde, trinkende Prediger Jesse Custer, der irische Vampir Cassidy (Joe Gilgun), Jesses alte Flamme Tulip (Ruth Negga) die verdammt noch mal heftig auf den Putz hauen kann, der verstrahlt wirkende Besitzer des Schlachthofs Odin Quincannon (Jackie Earle Haley), die brave aber auch toughe alleinerziehende Mutter Emily (Lucy Griffiths) und glühende Anhängerin der Kirche, Eugene (Ian Colletti) der nicht umsonst Arseface genannt wird und zwei Engel die mit den Gebräuchen und Sitten auf der Erde hadern – Fiore (Tom Brooke) und DeBlanc (Anatol Yusef). Genauso over the top ist was wir in der Serie geboten bekommen, wenn die Dramen aller Charaktere vor dem Hintergrund des Themas Glaube zusammenlaufen. Als Jesse seine Fähigkeiten bemerkt, denkt er dass Gott ihm die Gabe geschenkt hat, auf sein Wehklagen reagiert hat und für ihn macht alles wieder Sinn. Ohne zu wissen, dass das was in ihn gefahren ist, ganz anderer Natur ist und ihn zur Zielscheibe macht. Der schwarze Humor und die blutige Inszenierung sind nicht nur einmal over-the-top. Egal ob Tulip sich gegen Verfolger wehrt oder Cassidy Vampirjägern entkommt und aus einem Flugzeug springt. Mit Kunstblut wird nicht gespart und es ist alles andere als langweilig, was viele normalerweise nicht einer Serie zuschreiben würden, in der es um Glaube geht. Man denke nur an die Szene in der im Fernsehen angekündigt wird, dass Tom Cruise plötzlich vor laufender Kamera explodiert sei. Offensichtlich ist die Entität auch in ihn gefahren … Scientologe und so. Und es ergibt letzten Endes doch tatsächlich alles Sinn auf eine bittere Art und Weise. Denn Jesses Bestrebungen die Menschen zurück zu Gott zu bringen, verändern tatsächlich viel. Manche zum Guten, manche zum Schlechten. Was für eine Ironie.

Die Sache mit der Religion und den Unterschieden zur Vorlage (wenn das mal nicht auf dasselbe hinausläuft …)

Ein Kumpel sagt zu mir, dass er die Serie nicht schauen würde, weil Religion ja so gar nicht sein Thema ist. Tatsächlich wird in dieser Serie aber Religion so unverhohlen von allen Seiten kritisch beleuchtet, dass es schon fast weh tut. Aber auch in Erinnerung gerufen, dass Religion etwas bedeuten kann und Menschen Hoffnung gibt. Und wenn man sie ihnen wegnimmt, dieses Fehlen von Hoffnung und Überzeugung, grausiges bewirken kann. Vielleicht ist Preacher damit sogar die allumfassendste und modernste Auseinandersetzung mit dem Thema. Dabei basiert sie auf dem Vertigo-Comic von Garth Ennis und Steve Dillon und adaptiert den schwarzen, bitteren, bissigen Humor und die Ironie der Serie. Die Unterschiede zum comic sind wenn man sie in Summe betrachtet schon ziemlich gravierend. Die Serie kann scheinbar mehr als eine Vorgeschichte des Comics gesehen werden wie man beispielsweise bei Screenrant nachlesen kann (Preacher: 15 Differences Between The TV Show And Comic und Preacher: The Biggest Changes From Book to TV). Trotzdem scheinen Fans nicht total entsetzt zu sein, in Reviews kann man nachlesen, dass Ton und Aufmachung der Serie überzeugen. Die Nuancen, die Atmosphäre, der Charakter sind da und das kommt offensichtlich an. Für Fans wurden auch einige Anspielungen eingebaut, die man schon alleine dann versteht, wenn man sich nur kurz mit der Reihe beschäftigt wird wie die Szenen in denen es um Jesses Haare geht. 😉 Vor kurzem wurde die zweite Staffel bestätigt und bei dem Ende mit Wums erwarte ich mir das auch. Und wo wir gerade dabei sind: oftmals wurde die Serie im Vorfeld damit beworben, dass Jesse und seine Freunde sich auf die Suche nach Gott begeben – das ist so nicht richtig. Die erste Staffel handelt v.A. davon wie alle Charaktere zusammenfinden und Jesse versucht seine offenbar gottlose Heimatstadt zu erretten.

Ein Fazit

Preacher ist eine Serie, die sehr gern mit Kunstblut, Moral, dem Verständnis von Glaube, Religion, Sünde und Sühne spielt und das ganz mit abgefahrenen Charakteren und einem schwarzen, deftigen Humor würzt. Das Level an Gewalt ist hoch – die Qualität der Umsetzung, das Können der Darsteller, die Schockmomente die zum Nachdenken bringen aber auch Drehbuch und Timing sind aber ebenso von hoher Qualität. Eine Mischung, die fast süchtig macht und einen nicht nur einmal erschüttert, aber der geneigte Leser sei von vonherein gewarnt: Preacher ist nichts für zart besaitete Seelen.

(10/10)

Sternchen-10

Kennt ihr die Serie schon? Wie hat sie euch gefallen? Derzeit läuft sie auf Amazon Instant Video, für Prime-Kunden scheint aber leider nur die deutsch synchronisierte Fassung zur Verfügung zu stehen. Und falls ihr sogar die zugrunde liegenden Comic kennt, wie ist eurer Meinung nach die Umsetzung gelungen?

Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).

14 Antworten

  1. Ja, die Serie war ganz ansehnlich, gerade auch durch die ziemlich spleenigen Charaktere. Und schön zu hören, das eine zweite Staffel kommt. Da geht nämlich bestimmt noch sehr viel mehr mit dem nunmehr auftauchenden Antagonisten. 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Für die Fans der Graphic Novel wäre das wahrscheinlich sehr bitter, wenn es keine zweite Staffel geben würde. Meines Wissens beginnt die Novel da, wo die erste Staffel aufhört. Nämlich mit der Suche nach Gott. Das ist nicht mal ein wirklicher Spoiler das hier reinzuschreiben, weil sogar die „Klappentexte“ auf Amazon und in den Medien damit werben, dass die Serie von drei Leuten auf der Suche nach Gott handeln würde … das finde ich ganz schön krass, weil es die Zusammenfassung der ersten Staffel eigentlich ganz schön verfehlt.

  2. Also ich habe bisher nur die ersten zwei Folgen gesehen und dann irgendwie aufgegeben. Ich weiß nicht, den Auftakt fand ich gut, die zweite Folge dann nicht so und irgendwie hatte ich dann nicht weitergeschaut, auch wenn ich die Idee schon ziemlich verrückt und abgefahren finde und es gut finde, dass man das Thema Religion so kritisch beleuchtet. In der Tat macht deine Kritik mir auch Lust darauf, der Serie eine zweite Chance zu geben und wer weiß, vielleicht habe ich nur zu schnell aufgegeben, denn eine Serie muss sich ja immer erstmal warm laufen und ein Fan wird man ja meistens nicht innerhalb der ersten Folgen. Auf jeden Fall sehr toll geschriebene Kritik, die die Neugierde auf die Serie entfacht.

    Danke auch für dein liebes Kommentar.
    Leider, aber vielleicht kann ich mit meinem Beitrag ja doch was bewirken :P. Dieses Vorurteil finde ich auch ganz schlimm, warum sollte eine Frau nicht Informatik studieren. Hallo, wir sind im 21 Jhrd? Wobei ich mir da manchmal echt nicht so sicher bin, ob in der Zeit alle schon angekommen sind. Somit echt traurig, dass man sich immer noch solche Sätze anhören muss. Bei einem sozialwissenschaftlichen Studiengang bleibt mir zumindest das erspart, die werden ja von beiden Geschlechter gleichermaßen studiert.

    Da hast du recht das Negative bleibt leider viel mehr hängen, als das Positive. Was wirklich schade ist, denn wie du schon sagtest, es ist meistens nur ein kleiner Bruchteil der so ist.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das freut mich doch, falls es dich überzeugt weiterzuschauen. Die ersten paar Folgen wirken scheinbar sehr zusammenhangslos – habe ich jetzt schon mehrfach gehört, auch wenn ich es nicht ganz so empfunden habe. Bei mir war es mehr so: wann merkt Jesse denn wozu er in der Lage ist? Wann geben sich die Engel als solche zu erkennen und sagen was los is? Usw. Aber das kommt und dann macht einiges deutlich mehr Sinn.

      Jaaaa … das habe ich neulich auch erst wieder im echten Leben diskutiert. Da ging es um den Sektor Medizin und Psychologie und die Vorurteile und negativen Beispiele scheinen überall stärker vertreten zu sein. Ich befürchte ja, dass sich das nicht so schnell ändern wird… aber wir können nur dagegen arbeiten und versuchen positive Beispiele zu hinterlassen 😉

  3. 10 Punkte. Oha! Hatte ich bisher ignoriert, aber kommt vermutlich noch auf meinen Programmplan. Irgendwann… 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja die vollen zehn – ich kann dir Preacher also wärmstens empfehlen. 😉

  4. Ich will die auch noch sehen… aber als Fan der Comic-Reihe sträube ich mich ein wenig davor. Aber gucken will ich die auf jeden Fall noch. 😀

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, wenn es nach dem geht, was ich so im Internet lese, dann sind die Unterschiede schon gravierend. V.A. weil es scheinbar vor den Comics/Graphic Novels (?) spielt und einige Charaktere bereits auftreten lässt etc. die da nicht sein dürften usw. Aber ich habe auch wahnsinnig oft gelesen, dass es sehr den Geist und die Atmosphäre und Botschaft der Comics einfängt, was wiederum ja eigentlich ganz gut ist. Wäre also ganz spannend, wenn du es dir zu Gemüte führst, denn ich kenne bisher nur Meinungen von komplett Fremden aus dem Netz, die die Comics kennen. Da weiß man manchmal nicht wie man das zu nehmen hat.

  5. Die Comics liebe ich und deswegen habe ich mich auf die Serie sehr gefreut. Charaktere, Aufmachung, Kamera, Stimmung, alles ist klasse. Leider waren einige Folgen nicht so dolle, drangeblieben bin ich trotzdem. Und wenn man es als … Overtüre schaut geht es jetzt erst richtig los. Da steckt noch viel Potential drin. Ich freue mich auf die 2. Staffel.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ach du kennst die Comics!? Sehr spannend – mich interessiert ja sehr wie Comic-Kenne die Serie einordnen. Es weicht scheinbar doch ziemlich ab, oder? Aber es ist trotzdem für Fans zu verkraften?

  6. Meine ewige Liebe zu Joe Gilgun hatte mich über den Sommer quasi gezwungen jeden Montag auf Amazon Prime vorbeizuschauen. Da gab es auch die englische Option. Das Ganze würde mir auf Deutsch absolut die Atmosphäre verhageln.
    Die Sprachoptionen müssten eigentlich zu finden sein, wenn du nicht auf das Prime-Zeichen, sondern auf den Namen der Folge klickst.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ha, dachte ich es mir doch während des Schauens … mir war so als ob du Joe Gilgun Fan bist 😉
      Wenn ich Prime am Laptop gucke, kann ich das mal ausprobieren, aber bei der Smart TV Version ist da nix auszuwählen. Leider. Wäre mir ja im Oton auch um einiges lieber gewesen …

  7. […] Negga, zuletzt gesehen in Preacher, und Joel Edgerton (u.a. Exodus, The Gift) haben sich irgendwie in mein Herz gespielt. Ruth Negga […]

  8. […] ja zugeben, ich war kurz sehr versucht es mir ganz einfach zu machen und auf das* tolle Review von Miss Booleana zu verweisen, den ich kann ihr nur zustimmen. Aber die Serie ist so gut und einfach anders, über […]

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