Hanna (Sarah Polley) ist gebürtige Jugoslawin und arbeitet in einer Fabrik in Nordirland. Sie ist teilweise taub. Sie hat zwar ein Hörgerät, aber wenn sie die Welt um sich herum nicht hören will, dreht sie es einfach ab. Und sie dreht es oft ab und lebt in der Stille. Eines Tages ruft sie der Chef zu sich. Sie arbeitet zwar emsig, ist nie krank, nimmt nie Urlaub, aber die Kollegen beschweren sich über sie. Er will sie nicht kündigen, legt ihr aber nahe Urlaub zu machen. Sie fährt an die englische Nordseeküste, verbringt einsam ihre Zeit. Bis sie ein Gespräch belauscht. Auf der nahe liegenden Bohrinsel wird eine Krankenschwester gesucht, um einen verunglückten Arbeiter zu pflegen bis er transportfähig ist. Sie meldet sich freiwillig und wird auf die Insel gebracht, wo sie ihrem Patienten Josef (Tim Robbins) das erste Mal begegnet. Er hat Verbrennungen und ist vorübergehend blind. Beide kommen anfangs nur mäßig miteinander klar. So beginnt diese Geschichte über Kommunikation, Barrieren, Schuld und Trauma.
Anfangs klingt das Thema des Films nicht besonders einladend. Denn so schwer verdaulich wie der Film kling, so beginnt er auch. Man denkt, dass Das geheime Leben der Worte einem wie ein Stein im Magen liegt wegen der Schwermütigkeit und Einsamkeit die Hannas Leben ausstrahlt. Selbst-gewählte Stille, karge Wohnung, keine Sozialisierung. Sie geht allem aus dem Weg, lässt nichts an sich heran. Da ist lediglich diese eine kindliche Stimme aus dem Off, die ab und zu über sie spricht, als ob sie sie gut kennen würde. Hannas unnahbare Art und die undefinierbare Stimme entrückt den Zuschauer immer mehr. Wer ist das? Hanna selbst? Oder hatte sie ein Kind? Wenn ja, wo ist das jetzt? Der Zuschauer wird es später erfahren. Aber bis dahin passiert viel. Mit dem Zeitpunkt wo Hanna auf der Bohrinsel ankommt, entfaltet der Filme eine regelrechte Poesie. Zwar eine voller Melancholie, aber nichtsdestotrotz Poesie.
So muss sich Hanna zum einen wegen ihrer Herkunft, zum anderen wegen ihrer Hörschwäche den Kommunikationsproblemen stellen. Zum Anderen Josefs bohrenden Fragen. Er versucht sie zu sehen, obwohl er nicht sehen kann. Stellt Vermutungen über sie an, kitzelt Details aus ihr raus. Durch ihn und die anderen einsamen Gestalten der Bohrinsel taut die einsame Hanna auf. Es ist als würde das Unikum dort draußen im Meer, in der Einsamkeit, mit den anderen Gestrandeten, sie irgendwie kurieren. Sie lebt etwas auf, wir lernen sie kennen. Zusammen mit wenigen, aber ausreichenden Details über die Arbeiter der Insel. Der Film verkommt nie ins Niveaulose. Sie wird nicht von irgendwem bedrängt, hier werden keine sexistischen Halbdramen aufgerollt, weil sie die einzige Frau ist. Im Gegenteil: die Sehnsucht der Angestellten nach ihren weit entfernt wohnenden Familien ist greifbar. Die Bohrinsel als Schauplatz ist spannend und interessant. Man darf die Eingeweide eines Ortes sehen, den die wenigstens von uns jemals betreten werden. Und eine Gans ist da auch noch. Ein Gast auf dem Unikum im Meer, wie wir. Und dieser Schauplatz entwickelt eine rostige, rustikale Magie. Wenn Hanna und der unterschätzte Koch Simon (Javier Cámara) beispielsweise nebeneinander mit dem Blick aus offene Meer schaukeln, dann hat man den Eindruck, dass dort mit den Maschinen auch die Zeit stehen geblieben ist. Vielleicht ist das der Grund, warum sich Josef und Hanna letzten Endes doch noch gegenseitig ihre Geschichten erzählen werden.
Die spanische Regiesseurin Isabel Coixet hat schon viele Filme voller bitterer Poesie und sehr menschlichen Helden gedreht. Filme wie Elegy und Mein Leben ohne mich erzählen so lebendig von ihren Protagonisten, dass man denkt, man wäre ihnen gerade auf der Straße begegnet. Sie sind nicht alle schön und schon gar nicht heldenhaft, aber unsagbar menschlich. Und ganz nebenbei, so als wäre es ein Kinderspiel, webt sie in die Geschichte ein Mahnmal – so wie in diesem Film, wenn Hanna beginnt zu reden. Ein außerordentliches Drama.
Das geheime Leben der Worte (OT: La vida secreta de las palabras), Spanien, 2005, Isabel Coixet, 111 min
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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