Wie jetzt? Ausgelesen? Heute? Der aufmerksame Leser des Blogs wundert sich zu recht. Normalerweise stelle ich immer nur um den 20. des Monats Bücher vor. Aber bei mir stapeln sich inzwischen die Buchbesprechungen und wollen mal abgearbeitet werden. Und wer von euch ein noch aufmerksamerer Leser ist, wird sich wundern, warum ich jetzt Death Note ausgelesen habe, aber schon in der Manga Manie im Jahr 2013(!) besprochen habe. Ganz einfach: Ich habe Death Note vor vielen Jahren angefangen zu lesen und war auch recht fortgeschritten in der Handlung bis ich fies gespoilert wurde. Wer liest schon gern, dass einer seiner Lieblingscharaktere stirbt? Daraufhin habe ich die Bücher liegen gelassen. So ganz konnte ich das aber auch nicht auf mir sitzen lassen und habe in der zweiten Hälfte 2016 nochmal Death Note gelesen. Und diesmal bis zum (bitteren?) Ende.
Death Note handelt von dem überdurchschnittlich begabten Schüler Light Yagami, der eines Tages mitten auf dem Schulhof ein schwarzes Notizbuch findet. Darin sind verschiedene Regeln für den Gebrauch aufgeschrieben. Schreibt man den Namen einer Person in dieses Buch, so wird diese kurz darauf sterben. Light hält es für einen schlechten Scherz. Bis er es doch ausprobiert und den Namen eines Verbrechers einträgt über den gerade im Fernsehen berichtet wird. Er ist entsetzt, es funktioniert. In Light entsteht der Gedanke, dass er damit das perfekte Verbrechen begehen kann. Mehr noch. Er kann Gott spielen. Und ein gerechter Gott sein – so seine Auffassung. Er kann eine ganz neue Gerechtigkeit formulieren und die bestrafen, die verkommen sind. Bald schon gibt sich ihm der ursprüngliche Besitzer des Buches zu erkennen: der Todesgott Ryuk, den nur der aktuelle Besitzer des Buches sehen kann. Ryuk wird ein (nicht ganz so stiller) Beobachter von Lights Plan eine neue Weltordnung zu kreieren. Aber bald schon wird der Polizei klar, dass die ganzen Tode von Kriminellen unnatürlich sind. Sie schalten den begnadeten Detektiv L ein, der mit seiner Kombinationsfähigkeit und einigen Tricks bald schon das Aufenthaltsland des Mörders und bald sogar die Gruppe der Verdächtigen eingrenzen kann. L kommt Light Yagami bald schon gefährlich nahe. Und es beginnt eine Kampf um eine Mitte in der ein großer Wille steht – so oder so ähnlich hat es Rilke in einem anderen Kontext gesagt.
Death Note ist ein 12-teiliger Manga, der von 2003 bis 2006 in Japan erschien und eine große Erfolgsgeschichte zu verzeichnen hat. Falls der Manga alleine nicht schon für eine große Fangemeinde gesorgt hat, dann war es der 2006 ausgestrahlte Anime, der seit kurzem auch hierzulande auf ProSieben MAXX läuft. Es folgten mehrere Novels, mehrere Realverfilmungen und Live Action Serien. Vom Merchandise wollen wir mal gar nicht reden. Das Duo aus Zeichner Takeshi Obata und Storyboarder/in und Schreiber/in Tsugumi Ohba (Identität unbekannt) erlangte einen großen, weltweiten Bekanntheitsgrad und gilt als Garant für Qualität. Obatas Zeichnungen sind eher realistisch und nicht zu kindlich-manga-mäßig und voller bedeutungsschwangerer Motive. Er verbindet den Fantasy-Aspekt perfekt mit der Welt der Menschen. Lässt beides gekonnt aufeinanderprallen. In den Einzel-Illustrationen stellt er Light nicht selten als einen zweifelhaften Heilsbringer dar, der wie eine Ikone posiert. Die Geschichte ist durchdacht und smart. Womit verrät sich Light? Womit zieht er seinen Hals aus der Schlinge? L und Light müssen nicht selten die nächsten zwei, drei, vier Schritte des jeweils anderen vorhersagen und kombinieren. Der Leser wird gefordert. In dem Manga wird die Stimmung durch die vielschichtigen und manchmal etwas spleenigen Charaktere aufgelockert. Beispielsweise der eigentlich erschreckend gruselig aussehende Ryuk, der gerne Äpfel verdrückt. Oder auch das Superhirn L, der eine große Vorliebe für Süßigkeiten hat und grundsätzlich gehockt sitzt. Allerdings gibt es auch Charaktere deren Instrumentalisierung die Nerven strapaziert wie beispielsweise die naive und blind-verliebte Misa, die Light an den Hacken hängt und gerne mal als plot device herhalten darf.
Neben dem großartigen Gesamtpaket aus hochwertigen Zeichnungen und schlauer, fordernder Story ist wahrscheinlich der moralische Zwiespalt das größte Plus. Man wird als Leser ständig vor die Frage gestellt, ob Lights Gedanke wirklich falsch und moralisch verwerflich ist. Würden auf diese Weise nicht die, die Böses getan haben, vor vollendete Tatsachen gestellt und ihre gerechte Strafe erfahren? Aber ist das Gerechtigkeit? Was weiß schon Light? Er kann nicht den Fall eines jeden aus dem Internet und Nachrichtensendungen oder Polizeiberichten entnehmen – was wenn er doch einen Unschuldigen erwischt? Dient das dann nur dem ‚höheren Zweck‘? Sind wirklich bald alle so ehrfürchtig, dass die Kriminalitätsrate zurückgeht und alle Menschen zu aufrechtem Verhalten erzogen werden, weil sie sonst von einer höheren Instanz ausgeschalten werden und das auch wissen? Ist Angst ein probates Mittel oder ein Terror-Regime? Das Gedankenspiel kann man ewig so weiterspielen. Ist Light nur ein wenig vom Weg abgekommen? Das muss sich der Leser selber beantworten. Insbesondere im letzten Drittel des Manga wird das Experiment auf die Spitze getrieben und hält der Menschheit den Spiegel vor. Lohnenswert auf der einen Seite, aber auch etwas over-the-top auf der anderen. Der Realismus, der zu Beginn des Manga ein großes Plus ist, wird in der Mitte schmerzlich außer Acht gelassen. Die scheinbar nie erschöpften Ressourcen der Polizei oder von einzelnen Gremien wirkt übertrieben. Es beginnt eine Materialschlacht aus Intrigen und Plänen deren Durchführung und finanzielle Mittel den Leser erschlagen. Woher kommt das alles? Hat nicht alles mit einem Schüler angefangen, der ein unheil bringendes Buch findet? Immerhin legt sich dieser unangenehme Trend und geht gegen Ende der Reihe wieder zu dem Katz-und-Maus-Spiel über und einem fast atemlos spannenden Ende.
Übrigens wird der Manga bzw Anime gerade durch Adam Wingard in eine Live-Action-Serie umgesetzt, in der Willem Dafoe Ryuk seine Stimme leiht. Wir dürfen gespannt sein … .
Fazit
Sehr lohnenswerter Manga, der trotz der over-the-top-Materialschlacht im letzten Drittel zu recht Kultstatus hat. Auch eine gute Wahl für Einsteiger.
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