Zu Erinnerung: Voidpointer, Kathrin, jetzt auch die BingeReaderin und ich lesen gemeinsam Ted Chiangs „Stories of Your Life and others“. Da ich die letzten zwei Wochen krank war und flachgelegen habe, kam ich oft zum Lesen. Sogar unverhältnismäßig oft im Vergleich zu sonst. Während ich das eigentlich sehr schön finde, ist das für ein gemeinsames Lesen unter Umständen ein bisschen hinderlich. 😥 Wie im letzten Zwischenfazit schon angekündigt, habe ich mich extrem auf die Kurzgeschichte „Story of Your Life“ gefreut, die als Vorlage für den Film Arrival diente. Die und die Geschichte „Seventy-Two Letters“ sind zwei der längeren Kurzgeschichten des Bandes und jetzt, da ich sie gelesen habe, rufen sie regelrecht nach einem Zwischenfazit. Wie immer könnt ihr auch unter dem Hashtag #StorieOfChiang auf Twitter unsere Gedanken mitlesen. Wir halten es weitestgehend spoilerfrei. 😉
Die Leserunde hat Zuwachs bekommen!
Ich habe schon so ein bisschen geahnt, dass die BingeReaderin vielleicht noch zu uns stößt. Zuerst hat Sabine heimlich mitgelesen 😉 und dann doch noch mitgemacht! Auch hier nochmal: herzlich willkommen in unserer Leserunde, ich freue mich, dass du dabei bist. Außerdem ist es jetzt glaube ich das erste Mal, dass vier zu Viert sind – also quasi Rekord
Ok bin dabei 😊
— Binge Reader (@DJ7o9) 31. August 2017
„Story of Your Life“
Da ist sie nun, die Geschichte auf die ich mich schon im letzten Artikel irre gefreut habe. Und sie hat meine Erwartungen erfüllt, wenn nicht sogar übertroffen. Ted Chiang schafft es ohne viel Aufhebens und ohne viel Vorgeplänkel eine komplexe Geschichte zu erzählen. Ich habe mich gefragt wie er soviel Story (die ich aus dem Film kenne) wohl in knapp 50 Seiten presst? Er kann’s! Er erzählt die Geschichte der Sprachwissenschaftlerin Louise Banks, die beauftragt wird einen Weg zur Kommunikation mit außerirdischen Lebensformen zu finden. Die verstehen offensichtlich keine menschliche Sprache und die Menschen finden keinen Weg die Laute der Aliens zu entschlüsseln. Und wie erwartet – was anfangs wie die Geschichte einer Wissenschaftlerin und des ersten Kontakts mit außerirdischer Intelligenz klingt, entpuppt sich stetig und langsam zu dem, was wir durch den Film und quasi auch durch den Titel der Geschichte gelernt haben: es ist in Wirklichkeit nur die Geschichte einer einzigen Person und die Geschichte über das Unvermeidliche. Die Zukunft.
Es ist verblüffend mit was für einer Wärme Ted Chiang über Familie und die Beziehungen der Menschen schreibt in einer Geschichte, die eigentlich so voller Ideen und Wissenschaft steckt. Man könnte fast sagen, dass er effizient schreibt. Soviel Story, so wenige Seiten. Er verzichtet fast komplett darauf die Welt um Louise zu schildern oder wie sie aussieht, wie irgendjemand aussieht. Aber das muss er auch nicht, das erledigt unser Kopf. Aber effizient klingt kalt, das ist es aber nicht.
„Yes, that’s her. She’s mine.“ Oh man. So wenig Worte, soviel Kontext, Wärme und Geschichte. p.144 #StoryOfYourLife #StoriesOfChiang
— MissBooleana (@MissBooleana) 28. August 2017
6 von 5 Sternen 😎für Story of Live die Arrival Vorlage will sofort den Film wieder sehen und den Sountrack hören #StoriesOfChiang https://t.co/bkXyqAIV8F
— Binge Reader (@DJ7o9) 31. August 2017
Die Unterschiede zum Film sind definitiv da. Viele Kleinigkeiten machen auch eine Masse. Beispielsweise verzichtet Chiang komplett darauf die Reaktion der Menschen auf die Heptapoden zu schildern. Im Film bricht Panik aus, die unterschiedlichen Staaten fangen an mit den Säbeln zu rasseln – sowohl untereinander als auch mit den Aliens. Andere sind happy und schreiben WELCOME auf ihre Hausdächer. Allerdings ist das Setup im Buch auch anders. Die Aliens bleiben artig im Orbit und kommunizieren nur mit der Erde. Dadurch entfällt die ganze Zur-Schau-Stellung der schlechteren Eigenschaften der Menschen und der große Konflikt gegen Ende. Ob ich das schlimm finde? Nein. Film ist sehr gut. Buch ist sehr gut. Man erkennt das eine in dem anderen. Es ist wie zwei unterschiedlich gekochte Varianten eines Rezepts, die beide gut schmecken. Es gibt auch kleinere Unterschiede wie beispielsweise die gesprochene Sprache der Heptapoden und die geschriebene, die im Buch als Heptapod A und Heptapod B bezeichnet werden. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das im Film so unterschieden wurde. Um nur eins von wenigen Beispielen zu nennen. Aber: ich finde die Liebesgeschichte kommt im Buch viel einfühlsamer rüber und fügt sich sehr natürlich.
jaaa richtig, das fiel mir auch ein. 😁 Der Soundtrack läuft hier öfter nebenbei
— MissBooleana (@MissBooleana) 29. August 2017
„Seventy-Two Letters“
An der nächsten Geschichte des Bandes habe ich erstaunlicherweise sehr viel länger gelesen als an allen anderen. Dabei hat sie auch wieder nur rund 50 Seiten. Ich denke es lag hauptsächlich daran, dass er relativ viele wissenschaftliche Formulierungen enthält – seien es auch Begriffe aus der ganz eigenen Welt der Geschichte. Denn die Welt hier ist eine, in der Alchemie betrieben wird. Eins der Produkte sind Golems, die hier Automata genannt werden. Wie in der Legende vom Prager Golem und Golems generell genügt es einen auf Papier geschriebenen Namen in den Lehm zu stecken und der Golem erwacht scheinbar zum Leben. Je nachdem wie man den Namen formt ist der Automat(a) in der Lage bestimmte Aufgaben zu verrichten. Die Wissenschaft besteht also u.a. darin zum Einen den Golem zu bauen, zum anderen den richtigen Namen zu bilden – die sogenannte Wissenschaft der Nomenklatur. Der Titel der Geschichte bezieht sich dabei auf die Kombinationen, die als Name festgelegt werden können.
Natural Philosophy? Klingt nach einem Fach, das ich auch gern gehabt hätte. Ist das hier Alchemisten-Hogwarts? ♀️p.149 #StoriesOfChiang
— MissBooleana (@MissBooleana) 1. September 2017
Unser Titelheld Robert versucht Automaten (ich weiß nicht wie sie Automata ins Deutsche übersetzen) zu bauen, die schwierige Tätigkeiten verrichten können und gibt ihnen den Menschen ähnliche Hände. Damit zieht er den Hass von Kollegen auf sich, weil sie befürchten, dass er damit u.a. ihren eigenen Beruf obsolet macht, denn Automaten könnten sich dann ja gegenseitig bauen. Und das ist nur einer von einer Vielzahl von fantastischen Gedanken, die Chiang auf wenig Platz in eine anspruchsvolle viktorianisch angehauchte Welt mit einem kleinen Funken Magie gepackt hat. Und trotz des krassen world buildings voller solch interessanter Ideen wirkt die Geschichte nicht gehetzt, aber aufgrund des etwas offenen Endes wirkt sie auch eher wie der Anfang einer Saga. Ehrlich … es ist wie Harry Potter für Erwachsene gemischt mit ein bisschen Children of Men. Wieso letzteres? Weil die Geschichte um Robert und die Automaten noch eine sehr biologische Wende nimmt. Mehr sage ich nicht. Außer: ich finde die Geschichte genial!
Automatous Couresans. Habe mich schon gefragt, ob den business need keiner bemerkt hat. Aber natüürliich. p.177 #72Letters #StoriesOfChiang
— MissBooleana (@MissBooleana) 1. September 2017
… die Diskriminierung der Schwächeren der Gesellschaft. Das Wort dullard kannte ich noch gar nicht. p.186 #72Letters #StoriesOfChiang
— MissBooleana (@MissBooleana) 1. September 2017
Dieser Ted Chiang …
Nachdem nun zwei Drittel des Buches gelesen sind, ist doch sehr auffällig wie sehr sich Ted Chiang auf das Wesentliche konzentriert. Den Grundgedanken seiner Geschichten. Und alles was überflüssig erscheint lässt er wenig. Manchmal sogar den Namen der Charaktere, das Aussehen meistens. Die Umgebung fast nie. Trotzdem gelingt es ihm sehr komplexe kleine Welten zu bauen. Die Handlung baut sich meisens um mindestens einen interessanten wissenschaftlichen Gedanken auf. Und damit fährt er ganz gut – ich finde die Geschichten hier komplexer als vieles andere was ich gelesen habe, das auf 600, 800 oder mehr als 1000 Seiten erzählt wurde. Smart.
Zu den bisherigen Artikeln der Leserunde
20.08. Ankündigung von Kathrin
21.08. Ankündigung Miss Booleana
28.08. Erstes Zwischenfazit Miss Booleana
03.09. Erstes Zwischenfazit Kathrin
Normalerweise mache ich kein drittes Fazit, sondern schließe mit einer Gesamt-Buchbesprechung nach dem letzten Drittel bei solchen Leserunden. Diesmal lasse ich wahrscheinlich meinen Redebedarf entscheiden. Die letzten Kurzgeschichten haben schon viel davon erzeugt, ich nehme an, dass es mir mit den kommenden wieder so gehen wird. Wie siehts mit euch aus? Kennt ihr die hier besprochenen Kurzgeschichten? Und wie haben sie euch gefallen? Gibt es noch mehr, dass euch an Ted Chiangs Schreibstil aufgefallen ist außer dass er Aussehen und Umgebung so großzügig ausspart?
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