ausgelesen: Stephen King „Mr Mercedes“

Bill Hodges ist ein Polizist im Ruhestand und hadert mit seinem Leben ohne Rolle, Funktion und ohne seine Familie, die ihn verlassen hat. Jeden Abend schaut er die Waffe an und fragt sich, ob er die Sinnlosigkeit beenden soll. Da bekommt er einen Brief der alles ändert. Er stammt vom Mercedes-Killer, der sich seinen Namen „verdient“ hat, da er mit einem gestohlenen Mercedes vor Jahren in eine Menschenmenge gefahren ist. Das Todeskommando forderte viele Menschenleben und zerstörte auch die Frau, deren Auto als Mordwaffe missbraucht wurde. Hodges war Ermittler, aber konnte den Fall nie aufklären. In dem Brief kündigt der Killer einen noch viel größeren Coup an, was Hodges dazu bringt aus seinem Sessel aufzustehen und auf eigene Faust zu ermitteln.

Im Roman wird abwechselnd aus Hodges Perspektive und aus der des Killers erzählt. Bei dem handelt es sich um Brady Hartsfield, einen jungen Mann, der in einem Elektronikfachmarkt arbeitet. Der Leser bekommt abwechselnd Einblick in das Seelenleben Bradys und wie er vielleicht zu dem wurde, was er ist und erlebt gleichzeitig wie Hodges Leben durch den Fall wieder einen Sinn bekommt, aber einen sehr zweifelhaften. Denn als beide in Kontakt treten, beginnt ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel.

Ich kann mir nicht helfen, aber mir kommt es so vor, als ob die Geschichte von Brady und Hodges ein bisschen uneleganter ist als andere Stephen King Romane. Ein bisschen zu gewollt, ein bisschen zu offensichtlich. Brady klingt wie ein Zusammenschnitt aus Hilf-dir-selbst-Psychologie-Büchern. Gestörte familiäre Beziehungen, Allmachtsfantasien, Wut auf die Gesellschaft und basteln im Keller. Ist das nicht etwas sehr stereotyp? Einerseits mag es ganz reizvoll sein eine Geschichte abwechselnd aus der Sicht des Ermittlers und des kranken Geistes zu erzählen, aber Bradys unflätige Kommentare über nahezu alle Menschen und sein Hass auf die Welt machen auf Dauer mürbe und fügen seinem Charakter nichts hinzu, lassen nur viele lose Enden offen. Es scheint nur darum zu gehen ihn als böse darzustellen, als gestört, als dys-funktional. So hat er beispielsweise Ahnung von Technik und ein Galerie an PCs im Keller, aber seine Kenntnisse werden mit nichts als heißer Luft untermauert. Seine Motive scheinen sehr einfach gestrickt zu sein, seine Gedankenwelt wirkt wenig komplex. Er wird als nicht dumm und eigentlich sehr gewieft beschrieben, was seine Handlungen und Entscheidungen nicht wiederspiegeln. Es ist mehr das entmystifizieren als das mystifizieren was sich King eventuell mit der eingestreuten Coolness erhofft hat.

Hodges Detektivarbeit ist dabei nicht schlecht, aber man durchlebt als Leser schon ein wenig einen inneren Schrei, wenn er die Situation zu lässig angeht und den Moment scheinbar verpasst die Polizei einzuschalten um schlimmeres zu verhindern. Man könnte argumentieren, dass Menschen ständig Dinge tun, von denen sie eigentlich wissen, dass die nach Ärger riechen, aber wie oft in diesem Ausmaß? Man könnte meinen, dass Stephen King etwas auf Sparflamme läuft. Die Detektivarbeit von Hodges ist etwas müßig und hält sich in Grenzen. Das meiste passiert aufgrund der Provokation und als Zuschauer riecht man schon förmlich, dass das in einer Katastrophe münden muss. Somit bleibt leider auch die Handlung vorhersehbar bis auf zwei, drei kleinere Überraschungen. Sie lebt aber sehr aus den Verlusten und Angst, die leider sehr aktuell ist. Dass Fahrzeuge in Menschenmengen fahren oder es Bomben-Attentate gibt, sind Meldungen, die wir aus den Nachrichten kennen und hier einen (gewollt?) bitteren Beigeschmack mit sich bringen.

Hinzu kommt, dass es der erste Roman ist, bei dem mir auch Kings Schreibstil einen Tick zu ‚einfach‘ vorkam. Das war für mich ein Unding. Eine Feststellung, die mir selber überhaupt nicht gefiel. So ist Stephen King doch einer meiner Lieblingsschriftsteller und ich habe mindestens um die 15 Geschichten von ihm gelesen. Einige davon pfundige 1000-Seiter. Wäre die englische Ausgabe vielleicht die bessere Wahl gewesen? Ich kann es drehen und wenden wie ich will. Mr. Mercedes ist ein Spannungsroman. Ein Krimi. Aber kein Detektivkrimi. Dafür lebt die Handlung viel zu sehr von Provokation und wenn es ein visuelles Medium wäre, würde ich sagen Schauwerten und Effekten. Als Spannungsroman ist er ok. Er unterhält und er tut auch das, was King aber wirklich ein ums andere mal wieder beweist und einfach gut kann. Seine Charaktere sind nicht perfekt. Man kann sich in diese Antihelden und imperfekten Bösewichte gut hineinversetzen. In diese menschlichen, verschrobenen Nebencharaktere. In die Unterdrückten und die Netten. Die sind es wieder mit denen wir mitfiebern und wissen wollen, ob sie Bradys Plan überleben. Wie gesagt: auch wenn die Handlung hinkt, fehlt es nicht an Spannung. Hinzu kommen die eingestreute Hinweise auf andere Romane Kings und die Seitenhiebe. So ist beispielsweise Bradys Zweitjob der als Eismann – denn den Eismann mag doch jeder, oder? Ansonsten drängt sich mir aber der Verdacht auf, dass in diesem Fall vielleicht die Serie mal besser wird als das Buch, nicht zuletzt weil sie mit Brendan Gleeson und Harry Treadaway exzellent besetzt ist. Die verbindet vielleicht auch mal all die losen Elemente um Clownsmasken, Smileys, Bradys Computer-Skills und und und. Autsch, sorry, Mr King.

Fazit

Für Fans von Spannungsromanen, nicht zwingend für Stephen-King-Fans.

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

3 Antworten

  1. Ich habe das Gefühl, das Stephen King pro Jahr immer ein Roman veröffentlicht. Da ist es kein Wunder dass man irgendwann mal schwächelt… Wie heißt es so schön? Gut Ding will Weile haben?

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ha, da sagst du was … er haut das Zeug wirklich in Rekordzeit und Quantität raus. Ich habe im Makellos-Mag von Corinne mal gelesen, dass es in seinem Buch über das Schreiben heißt, dass er manchmal an eine kahle Wand schaut bis die Ideen kommen. Daraus kommentierte sie, dass man sich das auch nur leisten kann, wenn einem der Partner den Rücken stärkt, jemand anders den Haushalt schmeißt, die Kinder erzieht oder das Geld halt irgendwie reinkommt, ohne dass man sich zuviel ne Platte machen muss. Da ist was dran. Obwohl das jetzt sehr negativ klingt … er ist trotzdem noch einer meiner Lieblings-Autoren 😀

  2. […] Jahren sehr angenehm empfand und Der Anschlag an Spannung und Rührung kaum zu überbieten war, war Mr Mercedes für mich eine Enttäuschung. Konventionell, ein bisschen over the top und zu gewollt […]

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