Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen und es wird langsam mal Zeit die angehäuften Serien-Reviews aufzuräumen. Da hat sich nämlich in meinen geschriebenen, nicht veröffentlichten Artikeln ganz schön was gestapelt. Warum war ich dieses Jahr so nachlässig? Genau sagen kann ich es nicht. Es hatten irgendwie immer andere Themen Vorrang. Also raus damit! Der gemeinsame Nenner der heute vorgestellten beiden Serien-Formate ist, dass sie Dokumentationen sind. Ansonsten könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Es geht um die Kunst-Doku-Reihe ‚Abstract‘ und die True-Crime-Doku ‚The Keepers‘. Reviews sind spoilerfrei.
‚Abstract‘ S1
Abstract ist eine Dokureihe aus dem Hause ‚Netflix‘ in der Machart des bereits sehr beliebten Chefs Table. Hier stehen aber keine Sterneköche im Zentrum, sondern Designer. Das Spektrum fasst hier aber viele verschiedene Berufe und wirkt damit etwas vielfältiger. Jeweils eine Episode widmet sich dem dänischen Architekten Bjarke Ingels, dem griechisch-englischen Fotografen Platon, der amerikanischen Grafikdesigner Paula Scher – spezialisiert auf Typographie, der englischen Innenarchitektin Ilse Crawford, der Bühnenbildnerin Es Devlin, dem Automobildesigner Ralph Gilles, dem Schuh-Designer Tinker Hatfield und dem deutschen Illustrator Christoph Niemann. Wie immer wird in jeder Episode etwas über das Metier erzählt, darüber wie die Designer zu ihrem jeweiligen Beruf fanden und was sie antreibt. Auch ihre Rückschläge werden unverblümt erzählt. Bekannte und auch manchmal Prominente befragt. Die Episoden sind nicht selten vom Stil der jeweiligen Kreativen beeinflusst – Abstract ist gut gemacht, keine Frage.
„What can I do next?“ Der Drive der Designer kommt rüber und inspiriert. Man möchte am liebsten sofort irgendetwas skribbeln oder rausgehen und was großes vollbringen. Aber zumindest mich als Zuschauer locken die Episoden nur mäßig, und das obwohl ich kunstbesessen und Design-interessiert bin. Vielleicht liegt es am ähnlichen Format der Dokureihen, die so schön gleichmäßig einmal pro Episode von Erfolgen, der Kindheit, der Familie und den Misserfolgen der Personen in bester Gleichförmigkeit berichten. Hat man zuvor schon Chefs Table gesehen, findet man das alles vielleicht doch zu gleichförmig. Aber in dieser Gleichförmigkeit liegt auch eine (wenn auch den Griff zur Fernbedienung hemmende) gute Gewissheit: sie hatten alle Hürden, die sie genommen haben.
(7/10)
„Abstrakt: Design als Kunst | Offizieller Trailer [HD] | Netflix“, via Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz (Youtube)
‚The Keepers‘
The Keepers ist eine eindringliche Doku-Serie aus dem Hause Netflix, in der es zu Beginn erst einmal um den bisher unaufgelösten Mord an der Nonne Schwester Cathy Cesnik im Jahr 1969 in Baltimore geht. Sie unterrichtete dort an der Archbishop Keough High School. Ein paar ihrer ehemaligen Schülerinnen investigieren in dem alten Fall, der aber weitere Kreise zieht, desto mehr Leute sich melden. Und plötzlich handelt die Doku nicht mehr einfach von einer verschwundenen Nonne, sondern von langjährigen Missbrauchsfällen katholischer Priester an Schülerinnen eben dieser High School. Wer die Doku schaut, braucht starke Nerven, denn das, was man hört, rüttelt an unserem Moral-Empfinden, vielleicht sogar an unserer Weltanschauung. Undzwar heftig.
Während des Schauens der Doku fragt man sich unweigerlich, warum so wenig Hilfe für die Überlebenden der Missbrauchsfälle herbeigeeilt kam. Warum gab es so viel Misstrauen? Warum wurde sich nicht mehr eingemischt? Die Antwort ist: Weil es vor Spotlight war. Eins der größten Probleme des Falles war, dass die Opfer bzw. Überlebenden erst in den 1990er Jahren mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit gingen und das eine Debatte über Verdrängung bzw. „repressed memories“ und deren Glaubwürdigkeit auslöste. Auch die Polizeiarbeit und das Verschwinden von Beweisen machen fassungslos. Am krassesten an der Doku ist aber wohl, was die Survivor/Überlebenden durchgemacht haben. Mit welchen Maschen, Rechtfertigungen und welchen religiös-beeinflussten Gedankengut und welcher falscher Authorität die Priester junge Mädchen vergewaltigten. Richtig so, dass Ryan White v.A. die Geschichten der Opfer erzählt und sich in seiner Doku dafür viel Zeit nahm und Ordnungshüter mit den Lücken ihres Systems auch gerne mal direkt konfrontiert und die Fragen stellt, die richtig wehtun. Da gibt es Szenen, die sich einem ins Gehirn brennen und die man sich wünscht, die sich aufdrängen – wie die in der ein ranghoher Polizist nach verschwundenen Beweisen gefragt wird und der händeringend beginnt zu suchen. Eine fassungslos machende Doku.
(8/10)
„The Keepers | Official Trailer [HD] | Netflix“, via Netflix (Youtube)
Achso … übrigens sind beide Doku-Serien auf Netflix abrufbar. Falls ihr also für graue November- und Dezembertage ein Kontrastprogramm braucht ist Abstract wahrscheinlich sehr mitreißend und anspornend kreativ zu werden. Auch wenn ich finde, dass es etwas kritischer und diverser hätte sein können. ‚The Keepers‘ ist alles andere als Wohlfühl-Fernsehen, aber es erzählt eine wichtige Geschichte. Kennt ihr die Serien vielleicht sogar schon? Und wenn ja, was sind eure Gedanken dazu?
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