Man hat ja schon von Western gehört, die sich bei asiatischen Filmen Inspiration holen. So beispielsweise Die glorreichen Sieben bei Die Sieben Samurai. Beim Anime des leider viel zu jung verstorbenen Regisseurs Satoshi Kon (Perfect Blue, Millennium Actress) ist es mal andersrum. Sein 88-minütiger Film basiert auf dem John-Ford-Western Three Godfathers, hierzulande bekannt als Spuren im Sand. Darin fühlen sich drei Viehdiebe verantwortlich für ein Neugeborenes, dessen Mutter gerade gestorben ist. In Tokyo Godfathers sind es drei Obdachlose, die im Müll ein Baby finden. Sie beschließen sich um das Kind zu kümmern und die Eltern zu suchen. Die einzigen Hinweise: eine Notiz, gut auf die Kleine aufzupassen und ein Yakuza. Während dieses Abenteuers in den Parks, Straßen und vergessenen Ecken Tokios erfährt der Zuschauer mehr über die Drei und warum sie auf der Straße leben: die junge Ausreißerin Miyuki, die Transsexuelle Hana und Gin, der seinen Kummer im Alkohol ertränkt.
„Tokyo Godfathers – Trailer“, via Gianmarco Saretto (Youtube)
Tokyo Godfathers ist nicht die fröhlichste Weihnachtsgeschichte und unser Trio sind Antihelden par excellence. Sie sind alle vor etwas in ihrem Leben davongerannt und stellen sich ihren Dämonen eher nicht. Sie sind trotzig und dickköpfig und liebenswert menschlich und prügeln sich auch mal. Wo wir oft zu Weihnachten eher Bilder von gedeckten, reichen Weihnachtstafeln, geschmückten Tannenbäumen und Geschenken sehen, macht Satoshi Kon einen Ausflug zu denen, die nichts haben und die mehr oder weniger freiwillig irgendwann aufgegeben haben. Ein krasser Kontrast, der zeigt wie schwer das Leben auf der Straße ist, aber die Obdachlosen als Menschen mit einer Geschichte zeigt, die von irgendetwas aus der Bahn geworfen wurden. Mit anderen Worten: ihr Schicksal ist uns nicht so fern wie wir glauben. Dabei begeistert Satoshi Kons realistischer Stil. Das ab und zu etwas schwermütige Thema versucht er mit viel Slapstick aufzuhellen, was größtenteils gelingt, manchmal aber wie ein touch too much wirkt. Ich sage nur: Gesichtsfasching. Cinematografie und Schnitt bieten vielleicht nicht soviele außergewöhnliche Beispiele für sein Know-How wie seine anderen Werke, sind aber immer noch großes Kino. Und gegen Ende des Films gibt es vielleicht Erlösung für die Tokyo Godfathers.
Tokyo Godfathers, Japan, 2003, Satoshi Kon, 88 min
In dem recht frei zusammengewürfelten Making-Of sieht man u.a. die Synchronsprecher bei der Arbeit, die Animationsschritte, einen Abschnitt über die verwendete Musik und Interviews mit dem Regisseur Satoshi Kon: in dem Sinne … Merry Christmas.
„Making Of Tokyo Godfathers“, via Osarunime (Youtube)
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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